
K O N T A K T

Gesamte Inhalte:
© Dr. Christoph Paul Stock
6.1 Zwischen Determinismus und Willkür
Gottfried Wilhelm Leibnitz verfolgte den Traum, eine universelle und streng logische Sprache zu entdecken, mit deren Hilfe ohne Missverständnisse und ohne umständliche Rationalisierungen, umstrittene Kontroversen und lange Streitigkeiten zwischen unterschiedlichen Meinungsschulen im Sinne eines göttlichen Kalküls in einer einzigen Berechnung die Natur der Dinge erfasst werden könnte.[1] In diesem Sinn entwickelte auch der Marquis De Laplace eine Vorstellung, die als „Laplacescher Dämon“ oder „Laplacescher Geist“ bekannt ist und die Fiktion beschreibt, dass es eine übermenschliche Intelligenz gibt, die im Sinne der mechanistischen Vorstellung eines geschlossenen Weltsystems in der Lage ist, das gesamte Weltgeschehen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft genau zu berechnen, wenn für einen bestimmten Augenblick die Lage sämtlicher Partikel im Universum und deren Geschwindigkeit bekannt wäre.[2] Dieser „physikalische Determinismus“ erschien in der Geschichte unbeweisbar und unerreichbar.[3] Mit der Newtonschen Theorie schien sich die Situation zu ändern. Sie erlaubte nicht nur die Bewegungen der Planeten und ihrer Bahnen, sondern auch die Bewegung von Körpern auf der Erde wie fallende Äpfel, Geschosse und Pendeluhren zu berechnen und die Gezeiten zu erklären. Dieser physikalische Determinismus verlangt ohne Ausnahme eine vollständige und unendlich genaue physikalische Vorherbestimmung, die mit der Entdeckung der Quantenphysik stark ins Wanken geraten ist.
David Hume vertrat mit Bezug zum Determinismus die Ansicht, dass gleiche Ursachen stets gleiche Wirkungen hervorrufen und umgekehrt aus gleichen Wirkungen notwendig gleiche Ursachen entspringen. Für das menschliche Handeln bedeutet dies aus seiner Sicht, dass unsere Handlungen aus unserem Charakter und unseren Motiven ableitbar sind und es auch in jenen Fällen, in denen uns dies nicht gelingt, eine Ableitung grundsätzlich möglich ist, wenn alle situationsrelevanten Bedingungen, die vorherrschenden Stimmungen und Quellen der geheimsten Neigungen vollständig bekannt wären.[4] Demnach wären also unser Handeln und Wollen und unser Geschmack durch unsere eigenen Gene, unsere Umwelt, unsere persönliche Geschichte und unsere Vorlieben psychologisch determiniert. Doch diese Ursachen sind so unbestimmt, dass sie mit einem physikalischen Determinismus nicht verglichen werden können, da dieser eine unendlich genaue Vorherbestimmung verlangt. Humes Formel „Jedes Ereignis hat eine Ursache“ sagt nichts über die Genauigkeit der Methode aus und da die Differentialgleichungen der Newtonschen Physik in keiner Weise mit den behavioristischen Gesetzen geschweige denn mit Grundsätzen andere psychologischer Richtungen vergleichbar sind und ein Bezug über den Behaviorismus hinaus auf die Physiologie letzten Endes wieder auf die Physik zurückführen würde, sind der „physikalische Determinismus“ und der von Hume beschriebene Determinismus von ihrem Wesen her grundverschieden. Was als „psychologischer Determinismus“ bezeichnet wird ist schließlich und endlich ein Indeterminismus, der schon seinem Charakter nach nicht durch die Beseitigung der Unwissenheit zu einer Erreichung vollständiger Kenntnis des betrachteten psychischen Zusammenhangs führen kann. Es ist ein utopischer Traum der Psychologie, es der Physik mit ihren mathematischen Methoden gleich tun zu wollen und es ist ein Segen, dass eine solche Determinierung offensichtlich nicht existiert, weil wir sonst allesamt lediglich Automaten ohne schöpferische Kraft wären. Wäre die Psychologie im Sinn eines „physikalischen Determinismus“ berechenbar, müssten wir über die Determinierung psychologischer Zusammenhänge und Gegebenheiten nicht mehr diskutieren, denn alle auf Überzeugungen gegründeten Argumente wären auf rein physikalische Bedingungen zurückführbar. Jede richtige Erkenntnis und jede Täuschung würde sich aus einem physikalischen Zustand ergeben. Alles Argumentieren wäre ohne Sinn, da ohnehin determiniert.[5]
Der „physikalische Determinismus“, wie ihn die Newtonsche Theorie nahe legte, wurde durch die Heisenbergsche Unschärferelation in Frage gestellt, da es nach dieser Unbestimmtheitsrelation unmöglich ist, für ein Teilchen gleichzeitig dessen Impuls und dessen Ort beliebig genau zu messen. Quantenmechanisch können nur Wahrscheinlichkeitsaussagen gemacht werden, wodurch der Zufall in der physikalischen Welt plötzlich eine entscheidende Rolle spielt.[6] Mit der Zufälligkeit entsteht aber wiederum ein Problem im Zusammenhang mit den Fragen nach der Freiheit und Verantwortung des Menschen. Je höher der Grad der Zufälligkeit desto mehr nimmt die Zurechenbarkeit von Verantwortung ab und der Grad der Verantwortungslosigkeit zu.[7] Je größer der Zufallsfaktor ist, umso schwerer wird es, richtige Entscheidungen zu treffen. Nach Karl R. Popper ist die Quanten-Willkür eine schwache Basis für ein rationales menschliches Verhalten. Welchen Zustand ein Quantum einnimmt, entspricht eher dem Zufall eines Münzenwurfes als einer rationalen menschlichen Entscheidung. Aus diesem Grund ist nicht nur der „physikalische Determinismus“, sondern auch die „Quanten-Willkür“ mit ihren „Schnappschuss-Entscheidungen“ ein ausgesprochen unbefriedigendes Analogon für menschliches Handeln, Wollen und Entscheiden. Determinismus und Zufall stellen eher die extremen Pole einer Dynamik dar, innerhalb derer sich die Phänomene des Lebens bewegen.[8] Ein hochwertiger Chronograph mit rubingelagerten Uhrwerk wird auf Grund seiner Genauigkeit und Präzision und der recht geringen Reibung durch den Einsatz von Edelsteinen dem „physikalischen Determinismus“ recht nahe kommen, obgleich auch hier eine absolute Genauigkeit auf Grund noch immer bestehender Reibung unerreichbar bleibt. Statistische und zufällige Einflüsse spielen weiter eine Rolle. Umgekehrt wird man das Wettersystem eher dem gegenüber liegenden Spektrum der Zufälligkeit zuordnen, obwohl es uns doch mal besser und mal schlechter möglich ist, das Wetter auf kürzere Zeiträume hin vorherzusagen. Diese Genauigkeit lässt sich aber in keiner Weise mit jener der Uhr vergleichen. Was es braucht und hier stimmt der Autor Popper absolut zu, ist ein Zwischending, das seinem Charakter nach zwischen reinem Zufall und reinem Determinismus liegt, weil es sonst keine Verantwortung im Entscheidungsprozess und damit keine Entscheidungsfreiheit gibt.[9]