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Gesamte Inhalte:

© Dr. Christoph Paul Stock

 

4.2 Ashby’s Law of Requisite Variety (Das Gesetz der erforderlichen Varietät)

 

Systeme können Zustände einnehmen, die gewünscht oder unerwünscht sind. Die Kontrolle über Systeme geht verloren, wenn es nicht mehr gelingt, das System daran zu hindern, dass es sich in Zustände bewegt, die den verfolgten Zielen widersprechen und unwillkommene Folgen zeitigen.[1]

Es ist das Ziel in sehr verkehrsreichen Städten und auf stark befahrenen Infrastruktureinrichtungen, den Verkehrsfluss aufrecht zu erhalten und Staus und Verkehrsbehinderungen zu vermeiden. Ist das Verkehrsaufkommen gering, reicht zur Steuerung von Kreuzungsbereichen, die neuralgisch für die Bildung von Verkehrsproblemen sind, die Regel aus, dass der rechtskommende Verkehr vor dem linkskommenden Vorrang hat. Erhöht sich das Aufkommen des Verkehrs, wird es notwendig, den Verkehrsteilnehmern auf jenen Straßen, die hoch frequentiert sind, einen Vorrang einzuräumen, um den Verkehrsfluss aufrecht zu erhalten. Wird der Verkehrsfluss auf Straßen mit Vorrang zu dicht, kann ein reibungsloser Ablauf nur mehr durch einen Verkehrspolizisten oder ein entsprechend justiertes Ampelsystem gewährleistet werden, die sicher stellen, dass der Verkehr von bestimmten Straßenzügen kommend zeitlich alternierend angehalten und anschließend wieder durchgelassen wird, so dass je nach Verkehrsaufkommen auf den verschiedenen Straßenzügen ein möglichst rasches Durchfließen trotz des zeitweisen Anhaltens der Verkehrsteilnehmer möglich ist. Stadt eines Polizisten oder einer Ampel kann auch ein Kreisverkehr genutzt werden, dessen Aufnahme- und Verteilungskapazität je nach Bauweise unterschiedlich ist, aber ein sehr einfaches und effektives Instrument der Verkehrssteuerung darstellt, weil er vorgegebene Regeln mit flexiblen Problemlösungskapazitäten der beteiligten Verkehrsteilnehmer kombiniert. In diesem Beispiel sind zwei unterschiedliche Varietäten zu erkennen. Einmal variieren das Aufkommen und die Dichte des Verkehrs und dann auch die Nutzung von Regeln und Einrichtungen, die den Verkehr steuern. Es wird aus diesem Beispiel auch ersichtlich, dass die Varietät der Regelungseinrichtungen zunehmen muss, wenn die Varietät des Verkehrs zunimmt.

Ross Ashby hat auf Grund der Untersuchung komplexer Systeme dieser Art eine Gesetzmäßigkeit der Kybernetik erkannt, die nach ihm als „Ashby’s Law of Requisite Variety“ benannt wurde und zum Ausdruck bringt, dass ein System mit gegebener Komplexität nur mit einem mindestens ebenso komplexen System unter Kontrolle gebracht werden kann. Ashby drückte es bildlich so aus: „Only variety can destroy variety“.[2] Nur Varietät kann Varietät absorbieren. Dementsprechend braucht ein funktionierender Rechtsstaat ausreichend viele und detailliert geregelte Gesetze und Normen, die all jene Lebensbereiche ordnen, in denen die Freiheit der Willkür des einen Menschen durch die Freiheit der Willkür des anderen einer Ordnung bedarf.[3] Sind die Gesetze und Normen in Zahl, Genauigkeit und Auslegung im Verhältnis zur Varietät auftretender Rechtsfragen unzureichend, die rechtlichen Institutionen nicht entsprechend organisiert, handlungsfähig und vertrauenswürdig, um Rechtskonflikte zu klären, und schließlich die Juristen nicht gut genug ausgebildet und zu wenig erfahren, um versiert mit der Rechtsmaterie mit Bezug zur Anwendung im Rechtsverkehr und zur Rechtsdurchsetzung im institutionell vorgegebenen Rechtssystem umzugehen, übersteigt die Varietät der Rechtsprobleme die Varietät der rechtlichen Problemlösungskapazitäten in einem Staat, was die Rechtsstaatlichkeit und damit den Rechtsfrieden in Frage stellt. Unerwünschte Nebenwirkungen sind dann zB Korruption und Politjustiz. „Ashby’s Law of Requisite Variety“ bedeutet aber auch, dass die Beseitigung bestehender Mechanismen zur Komplexitätsreduktion wie zB der mannigfaltigen Unterdrückungsmechanismen in Diktaturen mit der entstehenden zusätzlichen Freiheit der Menschen auch die Varietät des Regelungsbedarfes erhöht und nach einer ausreichend komplexen Gestaltung verlangt, die entsprechend vielfältige Strukturen der Gewaltenteilung für eine pluralistische und demokratische Gesellschaft zu schaffen vermag. Schließlich kann ein Unternehmen auch nur dann kreativ und innovativ in vielen verschiedenen Produktions- und Leistungsfeldern tätig werden, wenn die Varietät sich rasch wandelnder und entwickelnder Umfeldbedingungen in der Steuerungskapazität der Führungskräfte und der dynamischen Kapazität zur Verhaltensanpassung der Mitarbeiter eine ausreichende Varietätsentsprechung findet.[4]


[1] Vgl. bei: Malik, F.: Strategie des Managements komplexer Systeme, 9. Auflage, Haupt Verlag, Bern/Stuttgart/Wien, 2006, S. 191 f
[2] Ashby, R.: An Introduction to Cybernetics, Chapman & Hall Ltd., London, 1956, S. 207
[3] Vgl. zum Kant‘schen Rechtsbegriff bei: Höffe, O.: Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Akademie Verlag GmbH, Berlin, 1999, S. 41 ff
[4] Vgl. zur Frage strategischer Planung von Innovation bei: Jones, G. R./Bouncken, R. B.: Organisation. Theorie, Design und Wandel, 5. Auflage, Person Education Deutschland GmbH, München, 2008, S. 816 ff
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