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Gesamte Inhalte:

© Dr. Christoph Paul Stock

 

4.1.1 Vernetztheit

 

Sind Variablen nicht vernetzt, bleiben sie isolierte Einzelstücke. In dem Moment, in dem sich die Variable zumindest auf sich selbst rückkoppelt bzw. sich mit einer weiteren Variable in Verbindung setzt, entsteht ein System. Variablen können in unterschiedlichen Intensitätsgraden miteinander vernetzt sein. Die Vernetztheit der Fahrzeugreifen mit einem Auto ist relativ einfach. Ist ein Reifen defekt, lässt er sich rasch und problemlos wechseln. Die Problematik ist gut überschaubar. Ist hingegen ein Kolbenring im Motor des Fahrzeuges gebrochen und haben die geborstenen Teile Schäden an den Zylindern, Einspritzdüsen und der Kurbelwelle verursacht, wird die Reparatur auf Grund der großen Anzahl unterschiedlicher Funktionen, die mitgedacht werden müssen, kompliziert. In den gerade beschriebenen Fällen haben wir es noch nicht wirklich mit komplexen Systemen zu tun, auch wenn so manch technisches Gerät nur mehr von echten Spezialisten begriffen und durchschaut werden kann, bleibt es doch eine Vielzahl verbundener Einzelteile. Die gerade angesprochenen Vernetzungen sind technomorph und folgen dem Grundmodell der Maschine. Jeder Teil wird nach einem genauen vorgefertigten Plan konstruiert und einem bestehenden Bauplan zusammengefügt. Große Teile unserer Zivilisation bauen auf diesem sehr erfolgreichen Modell auf. Dementsprechend wird auch vielfach versucht, alle Probleme nach diesem Muster zu lösen. Doch die Tatsache, dass eine Methode in vielen Bereichen erfolgreich angewendet wird, belegt noch nicht ihre Tauglichkeit für alle Bereiche. Der Versuch, zB soziale Organisationen technomorph gestalten und steuern zu wollen, in dem alles  durch detaillierte und im Voraus erstellte Pläne und Konzepte festgelegt wird, ist zum Scheitern verurteilt.

Die Natur hat ein anderes Modell entwickelt, um Komplexität zu beherrschen: dabei handelt es sich um den Organismus. Selbst sehr einfache Organismen lassen sich nicht im technomorphen Sinn konstruieren. Sie sind in einem systemisch-evolutionären Vorgang entstanden, der nicht eine detaillierte Konstruktion nutzt, sondern Bedingungen schafft und Gestaltungen vornimmt, die es dem Organismus ermöglichen, sich eigendynamisch in die richtige Richtung zu entfalten.[1] Immanuel Kant hat diese Unterscheidung zwischen technomorpher und systemisch-evolutionärer Kraft wie folgt beschrieben: „Wo die Teile letzte Teile, endlich an Zahl, und als Teile leblose Materie sind, da liegt eine Maschine vor, die durch einen endlichen Verstand, wenn auch noch so kompliziert, erdacht, konstruiert, aus leblosem Stoffe hergestellt werden kann. Sie bedarf der Beaufsichtigung und Wiederherstellung durch den Konstrukteur. … Dagegen ist im Organismus alles sich wechselweise Ursache und Wirkung, in seinem Betrieb und in seiner Form. Bis in die kleinsten Teile ist er immer noch Leben. Eine Maschine hat bloß bewegende Kraft, der Organismus bildende Kraft“[2]

Auch wenn bei der Untersuchung des Organismus Kausalzusammenhänge zu erkennen sind, die durch Physik und Chemie beschrieben werden, sind diese Kausalzusammenhänge doch nicht das Leben selbst.[3]

In sozialen Systemen, wie sie Unternehmen darstellen, lassen sich Zwischenmenschliche Beziehungen nicht konstruieren, doch Bedingungen können geschaffen werden, die ein gutes Organisationsklima begünstigen, in dem Achtung voreinander, Respekt füreinander, Vertrauen ineinander gegeben sind und so Motivation und Leistung miteinander entstehen können. Diese sozialen Vernetzungen haben einen anderen Charakter. Sie entstehen unter den gegebenen Bedingungen spontan und sind zwar das Ergebnis menschlichen Handelns aber nicht eines menschlichen Entwurfs. Selbst wenn Menschen absichtsvoll und konkret soziale Systeme und zwischenmenschliche Interaktion gestalten und entwickeln, weichen die Ergebnisse in fast allen Fällen mal stärker und mal schwächer von den ursprünglichen Absichten oder Plänen ab, weil unzählige Einflussfaktoren im menschlichen Handeln unerwünschte und ungewollte Nebenwirkungen zeitigen. Die technischen Systeme und sehr einfache soziale Systeme entspringen absichtsvollem menschlichem Handeln. Die meisten komplexen sozialen Systeme und Institutionen, wie Familie, Gesellschaft, Unternehmung, Religionsgemeinschaft, Sprache, Recht, Moral, Geld, etc. entspringen zwar auch menschlichem Handeln doch ohne menschliche Absicht. Der Mensch ist nicht nur und vielleicht sogar weniger deshalb erfolgreich, weil er sein Leben versteht und Einsicht nehmen kann, in das, was rund um ihn herum geschieht, sondern weil sein Verhalten von Mechanismen und Normen gesteuert wird, die sich nicht nur aus individuellen Erfahrungen der einzelnen Individuen speisen, sondern die kodierte Erfahrung eines Evolutionsprozesses von Tausenden früheren Generationen sind und es so Menschen ermöglichen, zu handeln, bevor sie sich Zusammenhänge wirklich bewusst machen oder ohne sich überhaupt Zusammenhänge ins Bewusstsein rufen zu können.[4]

Hier haben wir es mit einer Vernetztheit zu tun, bei der es unmöglich ist, vorher zu sagen, wie Individuen auf Eingriffe ins System reagieren und welche Individuen besonders begünstigt werden und welche nicht. Es bleibt nur die Möglichkeit, sich zu bemühen, Bedingungen zu schaffen, die eine Entfaltungsmöglichkeit mit Bezug zu individuellen und unternehmerischen Zielen fördern.


[1] Vgl. dazu bei: Malik, F.: Systemisches Management, Evolution, Selbstorganisation, 4. Auflage, Haupt Verlag, Bern/Stuttgart/Wien, 2003, S. 44 f
[2] Jaspers, K.: Die großen Philosophen, Piper Verlag GmbH, München, 2007, S. 90 f
[3] Vgl. bei Jaspers, K.: Die großen Philosophen, Piper Verlag GmbH, München, 2007, S. 91
[4] Vgl. bei: Malik, F.: Strategie des Managements komplexer Systeme, 9. Auflage, Haupt Verlag, Bern/Stuttgart/Wien, 2006, S. 220 f
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