top of page
Lebensurbild%20Muster5_edited_edited.png

Gesamte Inhalte:

© Dr. Christoph Paul Stock

 

5.3.9 Selbstwertdienliche Verzerrung

 

Als „selbstwertdienliche Verzerrung“ („self-serving-bias“) versteht man in der Sozialpsychologie die Tendenz, sich selbst in einem günstigen Licht zu sehen bzw. darzustellen. In diesem Licht übernehmen Menschen eher Verantwortung für gute Taten als für schlechte und mehr für Erfolge als für Misserfolge. Dabei werden eigene Erfolge im Zweifelsfall eher inneren Ursachen wie Fähigkeiten und Fertigkeiten und Misserfolge eher äußeren Ursachen wie Situationen, dem Zufall, der Stärke und Überlegenheit des Gegners zugeschrieben. Sind Menschen nicht in der Lage, sich selbst zu verbessern, werden Fehler extern attribuiert, ist eine Entfaltung von Potentialen und damit Verbesserung möglich, attribuieren Menschen ihre Fehler auch auf innere Ursachen. Häufig wird auf Vorwände und Beschönigungen zurückgegriffen und in manchen Fällen bewusst und systematisch versucht, einen bestimmten Eindruck zu vermitteln.[1]

Die Beschönigungen führen wohl auch dazu, dass sich die meisten Menschen für besser als den Durchschnitt halten. Dies hängt auch eng mit der „Akteur-Beobachter-Divergenz“ zusammen. Die Handlungen anderer Personen werden eher auf deren Persönlichkeit attribuiert, die eigenen hingegen eher mit der speziellen Situation begründet. In diesem Sinn verursachen „selbstwertdienliche Verzerrungen“ Attributionsfehler und haben gerade dann einen durchaus selbstwertstützenden Effekt, wenn eigenes Verhalten als Scheitern gewertet werden muss.[2] In Fällen, in denen die Gefahr des Scheiterns weniger mit beherrschbaren als mit schicksalshaften Faktoren zusammenhängt, wie dies bei Katastrophen, Krankheiten und Verbrechen der Fall ist, werden vielfach Defensivattributionen genutzt, die zB auf „Gerechte-Welt-Hypothesen“ aufbauend die Illusion generieren, dass die Opfer selbst in irgendeiner Weise Schuld an ihrem Schicksal seien und dessen Eintreten durch deren eigenen Beitrag zumindest mit verursacht worden ist. Im Gegensatz zu einer solchen Immunisierung gegen unkontrollierbare negative Lebensereignisse durch die Abwertung der Opfer geben Opfer nicht selten sich selbst die Schuld, weil sie vermeintlich annehmen, so eine Wiederholung negativer Ereignisse in der Zukunft vermeiden zu können.[3]

Die „selbstwertdienliche Verzerrung“ ermöglicht in verschiedenen Situationen auch die Vermeidung „kognitiver Dissonanzen“, bei denen trotz verstärkter Anstrengungen mit einem neuerlichen Versagen zu rechnen ist. Umgekehrt kann durch die Verweigerung, mangelnde eigene Fähigkeiten und Fertigkeiten als Ursache für schlechte Leistungen anzuerkennen, eine Steigerung des Bemühens um bessere Leistungen verhindert werden.

Die „selbstwertdienliche Verzerrung“ führt nicht selten auch zu einem unrealistischen Optimismus, bei dem die Mehrheit der Menschen glaubt, mehr positive als negative Erlebnisse zu haben.[4]

Darüber hinaus verleitet die „selbstwertdienliche Verzerrung“ oft dazu, in eigene Urteile und Überzeugungen ein übertriebenes Vertrauen zu setzen, das eigene Handeln in seiner Vorbildlichkeit zu überschätzen, Informationen über sich selbst einseitig positiv auszuwählen, eigene Schwächen zu unter- und eigene Stärken zu überschätzen und die eigene Gruppe als überlegen anzusehen.[5] Nach außen wird vielfach eine Selbsterniedrigung genutzt, um beruhigende Streicheleinheiten hervorzulocken oder sich selbst auf Niederlagen vorzubereiten.[6]

Die Intensität der „selbstwertdienlichen Verzerrungen“ hängt sicher auch damit zusammen, ob jemand ein defensives oder ein sicheres Selbstwertgefühl hat.[7] Dabei ist eine leicht selbstbekräftigende Illusion einem positiven Selbstwertgefühl sicher dienlich und noch weit davon entfernt, einer überzogenen Selbstgerechtigkeit Vorschub zu leisten.[8]

Der sehr tiefliegende Mechanismus der „selbstwertdienlichen Verzerrung“ kann besonders dann in die Irre führen, wenn eine möglichst realistische Einschätzung der eigenen Möglichkeiten und Kapazitäten Grundvoraussetzung für eine solide Entscheidung ist. In diesem Zusammenhang kann ein intuitives Vorgehen gravierende Probleme verursachen.


[1] Vgl. bei: Myers, D.G.: Psychologie, 2. Auflage, Springer Medizin Verlag, Heidelberg, 2008, S. 629 ff; vgl. auch bei: Duval, T.S./Silvia, P.J.: Self-awareness, probability of improvement, and the self-serving bias, Journal of Personality and Social Psychology, Volume 82, Issue 1, 2002, S. 49-61. Internetzugriff am 19.01.2012 unter http:// dx.doi.org/10.1037/0022-3514.82.1.49
[2] Duval, T.S./Silvia, P.J.: Self-awareness, probability of improvement, and the self-serving bias, Journal of Personality and Social Psychology, Volume 82, Issue 1, 2002, S. 49-61. Internetzugriff am 19.01.2012 unter http:// dx.doi.org/10.1037/0022-3514.82.1.49
[3] Bierhoff, H.W.: Sozialpsychologie, 6. Auflage, Verlag W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart, 2006, 153 ff
[4] Weinstein, N.D.: Unrealistic optimism about future life events, Journal of Personality and Social Psychology, Volume 39, Issue 5, 1980, S.806-820. Internetzugriff am 19.01.2012 unter http://dx.doi.org/10.1037/0022-3514.39.5.806
[5] Vgl. bei: Myers, D.G.: Psychologie, 2. Auflage, Springer Medizin Verlag, Heidelberg, 2008, S. 630 f
[6] Vgl. bei: Ibid., S. 631
[7] Kernis, M.H.: Toward a Conceptualization of Optimal Self-Esteem, Psychological Inquiry, Volume 14, Issue 1, 2003, S. 1-26. Internetzugriff am 19.01.2012 unter http://www.google.at/url?sa=t&rct=j&q=kernis%20toward%20a%20conceptualization%20psychological%20inquiry&source=web&cd=1&sqi=2&ved=0CCQQFjAA&url=http%3A%2F%2Facademic.udayton.edu%2Fjackbauer%2FReadings%2520595%2FKernis%252003%2520opt%2520s-esteem%2520authenticity.pdf&ei=ZdEXT-6eI8eAtQbbvO1L&usg=AFQjCNEiR-dk_p05SMEc1vSkX5W3bto20g
[8] Taylor, S.E./ Lerner, J.S./ Sherman, D.K./ Sage, R.M./ McDowell, N.K.: Portrait of the self-enhancer: Well adjusted and well liked or maladjusted and friendless?, Journal of Personality and Social Psychology, Volume 84, Issue 1, 2003, S. 165-176. Internetzugriff am 19.01.2012 unter http://dx.doi.org/ 10.1037/0022-3514.84.1.165
© Christoph Paul Stock | Wien | 2025 | All rights reserved!
lebensurbild_begriffswolke_6.png
bottom of page