
K O N T A K T

Gesamte Inhalte:
© Dr. Christoph Paul Stock
4.3 Maßnahmen zur Komplexitätsreduktion
Wie gerade beschrieben, ist es eine Grundvoraussetzung der Stabilisierung komplexer Systemen, dass eine ausreichende Varietät an Verhaltensmöglichkeiten zur Verfügung steht, um eine Stabilität des Systems zu gewährleisten. Werden zu einfache Steuerungsmechanismen im Verhältnis zur Varietät des Systems verwendet, entsteht ein Ungleichgewicht mit unerwünschten Folgen. Über „Ashby’s Gesetz“ hinaus gibt es noch eine Reihe weiterer Empfehlungen aus der Systemtheorie, die beim Umgang mit komplexen Systemen berücksichtigt werden sollten:
Ein Grundsatz besagt, dass man Regelungsschleifen nicht öffnen sollte, um die Lösung eines isolierten Problems zielgerichtet mit einer bestimmten Maßnahme anzugehen. Man vermeint mit der Aktion direkt den unerwünschten Effekt kontrollieren zu können. Auch wenn solche Aktionen auf kurze Sicht gesehen das anvisierte Problem lösen, können auf lange Sicht betrachtet gravierend nachteilige Folgen in anderen Systembereichen entstehen.[1]
Komplexe Systeme leisten oft Widerstand gegen Maßnahmen. Dabei ist es wichtig herauszufinden, welche Maßnahmen eine Verstärkung und welche eine Hemmung gewünschter Entwicklungen verursachen. Nicht selten hat ein fein erwogener Mix aus verschiedenen Maßnahmen die beste Wirkung. Systemanalysen und Simulationen können helfen, die Verstärker und Hemmer zu finden und zu bewerten.[2]
Die Natur nutzt in vielen Fällen Automatismen, die als „plastische Steuerungen“ bezeichnet werden können, um häufig auftretende Systemereignisse zu kontrollieren. Wenn zB ein sitzender Mensch aufsteht, wird das unmittelbar entstehende Körperungleichgewicht durch eine automatische Anpassung diverser Muskelkontraktionen ausgesteuert. Dieser Prozess läuft nicht nur automatisch, sondern auch unbewusst ab. Jede kleine Abweichung wird durch Fehlerelimination berichtigt.[3] Die Nutzung solcher Automatismen in Unternehmen kann heute noch wenig realisiert werden.[4]
Es muss im Zusammenhang mit der Komplexitätsbeherrschung erkannt werden, dass bestimmte Beschränkungen notwendig aufrecht erhalten werden müssen, um zu verhindern, dass sich Systeme in eine ungewollte Richtung entwickeln.
In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass Heterogenität und Diversität Grundvoraussetzungen für Kreativität und Organisation auf höherer Ebene sind. Es muss aber mit Fingerspitzengefühl darauf geachtet werden, dass der Individualismus der Gruppenmitglieder nicht überhandnimmt und eine fruchtbringende Teamarbeit verhindert. In umgekehrter Richtung ist natürlich darauf Bedacht zu nehmen, dass nicht zu homogene Strukturen entstehen, die Veränderungsresistenzen und Beharrungstendenzen verstärken.[5]
Es ist von Vorteil, wenn sich System in einem vernünftigen Ausmaß Angriffen von außen aussetzen. Wie bei einer Impfung werden dadurch die Abwehrfähigkeiten gestärkt und geschult und eine Anpassung an Umweltveränderungen ermöglicht. Strukturen können angepasst, Vorurteile, Vor- und Einstellungen reflektiert und neue Ideen geboren werden.[6]
Ein komplexes System verlangt viel eher nach Rahmenbedingungen, strategischen Zielvorgaben und einem zeitgemäßem Controlling als nach detaillierten Programmen. In der Kybernetik wird hier zwischen einem Servomechanismus und einer starr programmierten Maschine unterschieden. Die Maschine muss für alle eventuell eintretenden Umstände programmiert werden. Tritt eine Situation ein, für die sie nicht programmiert wurde, funktioniert sie nicht richtig. Einem Servomechanismus muss ein klar beschriebenes Ziel und ein Kontrollmechanismus gegeben werden, um flexibel auf komplexe Situationen reagieren zu können. Um in der Führung von Menschen Imagination, Engagement und Eigenverantwortung nicht zu sehr zu beschränken, empfiehlt es sich, nicht alle Tätigkeiten detailliert anzuleiten und vorzugeben, sondern durch Vereinbarung von Zielen, eine entsprechende Zurverfügungstellung von Mitteln für die Zielverfolgung und die Formulierung von Zeitpunkten für die Erreichung von Ergebnissen flexibel Rahmenvorgaben zu bestimmen.[7]
Komplexe Systeme verlangen nach der Fähigkeit, Kräfte des Selbstmanagements zu nutzen. Die Führung sollte weniger von einem Selbstverständnis des „Ingenieurs- und Macherdenkens“ ausgehen, sondern vielmehr von einer bescheideneren Sichtweise der Einflussnahme auf Personal und soziale Einheiten.[8] So wie der Energieeinsatz einer Person, die eine große Maschine steuert, im Vergleich zur Macht und Kontrolle gering ist, die sie mit Hilfe der Maschine zum Einsatz bringt, sollten auch Führungskräfte lernen, stärker über Kommunikation und Information die Abläufe in Unternehmen zu steuern als durch direkte Eingriffe und detaillierte Anweisungen auf operativer Ebene. Im unmittelbaren Geschäft sollten sich die Mitarbeiter im Sinne einer Autogestion selbst managen lernen.
In komplexen Systemen spielt Zeit eine entscheidende Rolle. Jedes System hat seine eigene Reaktionszeit bestimmt durch seine speziellen Charakteristika der systemimmanenten Rückkoppelungsschleifen, Verzögerungsfaktoren und Trägheitsparameter. Aus diesem Grund macht es oft keinen Sinn, einfach auf Geschwindigkeit zu setzen, um so durch Druck bessere Ergebnisse zu erreichen. In großen Systemen spielt viel eher ein Gespür für den richtigen Zeitpunkt eine Rolle. Kann der innere Rhythmus für die zeitliche Aussteuerung von Aktionen und Tätigkeiten richtig genutzt werden, bringen komplexe Systeme weit bessere Ergebnisse zustande als wenn ihnen eine bestimmte Zeitvorgabe quasi von außen aufoktroyiert wird.[9]