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Von der objektiven zur non-dualen Erkenntnis

 

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© Dr. Christoph Paul Stock

 

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Die Illusion eines unabhängigen Selbst

 

Wenn wir uns gesund und fit fühlen, erfolgreich sind und die Welt im Griff zu haben scheinen, entwickeln wir nicht selten das Gefühl, dass wir unabhängig von der Welt wären, mehr oder weniger autark und getrennt von ihr leben und sie einfach nur nach unseren Wünschen nutzen bzw. benutzen könnten. Wir erfahren uns dann nicht als von der Welt abhängigen und mit der Welt verbundenen Teil, sondern als den Herrn der Welt. Wir möchten über die Welt herrschen.

 

Die Energie der Erhaltung weist uns darauf hin, dass wir kein unabhängiges Selbst haben.

 

Unser Herzschlag wird im Wachstumsprozess des menschlichen Embryos vom Leben initiiert. Unsere Atmung setzt bei unserer Geburt ein. Wir werden nun nicht mehr über den Blutkreislauf der Mutter, sondern über unsere Lungen mit Sauerstoff versorgt und können über diesen Weg Kohlendioxid aus unserem Körper in die Umgebung abgeben. Mit der Atmung erfolgt ein unmittelbarer Austausch mit unserer Umgebung. Ganz einfach betrachtet, könnte man sagen, wir atmen Kohlendioxid aus, die Bäume atmen Kohlendioxid ein und atmen Sauerstoff aus, den wir wiederum einatmen. Wir stehen in einem Austauschprozess der Gase mit der gesamten Welt. Nicht anders ist es mit anderen Kreisläufen in unserem Leben, die uns permanent mit unserer Umwelt und dem Weltganzen verbinden und unser Leben erhalten. Wir sind ein integraler Bestandteil dieser Welt. In diesem Sinn ist Autonomie eine Illusion.

 

Der Versuch vom Leben und der Welt unabhängig zu sein, erschafft eine chronische Unzufriedenheit, weil wir nach einem Zustand streben, der nicht möglich ist. Es ist kein Zufall, dass uns die spirituellen Meister immer wieder dazu auffordern, unseren Atem zu beobachten. Durch diese Beobachtung können wir unserer Verbundenheit mit der Welt gewahr werden. Wir können lernen, nicht jemand zu sein, sondern im Leben zu sein. So können wir lernen, mit dem zufrieden zu sein, was uns das Leben gegeben hat.

 

Die Versuchung, unabhängig zu sein, bewirkt, dass wir ständig unseren eigenen Vorstellungen folgen und alles, was uns begegnet, nach diesen Vorstellungen beurteilen und zensieren. Wir sehen in der Welt nur das, was unseren Vorstellungen und Prägungen entspricht. Für die anderen Dinge werden wir blind. Wir haben die Welt segmentiert. Das erzeugt ein ausgesprochen verengtes Verantwortungsgefühl. Geht die Segmentierung sehr weit, kümmern wir uns nur mehr um uns selbst. Ist die Segmentierung weniger krass, hat zumindest das, was uns lieb und teuer ist Bedeutung. So sehen wir uns verantwortlich für unsere Liebsten und Verwandten, unsere Freunde und unser näheres Umfeld, nehmen aber alles andere als fremd wahr. Wenn es uns gelingt, unsere Wahrnehmung und unser Verantwortungsgefühl weiter zu öffnen, werden für uns auch Dinge wichtig, die nicht nur in unserer Umgebung passieren, sondern die in unserem Staat oder in unserer Weltregion von Bedeutung sind. Wer sein Verantwortungsgefühl noch weiter öffnet, fühlt sich auch dafür verantwortlich, was in der ganzen Welt passiert. Es entsteht eine Verbundenheit mit der Welt und darüber hinaus mit dem ganzen Kosmos. Man könnte nun fragen, wie man sich für den ganzen Kosmos verantwortlich fühlen kann, man ist doch nicht der liebe Gott! Verantwortung in diesem Sinn bedeutet nicht, dass man die Welt und den Kosmos beherrscht und steuert. Es bedeutet, dass man offen wird für alle Eindrücke, die aus dem Weltganzen auf einen zukommen. Man selektiert und zensiert sie nicht vorschnell und lässt ihre Wirkung zu. Bei vielen Dingen wird man zwar wissen, dass sie vorhanden sind, gleichzeitig erkennt man aber, dass man nicht weiß, ob und was man mit diesen Dingen tun oder anfangen soll. Statt sie zu verdrängen und beiseitezuschieben, kann man sie so stehen lassen, wie sie sind. Vielleicht kann man auf diese Dinge heute nicht antworten, doch es kann sich morgen eine Antwort finden. Bei anderen Dingen wird man erkennen, dass man nichts tun kann. Doch auch wenn man nichts tun kann, bleibt es möglich, zu diesen Dingen eine bestimmte Haltung einzunehmen und damit Verantwortung zu übernehmen. Es mag so erscheinen, als hätte die eigene Haltung keine Bedeutung. Doch so klein die eigene Haltung auch sein mag, sie bewirkt etwas im großen Ozean des Seins, da wir mit allem verbunden sind. Bei wieder anderen Dingen wird sich die Frage stellen, ob etwas zu tun ist. Es geschieht ein Unfall und eine Person ist verletzt. Man könnte sagen, die Person kenne ich nicht und deshalb habe ich nichts damit zu tun. Wenn man sich für die Welt verantwortlich fühlt und offener ist, wird man sich sagen, ich könnte auch diese Person sein und würde hoffen, dass mir eine fremde Person hilft. In diesem Fall wird man sich engagieren. Man wird versuchen, festzustellen, was man tun kann. In einem Fall wird man vielleicht direkt bei der Versorgung der verletzten Person helfen, in einem anderen Fall traut man sich diese Hilfe nicht zu, ist aber in der Lage, Hilfe zu organisieren. Wieder in einem anderen Fall haben schon andere Hilfe geholt und sich um die Versorgung der Person gekümmert. Dann geht es vielleicht einfach darum, nicht nur die Situation sensationslüstern zu begaffen und im Weg zu stehen, sondern wahres Mitgefühl für die betroffene Person und die ihr helfenden Personen zu haben und diese Menschen durch die eigene Anteilnahme zu unterstützen.

 

Unsere Ressourcen und Möglichkeiten sind immer begrenzt. Daher können wir die Welt und den Kosmos nicht beherrschen. Aber als Teil des Großen und Ganzen können wir an allem, was uns begegnet, teilnehmen und in jeder Situation entscheiden, welchen Beitrag wir leisten können und müssen. Unser Beitrag für und in der Welt zählt, welche Form und welchen Inhalt dieser Beitrag auch immer annehmen mag. Nur so können wir die Trägheit, die einem mangelnden Verantwortungsgefühl entspringt, überwinden. Von der Welt abhängig zu sein, bedeutet nicht, sich von der Welt einfach erhalten zu lassen. Es bedeutet nach eigenen Möglichkeiten und Kräften in der Welt mitzuwirken. Denn nur unser eigenes Wirken bewahrt uns davor, auf etwas Stolz zu sein, für dessen Existenz wir keinen Beitrag geleistet haben.

© Christoph Paul Stock | Wien | 2025 | All rights reserved!
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