5.3.8 Falschvorhersage der eigenen Gefühle
Viele Dinge, die wir verfolgen und für die wir uns entscheiden, machen wir deshalb, weil wir davon ausgehen, dass sie unser Gefühl des Glücks im Leben und unsere Zufriedenheit mit dem Leben steigern werden. Wir streben nach Reichtum, weil wir glauben, dass wir mit mehr Geld und Wohlstand glücklicher sind. Wir versuchen die Besten und Erfolgreichsten zu sein, weil wir davon ausgehen, dass wir durch den Vergleich zu den anderen uns besser und zufriedener fühlen werden. Zweifelsohne sind Menschen, die einen gewissen Wohlstand erreicht haben, in einer glücklicheren Situation als jene, die nicht in der Lage sind, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Doch Studien zeigen, dass längerfristig gesehen, größerer Reichtum das Glücksgefühl eines Menschen kaum beeinflusst.[1] Auch der Vergleich mit anderen Menschen mag uns glücklicher machen, wenn wir erkennen, dass es uns graduell besser geht als jenen, mit denen wir uns vergleichen. Doch ab einem gewissen Standard macht ein Vergleich mit jenen, die auf einer unteren Stufe stehen, keinen Sinn mehr. Man beginnt sich mit jenen auf der gleichen oder auf einer höheren Stufe zu vergleich und rasch hat sich das Glücksgefühl verflüchtigt.[2] Unsere emotionalen Hochs und Tiefs haben ein kurzes Leben. Glück ist relativ und nur der Kontrast zu einem bestimmten Ausgangsniveau, das wir durch unsere Vorerfahrungen bestimmt haben, verursacht zeitlich begrenzt, dass wir glücklicher und zufriedener oder unglücklicher und unzufriedener sind.[3]
Untersuchungen zeigen, dass belastende Ereignisse, wie intensive konfliktbeladene Auseinandersetzungen, ein krankes Kind oder Probleme mit dem Auto tatsächlich die Laune eines Menschen verschlechtern. Interessant daran ist aber, dass diese schlechte Laune schon am nächsten Tag wieder verflogen ist und sich Menschen nach den überstandenen negativen Ereignissen vielfach besser fühlen als gewöhnlich.[4]
Das relativ rasche Verschwinden negativer Gefühle gilt nicht nur für unbedeutende negative Ereignisse in einem zeitlich kurzen Zusammenhang, sondern auch für einschneidende und lang dauernde manchmal irreversible Schicksalsschläge. Patienten, denen die Diagnose gestellt wurde, dass sie HIV-positiv sind, waren anfänglich niedergeschmettert. Doch schon nach 5 Wochen hatten sich die Patienten an die Diagnose gewöhnt und waren nicht so verstört, als sie selbst angenommen hatten.[5] Eine schwerwiegende Behinderung vermindert sicher das Glücklich-Sein im Vergleich zu Durchschnittsmenschen. Aber behinderte Menschen sind sehr viel glücklicher und haben einen viel stärkeren Willen, ihr Leben zu meistern und zu leben, als allgemein angenommen wird.[6]
Über einen längeren Zeitraum betrachtet, gleichen sich unsere emotionalen Hochs und Tiefs aus. Die Erwartung, wie sich unsere Gefühle in Zukunft darstellen werden, gehen oft in die Irre. Hier führt uns die Intuition in eine falsche Richtung und bedingt häufig ein Streben nach Glück, das sich trotz dem Erreichen der gesteckten Ziele nicht einstellen will.[7]
[1] In den Vereinigten Staaten hat sich die Kaufkraft seit den 1950er Jahren fast verdreifacht, dennoch gibt der durchschnittliche Amerikaner nicht an, dass er glücklicher ist. Mit Bezug zu Scheidungs- und Suizidraten und dem Ansteigen von Depressionen geht es den Amerikanern heute sogar schlechter. Vgl. dazu bei: Diener, E./Biswas-Diener, R.: Will Money Increase Subjective Well-Being? A literature review and guide to needed research, Social Indicators Research, Volume 57, Issue 2, 2002, S. 119-169, Internetzugriff am 15.01.2012 unter http://www.deepdyve.com/lp/springer-journals/will-money-increase-subjective-well-being-KzXmV705u1
[2] Vgl. dazu: Suls, J./ Tesch, F.: Students' Preferences for Information About Their Test Performance: A Social Comparison Study, Journal of Applied Social Psychology, Volume 8, Issue 2, 1978, S.189-197. Internetzugriff am 15. 01.2012 unter http://dx.doi.org/10.1111/j.1559-1816.1978.tb00776.x
[3]„Helson (1898-1977) erklärte, dass wir unseren ,subjektiven Nullpunkt‘ - also den Punkt, an dem sich Geräusche weder laut noch leise anhören, Temperaturen weder heiß noch kalt und Ereignisse weder positiv noch negativ sind - aufgrund unserer Erfahrungen festlegen. Von diesem Niveau aus registrieren wir Abweichungen nach oben und unten und reagieren darauf. Wenn sich unser momentaner Zustand - unser Einkommen, unsere Durchschnittsnote oder unser soziales Prestige - verbessert, fühlen wir uns für einen Augenblick glücklicher. Dann aber passen wir uns an die neue Situation an, wir gewöhnen uns daran und finden bald darauf noch etwas noch Besseres, was uns noch glücklicher machen könnte.“ Myers, D.G.: Psychologie, 2. Auflage, Springer Medizin Verlag, Heidelberg, 2008, S. 581
[4] Vgl. bei: Affleck, G./Tennen, H./Urrows, S./Higgins, P.: Person and contextual features of daily stress reactivity: Individual differences in relations to undesirable daily events with mood disturbance and chronic pain intensity, Journal of Personality and Social Psychology, Volume 66, Issue 2, 1994, S. 329-340. Internetzugriff am 15.01.2012 unter http://dx.doi.org/10.1037/0022-3514.66.2.329
[5] Vgl. bei: Sieff, E.M./Dawes, R.M./Loewenstein, G.: Anticipated versus actual reaction to HIV test results, American Journal of Psychology, Volume 112, Issue 2, 1999, S. 297-313. Internetzugriff am 15.01.2012 unter http://www.jstor.org/pss/1423355. Siehe zu Entwicklungen nach Schicksalsschlägen bei: Gerhart, K.A./Koziol-McLain, J./Lowenstein, S.R./Gale G. Whiteneck, G.G.: Quality of Life Following Spinal Cord Injury: Knowledge and Attitudes of Emergency Care Providers, Annals of Emergency Medicine, Volume 23, Issue 4, 1994, S. 807-812. Internetzugriff am 15.01.2012 unter http://www.annemergmed.com/article/S0196-0644(94)70318-3/abstract. Siehe zur Frage der Einschätzung der Lebensqualität von ALS-Patienten bei: Kübler, A./Winter, S./Ludolph, A.C./Hautzinger, M./Birbaumer, N.: Severity of Depressive Symptoms and Quality of Life in Patients with Amyotrophic Lateral Sclerosis, neurorehabilitation and neural repair, Volume 19, Issue 3, 2005, S. 182-193. Internetzugriff am 15.01.2012 unter http://dx.doi.org/10.1177/1545968305276583
[6] Vgl. bei: Lucas, R. E.: Long-term disability has lasting effects on subjective well-being: Evidence from two nationally representative longitudinal studies, Journal of Personality and Social Psychology,Volume 92, Issue 4, 2007, S. 717-730. Internetzugriff am 15.01.2012 unter http://dx.doi.org/10.1037/0022-3514.92.4.717
[7] Vgl. bei: Myers, D.G.: Psychologie, 2. Auflage, Springer Medizin Verlag, Heidelberg, 2008, S. 576 ff. Vgl. zur Frage der Steigerung des Bruttosozialglücks im Königreich Bhutan bei: Diener, E./Diener, M./Diener, C.: Factors predicting the subjective well-being of nations, Journal of Personality and Social Psychology, Volume 69, Issue 5, 1995, S. 851-864. Internetzugriff am 15.01.2012 unter http://dx.doi.org/10.1037/0022-3514.69.5.851. Sieh auch: „Gross National Happiness". The Centre for Bhutan Studies. Internetseite: http://grossnationalhappiness.com. Internetzugriff am 15.01.2012.