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Die rechtlichen Grundlagen des Persönlichkeitsschutzes und seine Anwendung im Individualarbeitsverhältnis unter besonderer Berücksichtigung der ideellen Interessen der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeitnehmers

 

Die hier vorliegende Arbeit wurde von mir vor ca. 30 Jahren verfasst. Obwohl dies ein langer Zeitraum ist, erstaunt mich beim Durchgehen der einzelnen Inhalte immer wieder, wie aktuell und zeitgemäß die damals erarbeiteten Grundlagen zum Persönlichkeitsschutz immer noch sind. Gewiss, mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union haben sich im Unionsrecht so manche interessante Neuentwicklung ergeben. Die Höchstgerichte haben zwischenzeitlich diverse Aspekte des Persönlichkeitsschutzes gerade mit Blick auf die rasante Entwicklung im Bereich der Computertechnik und des World Wide Web weiterentwickelt und der Datenschutz ist nicht zuletzt durch die europaweite Regulierung durch die Datenschutzgrundverordnung relevanter und in seinen Regelungen klarer und fassbarer geworden. Themen wie „Mobbing“ und „Bossing“ am Arbeitsplatz haben heute mehr Bedeutung wie in den 1990er-Jahren und in Details bedürfen die persönlichkeitsrechtlich relevanten Inhalte einer Adaptierung und Anpassung, was in anderen Arbeiten zum Persönlichkeitsschutz zwischenzeitlich natürlich auch passiert ist. Dennoch sind die Grundlagen der Arbeit nach wie vor wesentlich und haben nicht viel an ihrer Aktualität und schon gar nicht an ihrer Brisanz verloren. Die Bedeutung einer Generalklausel zum Persönlichkeitsschutz wie sie sich im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch findet, ist heute in einer Zeit sich rasant ändernder Angriffsmöglichkeiten auf die Persönlichkeit wichtiger denn je. Die Drittwirkung der Grundrechte auch im Privatrechtsbereich erscheint nach wie vor von hoher Relevanz, sind diese doch nicht nur im Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zum Staat, sondern gerade auch im Verhältnis der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu ihren Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern von immer größer werdender Wichtigkeit. Viele von uns arbeiten heute in Unternehmen und Organisationen, deren Komplexität und Wirtschaftsleistung oft jene kleiner Staaten übersteigt. In so großen Strukturen kann die Freiheit der einzelnen Person rasch gefährdet werden.

 

Freiheit innerhalb hochgradig organisierter und arbeitsteiliger Strukturen ist das Themen, um das es beim Persönlichkeitsschutz geht. Wie schützt man die Rechte der einzelnen Person gegenüber weit mächtigeren Strukturen, von denen man abhängig ist? Wie gleicht man das Ungleichgewicht aus, das entsteht, wenn Menschen sich zur Arbeitsleitung verpflichten und damit auf ein oft großes Stück an Selbstbestimmung verzichten, sich Weisungsrechten anderer unterwerfen, sich an eine fremde Kultur anpassen müssen und fremde, von anderen formulierte und vorgegebene Ziele verfolgen müssen. Eine hohe Anpassung wird verlangt, die zwar durch Lohn und Gehalt ausgeglichen wird. Doch wenn der Eingriff der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber die Persönlichkeit anfängt zu weit und zu umfangreich zu beschränken, kann Geld als Ausgleich und Motivationsfaktor rasch an Bedeutung verlieren.

 

Diese Arbeit geht meiner 30-jährigen Beschäftigung in Unternehmen auf unterschiedlichen Hierarchieebenen unterschiedlichen Typs von Profit-Organisationen über Non-Profit-Organisationen bis hin zu Non-Governmental-Organisationen voraus. Was ich in diesen 30 Jahren als einfacher Mitarbeiter, als Führungskraft im mittleren Management und als leitende Führungskraft in Bereichsleitungsfunktionen direkt unterhalb der Geschäftsführung erfahren und erlebt habe, lässt in mir den klaren Eindruck zurück, dass im Bereich des Persönlichkeitsschutzes noch viel getan werden muss. Sicherlich ist schon einiges passiert. Es gibt in Österreich einen umfangreichen Arbeitnehmerschutz, der nicht nur die körperliche, sondern auch die psychische und geistige Gesundheit im Auge hat. Doch bei den Aspekten des Psychischen und Geistigen lässt so manche Entwicklung und praktische Handhabe in den Unternehmen zu wünschen übrig. Ja, die Unternehmen haben seit den 1930er-Jahren gelernt, Menschen auch freundlich und entgegenkommend zu behandeln. Doch die Spannung zwischen den sogenannten „hard skills“ und „soft skills“ in den Unternehmen ist nach wie vor ständig zu spüren. Die einen versuchen es mit einem partizipativen und verständnisvollen Führungsstil, der auf Wünsche der Belegschaft eingeht und versucht auf Augenhöhe zu führen. Die anderen verharren in einem autoritären, nicht selten durchaus paternalistischen Führungsstil, der von Augenhöhe wenig hält, weil die „soft skills“ einfach nicht das gewünschte Ergebnis liefern. Hier herrscht die Meinung vor, dass es nicht reicht, wenn sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Unternehmen nur wohl fühlen. Das führe nicht unbedingt zu größeren Leistungen. Wenn die Situation zu angenehm sei, lade dies eher dazu ein, sich zurückzulehnen und sich auszuruhen, statt die Ärmel hochzukrempeln. Aus meiner Sicht greift dieser Human-Relations-Ansatz einfach nicht weit genug. Ein anderer Ansatz wird seit den 1960er-Jahren unter dem Schlagwort Human-Resources verfolgt. Hier geht es darum, das Potenzial der Menschen zu nutzen. Auch dieser Ansatz hat manch positive Entwicklung mit sich gebracht. Doch viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben innerlich gekündigt oder sich vom Unternehmen weitgehend abgewendet, weil sie tief in sich spüren, dass sie am Arbeitsplatz vielfach einseitig und unzureichend gefordert sind und ihr Potenzial und ihre Kreativität nicht genutzt und in nicht wenigen Fällen sogar unerwünscht sind. Dann wird der Lebensschwerpunkt aus dem Job heraus und woanders hin verlegt.

 

Die Probleme scheinen sehr tief zu liegen. Sie scheinen damit zu tun zu haben, wie wir Arbeit organisieren und welche Strukturen wir aufbauen, in denen Menschen dann arbeiten müssen. Es reicht nicht aus, wenn die Personalabteilung sich um einen freundlichen und kompetenten Umgang kümmert und die Entwicklung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Auge hat. All dieses Bemühen wird frustriert, wenn Unternehmensstrukturen, den Human-Relations- und Human-Resources-Ansatz konterkarieren. Wenn das Top-Management sich in Unternehmen weiterhin wie ein elitärer Club verhält, der es besser weiß und besser kann als der Rest in der Belegschaft und man bei Treffen mit der Geschäftsführung das Gefühl hat, ihre Majestät hat nun den Raum betreten, kann man sich die vielen Bemühungen um eine personale Weiterentwicklung weitgehend sparen. Hier wurde einfach noch nicht verstanden, dass Führung eine Aufgabe und Rolle innerhalb des Unternehmens ist und keine Position, die einen über alle anderen Personen erhebt. Wir leben in einem liberalen Staat mit einer Demokratie, in der Repräsentantinnen und Repräsentanten als Parlamentsangehörige, Regierung und Richterinnen und Richter das Volk als Souverän vertreten. Gleichzeitig arbeiten wir vielfach in Unternehmen, die von ihrer Organisation und Struktur her mehr an vergangene Jahrhunderte erinnern als an ein modernes Zusammenleben und -arbeiten von vielfach hoch ausgebildeten und mit viel Erfahrung ausgestatteten Wissensarbeiterinnen und Wissensarbeitern, die sich und ihre Kolleginnen und Kollegen zum Großteil selbst organisieren und führen ohne dass dies in irgendeiner Weise vom Management direktiv vorgegeben werden könnte. Führungsverantwortung der einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Position und Macht innerhalb des Unternehmens stimmen in vielen Fällen schlicht nicht zusammen. Diejenigen, die das Geschäft sehr gut kennen und in Wahrheit erledigen, weil sie sich an der operativen Schnittstelle des Unternehmens zur Umwelt befinden, werden mit ihrer Meinung oft weit unzureichend berücksichtigt und bei der unternehmerischen Planung viel zu wenig eingebunden. Wenn die Leute aber nicht verstehen können, warum eine Zielvorgabe genau in die eine Richtung aber nicht in eine andere Richtung weist, werden sie tief in ihrem Inneren die Ziele nicht mittragen und sich in der Bedeutung, die ihnen objektiv zukommt, übergangen fühlen. Da helfen dann wunderbar ausgearbeitete Mission Statements und großartige Visionen nichts, wenn die Menschen in ihrem Inneren all diese großen Werte und Ziele nicht auch als eigene motivierende Beweggründe wahrnehmen können. Dann bleibt wiederum nichts anderes übrig, als Kommando zu führen und auf Kontrolle zu setzen. Selbstorganisation, Empowerment und alle wunderbaren Ansätze die mit „Human“ anfangen können weitgehend vergessen werden. Meines Erachtens besteht die größte Herausforderung darin, Menschen nicht nur als Mittel zum Zweck, sondern als Zweck an sich zu begreifen und sich vom alten Organisationsgrundsatz des Industriezeitalters zu lösen, der ein Unternehmen wie eine Maschine konstruieren will und dazu primär technologische Mittel nutzt. Dieser konstruktivistisch-technomorphe Ansatz, der den Menschen eher als Ressource statt als Potenzial erkennt, war wohl ein funktionierendes Mittel in der Vergangenheit. Meines Erachtens ist es aber der völlig falsche Ansatz in einer Wissens- und Informationsgesellschaft. Wir müssen unsere Unternehmen neu organisieren und zu lebendigen Systemen machen. Dann ist vielleicht auch die jüngere Generation wieder eher bereit, den Großteil ihrer Lebenskraft in die Arbeitswelt zu investieren.

 

Ein zentraler Schlüssel dazu ist das Verständnis, was Persönlichkeitsrechte ausmacht und weshalb sie als Bollwerk individueller Freiheit ähnlich wie Grundrechte im Staat für Unternehmen von so besonderer Bedeutung sind. Nur freie Märkte, nur demokratische Strukturen, nur liberal geführte Unternehmen haben das Potenzial, wirklich kreativ und innovativ zu sein. Nur sie können sich in einer sich rasend schnell entwickelnden und komplexen Welt behaupten. Ansonsten müssen wir zu totalitären Strukturen zurückkehren und erleiden, dass sich nur wenige wirklich entfalten können und alle anderen gezwungen sind, den Mächtigen das Wasser zu tragen. Die Welt ist voll von solchen Strukturen, in denen Menschen eher dahinvegetieren als leben.

Dr. Christoph Paul Stock, September 2024

©  der Erstausgabe 1994

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