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Gesamte Inhalte:

© Dr. Christoph Paul Stock

 

3.1 Rationales Handlungsmodell

 

Das Handlungsmodell wird auf Grundlage der Handlungs- und Bedeutungstheorie von Donald Davidson beschrieben, da seine Theorie zur Erklärung von Handlungen immer noch als Standardtheorie gilt.

In einem ersten Schritt geht Davidson davon aus, dass Handlungen Ereignisse sind, die im Verlauf der Veränderungen der Welt als unwiederholbare Singularität durch bestimmte Ursachen und darauf folgende Wirkungen bestimmt sind. Ereignisse stehen in einem Kausalzusammenhang. Es kann also logisch geprüft werden, wie ein Ereignis durch ein oder mehrere vorausgehende Ereignisse verursacht worden ist. Davidson nimmt in einem weiteren Schritt an, dass nicht alle Ereignisse Handlungen sind, da Handlungen einen Akteur benötigen und zB Vulkanausbrüche und Sturmfluten ohne einen Akteur geschehen. In einem dritten Schritt legt Davidson fest, dass eine Handlung ein Ereignis der absichtlichen Verursachung durch einen Akteur ist. Nun kann ein Akteur absichtlich aber auch unabsichtlich oder versehentlich handeln. Muss der Akteur mitten in der Nacht niesen und weckt durch diese Handlung eine schlafende Person, ist dieser Akt ein Ereignis ohne Absicht des Akteurs. Schlägt der Akteur hingegen eine Türe in der Nacht zu und weckt dadurch versehentlich eine andere Person, ist dieses Verhalten vom Akteur zu vertreten. Davidson spricht hier von Absichtlichkeit, der Autor würde es als mangelnde Sorgfalt bezeichnen, die dem Akteur zuzurechnen ist. Davidsons Zugang ist jener, dass Ereignisse in unterschiedlicher Weise beschrieben werden können und sich daraus verstehen lässt, ob ein Ereignis einem absichtlichen Tun eines Akteurs entspringt oder nicht. Es macht einen Unterschied, ob das Handeln eines Managers in der Form beschrieben wird, dass er die Leistung eines Mitarbeiters ständig kritisiert, um dessen Ausscheiden aus dem Betrieb zu erreichen, oder dass er die Leistungen kritisiert und diese Nörgelei die Kündigung des Mitarbeiters verursacht oder dass der Mitarbeiter das Unternehmen verlässt, weil er den Manager als Mensch nicht leiden kann. Im ersten Fall besteht eine handelnde Absicht, im zweiten Fall wird zwar das Ausscheiden nicht absichtlich verfolgt, muss aber dem Manager als zu vertretende Handlung zugerechnet werden, im dritten Fall besteht keine Absicht und Zurechenbarkeit und damit auch keine Handlung des Managers. Davidson würde im ersten und zweiten Fall lediglich den Begriff der Absichtlichkeit verwenden, da er absichtliche Handlungen nicht als Teilmenge von Handlungen sieht und nach seinem Verständnis jede Handlung absichtlich durchgeführt wird. Die Absichten mögen sich unterscheiden, bleiben aber Absichten.[1]

Dem Autor erscheint hier das juristische Konzept der Zurechenbarkeit mehr Klarheit zu bringen.[2] Wie auch immer, Davidsons Konzept verlangt für absichtliches Tun, dass etwas aus einem Grund heraus getan wird und sich so von einem Verhalten wie dem Niesen abgrenzen lässt. In einem vierten Schritt argumentiert Davidson, dass Handlungen durch „Pro-Einstellungen“ und eine entsprechende Überzeugung erklärbar sind. „Pro-Einstellungen“ sind Wünsche, Begehren, Impulse, Reize, moralische Ansichten, ästhetische Grundsätze, ökonomische Vorurteile, etc. des Handelnden, soweit sie als Einstellungen für das Handeln gedeutet werden können.[3] Dabei hat der Akteur durch sein Wissen, seine Wahrnehmung oder Erinnerung die Überzeugung, dass seine Handlung der Art der „Pro-Einstellung“ entspricht. Die Pro-Einstellung bildet gemeinsam mit der Überzeugung einen „Primärgrund“, aus dem sich ergibt, warum das, was der Handelnde tut, vernünftig erscheint. Aus dem „Primärgrund“ folgt das Interesse des Handelnden an einer Handlung und es lässt sich ableiten, weshalb der Akteur  die Handlung für das geeignete Mittel erachtet, um seine Wünsche zu erreichen. „Primärgrund“ und Handlung sind kohärent. Für den Entscheider ist es angesichts des „Primärgrundes“ rational, genau so zu handeln, wie er handelt. Darüber hinaus behauptet Davidson, dass der „Primärgrund“ das Handeln nicht nur rationalisiert, sondern auch verursacht.[4]

Die bisherigen Überlegungen gehen vom einzelnen Akteur und damit von einem subjektiven Standpunkt aus. Davidsons Sichtweise bleibt aber nicht im Subjektiven verhaftet, sondern nimmt eine prinzipielle Entsprechung  der Handlungen von Personen an. Menschen geht es darum, das Verhalten anderer Menschen als sinnvoll verstehen zu können und eigenes Verhalten für andere Menschen zumindest meistens begreifbar zu gestalten. Das Verhalten ist grundsätzlich mit Bezug zu den Wünschen und Überzeugungen der Menschen rational, indem Menschen bestimmte Prinzipien beachten und beobachtetes menschliches Verhalten wohlwollend dahingehend interpretieren, dass angenommen wird, möglichst viel von dem, was eine Person für wahr hält, ist auch wahr, und die Aussagen, die eine Person für wahr hält, sind im Allgemeinen in sich schlüssig und miteinander konsistent. Erst durch die Unterstellung von Rationalität können nach Davidsons Ansicht, Handlungen anderer Akteure überhaupt verstanden werden.[5] Da Menschen in derselben Welt leben, dürfen sie nach Davidsons Prinzip der Konsistenz annehmen, dass ihre Überzeugungen vom Gegenüber verstanden werden können, weil sie weitgehend übereinstimmen. Dies ist natürlich nur möglich, wenn sich Menschen an Prinzipien wie die von ihm verwendeten Prinzipien der Kohärenz und Konsistenz halten, die Davidson „Principles of Charity“[6] nennt und zu denen er auch Rudolf Carnaps „Prinzip der Gesamtheit der Belege“ mit dem Ratschlag, jene Hypothese zu wählen, für die alles in allem die Gründe sprechen, Willard Van Orman Quines „Prinzip der Erhaltung“, wonach man ceteris paribus so wenige Erwartungen wie möglich ändern sollte, die Prinzipien der Entscheidungslogik[7] und die Prädikatenlogik erster Stufe[8] zählt.[9] Nach Davidson erlaubt erst dieser rationale Rahmen die Bildung von Einstellungen über die Welt, ermöglicht eine verbindende Klammer zwischen den Bedeutungsinhalten und dem Handeln und macht eine Unterscheidung zwischen rationalem und irrationalem Verhalten möglich. Würde das Verhalten von Menschen nicht in den meisten Fällen mit ihren Überzeugungen rational kohärent sein, könnten Überzeugungen von anderen nicht verstanden werden. Nur im Kontext einer großen Anzahl konsistenter Überzeugungen, eines durchgängigen Musters der Rationalität, kann die Inkohärenz einer Irrationalität erkannt und verstanden werden. Nach Davidson ist die Rationalität für das Denken und Handeln und damit die Akteursqualität konstitutiv.[10]

Doch die Unterstellung der Rationalität reicht nicht aus, um menschliches Handeln verstehen zu können. Menschen haben nicht rein zufällig Überzeugungen. Ihre Überzeugungen bilden sich durch die Beobachtung von Abläufe, Begebenheiten und Zusammenhänge in der Welt. Sagt jemand zB dass es regnet, tut er dies nicht beliebig, sondern deshalb, weil es tatsächlich regnet. „Überzeugungen sind nämlich, so Davidson, nicht unabhängig davon, wie die Welt beschaffen ist, sondern sie werden dadurch kausal bestimmt, und so darf der Interpret schon deshalb, weil er und der Sprecher in derselben Welt leben, annehmen, dass seine Überzeugungen mit denen des Sprechers weitgehend übereinstimmen.“[11] Damit verwendet Davidson eine Wahrheits- und eine Konsistenzunterstellung um über das „Prinzip der wohlwollenden Interpretation“ Rückschlüsse von Bedeutungen auf Handlungen zu ermöglichen.[12] In diesem Sinne ist Davidsons Theorie auch kontextsensitiv und die rationalen Operationen ermöglichen ein Verständnis menschlicher Artefakte, Handlungen und Sprechakte.

In Davidsons Theorie machen Einstellungen, die er „Primärgrund“ nennt, nicht nur die Handlung mit Hilfe der Rationalitätsunterstellung verständlich, sondern verursachen nach seiner Ansicht auch das Handeln des Akteurs kausal. Er schließt also von der Einstellung direkt auf die Handlung. Gründe definieren nicht nur Handlungen, sondern sind auch deren auslösender Faktor. Damit würden aber zahlreiche Handlungen durch Einstellungen und Überzeugungen bestimmt, die weit in der Vergangenheit gebildet wurden und jetzt plötzlich zu einer Handlungsaktivierung führen. Dies erscheint wenig plausibel und widerspricht zB empirischen Untersuchungen von Martin Fishbein und Icek Ajzen, die zeigten, dass Einstellungen alleine nicht zwingend eine Handlung nach sich ziehen.[13] Etwas anderes muss die latenten Einstellungen aktivieren. Das rationale Konzept Davidsons verweigert sich noch einer Überschreitung der Grenze in den Raum jener Motive, die nicht allein durch rationale Operationen, sondern neben kognitiven durch emotionale, reaktive, konative und intuitive Prozesse handlungsaktivierend sind. Auch wenn wir diese Motive nur rational verstehen können, sind sie doch mehr als nur gedankliche Bewegungen. Sie sind Ausdruck eines unerschöpflichen Lebens.


[1] Vgl. bei: Spitzley, T.: Handlung, Rationalität und Bedeutung, in: Frings, A./Marx, J. (Hrsg.):  Erzählen, Erklären, Verstehen. Beiträge zur Wissenschaftstheorie und Methodologie der Historischen Kulturwissenschaften, Akademie Verlag GmbH, 2008, S. 97 ff
[2] Da es bei der Frage der Absichtlichkeit nicht um ein Urteil über den Akt, sondern um ein Urteil über den Akteur geht, könnten die juristischen Regeln über die subjektive Vorwerfbarkeit von rechtlich relevanten Handlungen im Kontext des Schadenersatz- und Strafrechts helfen, klarer zu definieren, was mit den Begriffen Absicht, Versehen, aktives Tun und Unterlassen gemeint ist und in welchem Bezug zum Handeln sie stehen.
[3] Vgl. zu den „Pro-Einstellungen“ in: Glüer, K.: Donald Davidson zur Einführung, 1. Auflage, Junius Verlag GmbH, Hamburg, 1993, S. 88 f
[4] Vgl. bei: Spitzley, T.: Handlung, Rationalität und Bedeutung, in: Frings, A./Marx, J. (Hrsg.):  Erzählen, Erklären, Verstehen. Beiträge zur Wissenschaftstheorie und Methodologie der Historischen Kulturwissenschaften, Akademie Verlag GmbH, 2008, S. 100
[5] Vgl. dazu in: Glüer, K.: Donald Davidson zur Einführung, 1. Auflage, Junius Verlag GmbH, Hamburg, 1993, S. 65
[6] Vgl. zum „Principle of Charity“ in: Ibid., S. 63 ff
[7] Zu den Axiomen der Entscheidungslogik gehören unter anderen die Präferenzordnung und die Transitivität.
[8] Die Prädikatenlogik untersucht die innere Struktur einer Aussage. Dabei handelt es sich um Aussagen, in denen Gegenständen Eigenschaften zu- oder abgesprochen werden. Es werden also die Aussagen nicht nur selbst, sondern auch ihre Binnenstruktur analysiert. Solange keine Quantifizierung erfolgt, spricht man von Prädikatenlogik erster Stufe. Vgl. dazu in Brockhaus-Enzyklopädie, Artikel zur Prädikatenlogik, 18. Auflage, Mannheim, 1988, Band 17, S. 434 und in Brockhaus-Enzyklopädie, Artikel zur Logik, 18. Auflage, Mannheim, 1988, Band 13, S. 486 ff
[9] Vgl. bei: Spitzley, T.: Handlung, Rationalität und Bedeutung, in: Frings, A./Marx, J. (Hrsg.):  Erzählen, Erklären, Verstehen. Beiträge zur Wissenschaftstheorie und Methodologie der Historischen Kulturwissenschaften, Akademie Verlag GmbH, 2008, S. 103 f
[10] Vgl. dazu auch bei: Behnke, J./Bräuninger, t./Shikano, S. (Hrsg.): Jahrbuch für Handlungs- und Entscheidungstheorie, Band 6: Schwerpunkt Neuere Entwicklungen des Konzepts der Rationalität und ihrer Anwendungen, 1. Auflage, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2010, S. 88 f
[11] Spitzley, T.: Handlung, Rationalität und Bedeutung, in: Frings, A./Marx, J. (Hrsg.):  Erzählen, Erklären, Verstehen. Beiträge zur Wissenschaftstheorie und Methodologie der Historischen Kulturwissenschaften, Akademie Verlag GmbH, 2008, S. 107
[12] Vgl. in: Glüer, K.: Donald Davidson zur Einführung, 1. Auflage, Junius Verlag GmbH, Hamburg, 1993, S. 76
[13] Martin Fishbein und Icek Ajzen habe eine „Theorie des begründeten Handelns“ entwickelt, in der angenommen wird, dass Verhalten durch Verhaltensdispositionen bestimmt wird. Die Vorhersage dieser Dispositionen ist durch relevante Einstellungen, normative Erwartungen und eine wahrgenommene Verhaltenskontrolle bestimmt. Die Verhaltenskontrolle wird mit berücksichtigt, da die Bildung einer Verhaltensabsicht und die Ausführung des Verhaltens von förderlichen Randbedingungen abhängen. Ohne entsprechende Fähigkeiten kann eine Einstellung nicht in Verhalten umgesetzt werden und ohne passende Gelegenheit ist dies ebenfalls nicht möglich. So manches Verhalten ist auch zwanghaft und entzieht sich so der Verhaltenskontrolle. Fishbein und Ajzen bezeichneten diese erweiterte Form ihrer Theorie als „Theorie des geplanten Verhaltens“. Vgl. in: Bierhoff H.W.: Psychologie prosozialen Verhaltens: Warum wir anderen helfen, 2. Auflage, W. Kohlhammer GmbH + Co. KG, Stuttgart, 2010, S. 93 f. „The most that can be said is that various factors influence intentions, but the basis for their effects is not well understood, and it is usually impossible to tell in advance what, if anything, the effects of a given variable will be. … there is no necessary relation between traditional measures of attitude toward some object and intentions to perform any given behavior with respect to that object.“ Fishbein, M./Ajzen, I.: Belief, Attitude, Intention, and Behavior: An Introduction to Theory and Research. Reading, MA: Addison-Wesley, 1995, S. 333. Buch ist vergriffen. Internetzugriff am 20.03.2012 unter http://home.comcast.net/~icek.aizen/book/ch7.pdf
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