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Gesamte Inhalte:

© Dr. Christoph Paul Stock

 

2.7.1.2 Rationalität und Vernunft

 

Kant geht in seinen Überlegungen noch einen Schritt weiter. Er führt aus, dass das, was wir mit dem Verstand als ein gegenständlich Gewusstes nicht erreichen können, doch unserer Vernunft gegenwärtig ist. Was man nicht erkennen kann, das kann man doch denken. Das Vermögen der Vernunft zeigt Kant unter anderem in der Wirksamkeit der Ideen.[1] Karl Jaspers führt hierzu mit Bezug auf Kant aus: „Ideen zeigen sich, wo ich im Fortgang der Verstandeserkenntnis den Abschluss zu einem Ganzen suche; sie täuschen, wenn der Abschluss in einem erkannten Gegenstand erreicht gedacht wird. Sie sind aufgegeben aber nie gegeben.“[2] Die Gefahr besteht also darin, Ideen, denen in der Erfahrung nie ein adäquater Gegenstand gegeben werden kann, wie Gegenstände zu behandeln und als Gegenstände vermeintlich zu erkennen. Die Möglichkeit von Gedankengängen über Ideen ist aber nicht Blendwerk, sondern notwendige Illusion unserer Vernunft. Sie müssen ihre zweckmäßige Bestimmung in unserer Vernunft haben, sonst würde es sie nicht geben. Kant sagt dazu „alle Fehler der Subreption sind jederzeit einem Mangel der Urteilskraft, niemals aber dem Verstande oder der Vernunft zuzuschreiben.“[3] Daher sind Ideen nicht an sich eine Täuschung, sondern werden zu dieser erst durch einen natürlichen Missbrauch, indem Ideen wie „Seele“, „Welt“ oder „Gott“ nicht als Prinzipien einer Systematik des Erkennens, sondern als wahrhafte Gegenstände der Welt erfasst werden. Doch durch die Idee erkennen wir niemals den Gegenstand der Idee, sondern gewinnen durch die Idee regulative Prinzipien, Gesetzmäßigkeiten der Analogie für den Fortgang des Erkennens. Jeder kennt den realen Marktplatz mit seinen Ständen, Verkäufern und Waren und jedem wirtschaftlich interessierten Menschen ist die Idee des Marktes als unbestimmte Örtlichkeit, an der Angebot und Nachfrage zusammentreffen, ein Begriff. Jeder hat schon einmal einen Marktplatz besucht, aber niemand ist je der abstrakten Marktidee als Koordinierungsinstrument der Wirtschaft gegenständlich begegnet. Durch die Ideen wird im Fortgang eines Prozesses die systematische Einheit des Erkennens konstituiert. „In diesem Dasein des Erkennens, das als es selbst nicht vollendbar ist, sondern schwebend bleibt, bezeugt sich das Übersinnliche durch Vollzüge, nicht durch Inhalt eines Wissens.“[4]

Mit Bezug zum wirtschaftlichen Denken dürfen wir nach diesen Überlegungen davon ausgehen, dass die Logik des Denkens so lange zu richtigen Ergebnissen führen wird, solange die wirtschaftlichen Überlegungen im Kontext eines wahrnehmbaren Realitätszusammenhanges bleiben. Insofern also ganz klar mit Zahlen und Fakten Schlüsse gezogen werden, die im realen Kontext überprüfbar sind, bewegt man sich im Reich der Gegenständlichkeit. Es besteht eine Übereinstimmung unserer Begriffe mit dem Objekt. Hier darf man sich auf die Gesetze der Logik verlassen. Es soll an dieser Stelle unbeachtet bleiben, dass der Mensch auch in diesen Zusammenhängen in vielerlei Hinsicht zu irrationalen Schlüssen neigt.[5] Doch in jenem Moment, in dem man den Bereich der direkten Überprüfbarkeit an der Realität verlässt, begibt man sich in jene Sphäre des Wirtschaftens, die nur mehr als komplex und unüberschaubar beschrieben und charakterisiert werden kann. Mit der reinen Vernunft kann man sich in diesem Zusammenhang leicht in „Antinomien“ verstricken und damit in hyperrationale Luftschlösser ohne jede Bodenhaftung. Hier stellt sich die Frage, wie man sich mit der Realität wieder verbinden kann? Die Idee des „homo oeconomicus“ ist ein konstitutives Prinzip. Es wäre ein Fehler, wenn man seine Eigenschaften direkt den Menschen zuschreiben und es so in die Gegenständlichkeit zerren würde. Es kann dazu dienen, im Vollzug der Erkenntnissuche wirtschaftliche Zusammenhänge durchsichtig zu machen und idealtypisch zu beschreiben. Die Idee des „homo oeconomicus“ kann helfen, wirtschaftliche Zusammenhänge in Theorien zu erfassen und durch die Formulierung von Hypothesen zu überprüfen. Doch von der Idee des „homo oeconomicus“ direkt auf die reale Welt zu schließen und dem Menschen rein rationales Verhalten zu unterstellen oder dem Menschen diese Verhaltensweise als die richtige in allen Lebenslagen anzuraten, verwechselt die Adressaten. Die Idee ist adressiert an die Verstandeshandlung zur Erforschung der Einheit in der Welt und nicht an die Begriffsgestaltung zur Konkretisierung realer Objekte.


[1] Jaspers, K.: Die großen Philosophen, Piper Verlag GmbH, München, 2007, S. 83
[2] Ibid., S. 84
[3] Kant, I.: Kritik der reinen Vernunft, Marix Verlag GmbH, Wiesbaden, 2004, S. 383
[4] Karl Jaspers fängt diese Erkenntnis noch einmal ein wenn er ausführt: „Wir können von den Ideen keinen zweckmäßigen Gebrauch machen, wenn die Natur nicht selbst zweckmäßige Einheit in sich hätte. Es muss im Grunde der Dinge liegen, was den Ideen entgegenkommt. Es ist wie eine Kommunikation zwischen den Ansprüchen des Erkennens unseres endlichen Verstandes und der Objektivität des Zusammenhangs der Dinge in der Natur, aber nur in dem Maß als die Natur entgegenkommt. Denn wir können nicht vorwegnehmen vom Ganzen die Koinzidenz unseres Erkenntnisvermögens mit der Natur der Dinge behaupten. Es könnte irgendwo eine Grenze sein, dort würde mit dem Riss der Einheitsidee auch die Erkenntnis aufhören. Vermöge der Ideen erwarten wir das Gegenteil, ohne es zu wissen. Soweit jedoch das systematische Erkennen gelingt, ist das Dasein dieses Erkennens selber ein Zeiger in den gemeinsamen Grund des Erkennens und der Dinge.“ Vgl. in: Jaspers, K.: Die großen Philosophen, Piper Verlag GmbH, München, 2007, S. 89 ff
[5] Es sei hier an die psychologische Phänomene der notorischen Risikoscheu bei Entscheidungen für sicheren Gewinn bzw. die Verlustreparationstendenzen im Kontext der „Prospect-Theory“ oder das Phänomen des Besitzeffekts (endowment effekt) erinnert. Es sei auch darauf hingewiesen, dass es Menschen schwer fällt, Nutzen über die Zeit hinweg zu maximieren. Menschen sind Gegenwartswesen. Sie beziehen oft in den Entscheidungsprozess nur wenige Alternativen ein und wählen häufig die erste zufriedenstellende Alternative. Dabei werden eher die lösbaren als die eigentlich wichtigen Probleme gelöst. Nicht selten wird zu einer Lösung nach einem passenden Problem gesucht und retrospektiv Ordnung in den Entscheidungsprozess gebracht. Vielfach steht auch nur eine kurzfristige Besserung (melioration principle) im Mittelpunkt unter Vernachlässigung von Langzeitwirkungen. Rationalität und Nutzenmaximierung stellen im Alltag eher die Ausnahme als die Regel dar. Vgl. dazu bei: Kirchler, E.M.: Wirtschaftspsychologie: Grundlagen und Anwendungsfelder der Ökonomischen Psychologie, 3. Auflage, Hogrefe-Verlag, 1999, S. 19 ff
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