
K O N T A K T

Gesamte Inhalte:
© Dr. Christoph Paul Stock
2.7.5 Entscheidungsprozess nach Peter F. Drucker
Peter F. Drucker richtet seinen Blick bei der Untersuchung des Entscheidungsprozesses auf die wenig wirklich wichtigen aber effektiven Entscheidungen einer Führungskraft in einem konzeptionellen Kontext. Für ihn steht dabei weniger die direkte Problemlösung als vielmehr mit Bezug zu den Konstanten einer Situation ein strategisches und angemessenes Handeln sowie die Tragweite und die zugrunde liegenden Tatsachen einer Entscheidungsfindung im Mittelpunkt. Darüber hinaus geht es ihm nicht so sehr um die Geschwindigkeit einer Entscheidung oder um Cleverness, sondern vielmehr um eine besonnene und gründliche Entscheidungsfindung. Die Wirkung der Entscheidung ist ihm wichtiger als die eingesetzte Technik. Bedeutend ist es aus seiner Sicht, festzustellen, ob eine Entscheidung auf Prinzipien fußen oder pragmatisch im Einzelfall erfolgen sollte, ob man mit einer Entscheidung einen falschen oder einen richtigen Kompromiss trifft und ob sich die Entscheidung auch tatsächlich umsetzen lässt und die notwendigen Handlungen sich auch auf gegebene und ausreichende Fähigkeiten der Menschen beziehen.[1] Auf jeden Fall braucht man die richtigen Kollegen und Leute, um kluge Entscheidungen treffen und umsetzen zu können, und eine entsprechende Unternehmenskultur, die Innovation ermöglicht und vernünftige Risiken unterstützt. Man muss sich fragen, ob das Unternehmen auch bereit ist, zu einer einmal getroffenen Entscheidung zu stehen.[2]
Am Beginn stellt sich die Frage, ob ein Handlungsbedarf überhaupt besteht. Davon ist auszugehen, wenn Bedingungen ohne Handeln ernsthaft zu entarten oder entgleiten drohen oder eine auftretende Chance wahrscheinlich verschwinden wird. Ist anzunehmen, dass sich die Bedingungen von selbst erledigen werden oder die notwendigen Entscheidungen für ein Handeln in der Vergangenheit schon getroffen wurden, ist kein Handlungsbedarf gegeben. Weitere Nachforschungen sind dann angebracht, wenn sich die Problemstellung nicht von selbst erledigen wird, es gleichzeitig aber unwahrscheinlich ist, dass sie entartet.[3]
Ein Problem muss zuerst klassifiziert werden. Dabei ist zu fragen, ob es sich um ein allgemeines, spezielles oder neues Problem handelt. Ein allgemeines Problem kann auf ein allgemeines oder einmaliges Ereignis zurückgehen. Ein allgemeines Ereignis stellt ein Symptom dar, das auf eine tiefer liegende und grundlegendere Begebenheit hinweist, die vielfach erst nach längerer und eindringlicher Beobachtung und Untersuchung erkannt werden kann. Ist das Problem nicht sofort an der Wurzel zu packen, müssen die unerwünschten Folgen solange ausgeglichen werden, bis die Gesamtumstände unter Kontrolle gebracht werden können. Das allgemeine Problem kann aber auch auf ein einmaliges Ereignis zurückgehen. Die Annahme oder Ablehnung eines Übernahmeangebotes eines anderen Unternehmens stellt zwar für ein Unternehmen ein einmaliges Ereignis dar, ist aber ein allgemeines Problem, das immer wieder auftritt und nach einer allgemeinen Regel für die Entscheidungsfindung verlangt. Wirklich außergewöhnliche Ereignisse sind jene, mit denen man noch nicht konfrontiert war und die einer besonderen Problemlösung bedürfen, wobei solche Ereignisse, die sich nicht wiederholen, einmalige Problemfälle bleiben, jene aber, die wiederkehren, zu einer Manifestation eines neuen allgemeinen Problems werden. Bis auf das wirklich einzigartige Ereignis verlangen alle Ereignisse nach einer allgemeinen Lösung durch Regelsetzung, Strategieentwicklung oder Formulierung eines Ordnungsprinzips. Viele Entscheidungsfehler passieren, weil Führungskräfte auf allgemeine Probleme mit individuellen Maßnahmen reagieren und verabsäumen, Regeln und Prinzipien zur Problembeherrschung zu entwickeln. Auch sehr häufig wird der Fehler begangen, einem neuen Ereignis mit den alten Regeln zu begegnen. Falsch ist es natürlich auch, einem außergewöhnlichen Problem mit allgemeinen Ansätzen entgegentreten zu wollen.[4]
Um ein Problem verstehen und einordnen zu können, muss man es definieren. Peter F. Drucker weist darauf hin, dass dabei die Gefahr weniger darin liegt, eine falsche als vielmehr eine einleuchtende und naheliegende, aber unvollständige Definition eines Problems vorzunehmen. Aus diesem Grund ist es angebracht und notwendig, eine Definition an Hand der zur Verfügung stehenden Fakten immer wieder zu hinterfragen und zu überdenken, besonders wenn Ungewöhnliches, Erklärungsbedürftiges oder Unerwartetes auftritt. Die Regeln der wissenschaftlichen Beobachtung sollten hier Anwendung finden, um falsche Lösungen für das richtige Problem und hervorragende Lösungen für das falsche Problem zu vermeiden.[5] Alternativen müssen in Betracht gezogen analysiert und untersucht werden. Es braucht auch Pläne für unvorhersehbare Situationen.[6] Erfolgreiche Entscheidungsträger bleiben für die ganze Bandbreite alternativer Lösungen in ihrem Denken offen und sind immer bemüht, neue Alternativen zu finden und zu diskutieren. Das steigert die Integrität der Entscheidung und schafft ein gewisses Sicherheitsnetz für falsche Entscheidungen, da weitere Alternativen bei der Hand sind.[7]
Ein Problem muss eingegrenzt werden, um überschaubar zu sein. Hier besteht die Gefahr, dass Entscheidungen auf Grund falscher Voraussetzungen oder falscher Interpretationen getroffen werden. Dabei sind falsche Interpretationen weniger schlimm als die Annahme falscher Voraussetzungen. Ein Rechenfehler in einer mathematischen Gleichung kann schnell gefunden werden. Ist hingegen die Gleichung falsch aufgestellt, wird das Ergebnis trotz richtiger Rechnung falsch bleiben.[8] Im Laufe der Zeit verändern sich viele Umstände, was dazu führt, dass ursprüngliche Interpretationen obsolet und Entscheidungen angepasst oder sogar verworfen werden müssen. Sind aber nicht einmal die Voraussetzungen bekannt oder klar, kann es passieren, dass falsche Entscheidungen überhaupt nicht geändert werden, obwohl sich die Dinge verändert haben. Falsche oder unbekannte Voraussetzungen führen häufig zu ambivalenten Entscheidungen, die unter Umständen sinnvoll erscheinen, es aber nicht sind.[9]
Bei praktisch allen Entscheidungen ist am Schluss ein Kompromiss notwendig. Dies ist so lange auch kein Problem, so lange richtige und nicht falsche Kompromisse getroffen werden. Ein richtiger Kompromiss ist nur möglich, wenn man zuvor weiß, was richtig ist. Beginnt man im Entscheidungsprozess mit Überlegungen, was akzeptabel oder annehmbar ist, statt mit der Untersuchung, was richtig ist, wird man im einen Fall vielleicht schlussendlich wie Drucker meint ein halbes Brot im anderen Fall aber ein halbes Baby haben. Ein halbes Brot ist annehmbar, ein halbes Baby ist schlimmer als gar kein Baby. Man muss also herausfinden, was man zB zerteilen kann und was nicht. Dennoch ist natürlich ein halbes Brot mehr als kein Brot. Der Entscheidungsträger bewegt sich hier zwischen einem angemessenen Maß an Risikobereitschaft und den notwendigen Konzessionen an einen Pragmatismus. Waghalsigkeit und Machbarkeit sind auszusteuern, nicht zuletzt um auch das Unternehmen für die Entscheidungen gewinnen zu können.[10] Beginnt man Kompromisse zu suchen, bevor man Klarheit über die Richtigkeit einer Entscheidung hat, gehen wichtige Punkte verloren und es reduziert sich die Chance einer effektiven Entscheidung gravierend.[11]
Die Einschätzung von Rahmenbedingungen ist schwierig, die Umsetzung von Entscheidungen in effektives Handeln ist zeitraubend. Erst wenn die Entscheidung von jemandem in die Realität umgesetzt wird, ist eine Entscheidung mehr als eine gute Absicht. Stehen keine ausreichenden Mittel zur Verfügung, wird man über die guten Absichten nicht hinaus kommen.[12] Im Rahmen der Entscheidungsfindung muss zusätzlich der Handlungsbezug geklärt werden, wer von der Entscheidung zu informieren, wer für die Umsetzung verantwortlich und wer in der Lage ist, die Entscheidungsinhalte in einer konkreten Form zu realisieren. Müssen Menschen zum Zweck der Entscheidungsumsetzung ihr Verhalten, ihre Gewohnheiten und Einstellungen ändern, ist eine Einschätzung des Handlungsbezuges umso dringlicher.[13] Dabei ist aber zu beachten, dass falsche Entscheidungen oft aus Bequemlichkeit oder auch aus Furcht vor Widerständen getroffen werden.
Schließlich ist ein Feedbackprozess mit Kontrollinstrumentarien und einem ausreichenden Informationsfluss unabdingbar, da sich Umstände und Verhältnisse ständig ändern. Pläne sind geduldig und haben kein Eigenleben, die Realität verändert sich aber unablässig. Drucker empfiehlt daher jeder Führungskraft, regelmäßig die Realität aufzusuchen, um feststellen zu können, ob die Entscheidungsgrundlagen noch gültig sind oder sich verändert haben. Viele schlechte Entscheidungen haben mit mangelnden Kenntnissen des Unternehmensumfeldes zu tun.[14] Vision und Praxis müssen in ein Gleichgewicht gebracht werden.
Wirklich wichtige Entscheidungen sind schließlich von einer Führungskraft zu treffen. Nur sie ist in der Lage, dies zu tun. Nach Drucker sollen Entscheidungen jenen Managern überlassen werden, die mehr über das Thema wissen oder mit den Angelegenheiten unmittelbar befasst sind. Dabei sind Wissen und Erfahrung eines Entscheiders mit dessen Führungsreichweite auszusteuern, um die Autorität der Entscheidung zu sichern. Entscheidungen müssen daher auf der richtigen Unternehmensebene unter Einbindung jener Personen erfolgen, von denen die Entscheidung umzusetzen ist, auch wenn sie keine direkte Entscheidungsbefugnis haben. Die Umsetzer kennen die Situation mit ihren Chancen und Hindernissen und werden durch die Einbindung in den Entscheidungsprozess motiviert, die Entscheidung auch mit zu tragen. In diesem Zusammenhang sollte niemals die oft negative Einflussnahme einflussreicher Teilnehmer in Entscheidungsgesprächen unterschätzt werden. Gleiche Augenhöhe in einer hierarchischen Struktur ist hier die Herausforderung.[15] Das Top-Management ist nur dann gefragt, wenn Entscheidungen eventuell rasch rückgängig gemacht werden müssen, die Anzahl der betroffenen Mitarbeiter oder Abteilungen groß ist, soziale Überlegungen eine entscheidende Rolle spielen oder ein Präzedenzfall durch die Entscheidung geschaffen wird.[16]
Generell ist lt. Drucker auch noch zu beachten, dass sich heute Ereignisse schnell verändern und vielfach eine Entscheidung schon überholt ist, bevor deren Umsetzung begonnen hat. Unsicherheiten haben sich in den heutigen Märkten vergrößert und Gestaltungsspielräume verengt, wodurch es schwieriger wird, Risiken richtig einzuschätzen. Aus diesem Grund sind ironischerweise im Zeitalter der Information Intuition und Urteilsvermögen wichtiger als je zuvor, was aber keinesfalls bedeutet, dass Entscheidungen nicht auf Fakten basieren und aus dem Bauch heraus getroffen werden sollten. Doch vielfach verhindern enge Zeitfenster und dürftige Informationslagen eine ausreichende Faktenlage in Entscheidungssituationen mit dringlichem Handlungsbedarf.[17] Darüber hinaus werden Informationen und Stimuli, die nicht auf die Logik und die Sprache von Computern reduzibel und damit quantifizierbar sind, häufig übersehen oder missachtet. Man erkennt zwar die Fakten, ist aber anderen Wahrnehmungsinhalten gegenüber blind, die aber Wirkung haben und die Balance in einem Unternehmen beeinträchtigen können.[18]