top of page
Lebensurbild%20Muster5_edited_edited.png

Gesamte Inhalte:

© Dr. Christoph Paul Stock

 

5.3.3 Gedächtniskonstruktion (falsche Erinnerungen)

 

Viele Menschen behaupten, sich genau daran erinnern zu können, wie sie über die Terroranschläge vom 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten erfahren haben; so auch der damalige Präsident der Vereinigten Staaten George W. Bush. Der Präsident sagte, er habe im Fernsehen gesehen, wie ein Flugzeug gegen einen Turm des World Trade Centers geprallt war. Da aber den Einschlag des ersten Flugzeuges in den Turm des World Trade Centers niemand im Fernsehen gesehen haben konnte, gab diese Aussage Anlass zu Verschwörungstheorien. Entgegen diesen Theorien wird man die Ungereimtheiten der Antworten eher als ein einprägsames Beispiel einer Gedächtniskonstruktion verstehen müssen, die im konkreten Fall die Form einer falschen Blitzlichterinnerung angenommen hat.[1]

In zwei klassischen Experimenten von Loftus u. Palmer wurde nachgewiesen, wie Augenzeugen in ähnlicher Weise ihre Erinnerungen rekonstruieren. Den Versuchspersonen wurden Filme mit Autounfällen vorgespielt und diese anschließend zu den Ereignissen befragt, die in den Filmen zu sehen waren. Die Ereignisse wurden unterschiedlich erinnert, je nachdem wie die Fragen zum Verkehrsunfall gestellt wurden. Bei der Fragestellung "Wie schnell die Autos fuhren, als sie ineinander krachten?" wurde die Geschwindigkeit von den Versuchspersonen weit höher eingeschätzt als bei der Frage „Wie schnell die Autos fuhren, als sie zusammenstießen?“ (im Original: „smashed into each other“ versus „hit each other“). Eine Woche später wurden die Versuchspersonen befragt, ob sie sich erinnern könnten, Glassplitter gesehen zu haben, obwohl im Film keine Glassplitter erkennbar waren. Mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit antworteten jene Personen, Glassplitter gesehen zu haben, die das Verb „smashed“ als jene die das Verb „hit“ gehört hatten.[2] Wird Versuchspersonen eine Fehlinformation geliefert, erinnern sie sich anders wie wenn ihnen keine falsche Information gegeben wird. Dieser „Fehlinformationseffekt“ führt zu einer Erinnerung, die es der Versuchsperson nicht mehr ermöglicht, zwischen dem tatsächlichen Ereignis und dem suggerierten Ereignis zu unterscheiden. Die Lücken unserer Erinnerungen werden mit plausiblen Vermutungen und Ahnungen gefüllt. Zusätzlich ist uns dieser Effekt nicht bewusst.

Falsche Erinnerungen können auch dadurch entstehen, dass man sich immer wieder Handlungen und Ereignisse vorstellt, die es gar nicht gibt. Der Grund für die Vorstellungsinflation liegt darin begründet, dass ähnliche Hirnregionen aktiviert werden, wenn man Dinge und Ereignisse visualisiert und wenn man sie tatsächlich wahrnimmt. Eine Erinnerung kann also eine Reproduktion aber auch eine Rekonstruktion sein. Ein wichtiger Unterschied liegt aber darin, dass Erinnerungen, die aus unserer eigenen Erfahrung stammen, mehr Einzelheiten aufweisen als jene, die unserer Fantasie entspringen. Dies hat entscheidende Bedeutung für das Vorgehen bei Befragungen von Zeugen und Verdächtigen und verlangt nach einem sehr sensiblen Vorgehen bei der Nutzung von Techniken zur „Gedächtnisarbeit“ wie „geführten Imaginationen“, Hypnosen oder Traumdeutungen.


[1] Greenberg, D.L.: President Bush's false ,flashbulb’ memory of 9/11/01, Applied Cognitive Psychology, Volume 18, Issue 3, S. 363-370. Internetzugriff am 09.01.2012 unter http://dx.doi.org/10.1002/acp.1016
[2] Elizabeth F. /Loftus, E.F./Palmer, J.C.: Reconstruction of automobile destruction: An example of the interaction between language and memory, Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior, Volume 13, Issue 5, S. 585-589. Internetzugriff am 09.01.2012 unter http://dx.doi.org/10.1016/S0022-5371(74)80011-3
© Christoph Paul Stock | Wien | 2025 | All rights reserved!
lebensurbild_begriffswolke_6.png
bottom of page