
K O N T A K T
Von der objektiven zur non-dualen Erkenntnis

Gesamte Inhalte:
© Dr. Christoph Paul Stock
Die rein objektive Erkenntnis
Man hört heute oft die Aussage, dass die Wissenschaft das beste Erkenntnisinstrument ist, das wir haben. Sie nutzt den Verstand, der Hypothesen, Annahmen und Konzepte entwickelt, die dann über die sinnliche Wahrnehmung durch Beobachtung verifiziert und falsifiziert werden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind wie neugierige Kinder und wollen die Welt entdecken. Sie suchen das Unbekannte in einem unermüdlichen Forschergeist und wollen erkennen, was da draußen in der Welt oder da drinnen in den Dingen ist. Die Wissenschaft hat geholfen, den Aberglauben zu überwinden, mit fixierten Vorstellungen aufzuräumen und unendlich viele Dinge zu erklären, die in früheren Zeiten als Wille Gottes, Schicksal, Heil oder Unheil bezeichnet wurden. Die Wissenschaft räumt mit Vorurteilen und Vorlieben auf und zeigt uns in einem nüchternen Blick, der Verstandes- und Sinneswelt vereint, eine Welt, die wir uns bisher nicht vorstellen oder ausmalen konnten. Wer hätte je die Dynamik der evolutiven Entstehung der Arten vor ihrer Entdeckung und Untersuchung glauben können? Wer hätte sich vorstellen können, wie die Codierung der Erbinformation aussieht und in welchem unvorstellbaren Prozess das Leben Variationen unter Einbeziehung von Mutationen ins Leben treten lässt? Kaum jemand ist in der Lage, das Konzept einer Raum-Zeit, in der Zeit genauso relativ ist wie Entfernungen, zu verstehen und doch beweist uns die moderne Technik, dass dieses Konzept der Relativitätstheorie die Realität abbildet. Wer kann die Prozesse begreifen, die auf der subatomaren Ebene ablaufen, in der Wellen Teilchen und Teilchen Wellen sind? Die Erkenntnisse aus diesen Bereichen stellen nicht nur unser rationales Denken in Frage, sondern widersprechen auch unserer Alltagsintuition vollständig. Würde nicht die Mathematik die Theorien so genau und akkurat bestätigen, wir würden die Quantenmechanik als Verwirrung des Geistes wahrscheinlich verwerfen. Sie ist das, was nicht sein darf und dennoch ist. Die Kraft der objektiven Erkenntnis ist enorm. Sie ist der Motor unserer modernen technisierten Wissensgesellschaft. Sie ist das Rückgrat unserer modernen Zivilisation.
Das Fundament der wissenschaftlichen Arbeit sind Gütekriterien, die mit ihr verbunden sind. Die zentralen Gütekriterien in der quantitativen Forschung sind Objektivität, Reliabilität und Validität. In der qualitativen Forschung gibt es noch keine standardisierten Gütekriterien. Transparenz, Intersubjektivität und Reichweite werden hier immer wieder als wichtige Kriterien genannt.
Objektiv ist eine Forschung, wenn die Forschenden keinen Einfluss auf den Forschungsprozess ausüben. Kann die Forschung reproduziert werden, spricht man von Reliabilität. Messungen unter gleichen Rahmenbedingungen ergeben durchgeführt durch verschiedene Forscherinnen und Forscher die gleichen bzw. ähnliche Ergebnisse. Eine Messung ist valide, wenn sie tatsächlich das misst, was sie messen soll und nicht irgendetwas anderes. Dadurch liefert die Forschung glaubwürdige Ergebnisse. Diese Gütekriterien versuchen die Forschung möglichst objektbezogen zu machen. Die Rolle des Subjekts soll ausgeklammert und ein unvermittelter Blick auf das Objekt möglich werden. Die möglichst scharfe Trennung von Objekt und Subjekt ist die eigentliche Zielrichtung, die verfolgt wird. Das Ergebnis soll also unabhängig vom jeweils forschenden Subjekt nachprüfbar sein. Die Forscherin und der Forscher sollen aus der Forschung quasi verschwinden.
Quantitative Forschung konzentriert sich auf das Sammeln und Analysieren numerisch fassbarer Informationen, um mit diesen Daten Hypothesen zu testen. Qualitative Forschung legt den Fokus auf nicht-numerische Daten, mit deren Hilfe man versucht, Erfahrungen zu verstehen.
Im qualitativen Bereich werden Daten subjektiv gewonnen und dann diskutiert und reflektiert. Die so gewonnen Ergebnisse müssen für andere plausibel nachvollziehbar gemacht werden. Das Ergebnis wird als Interpretationsmöglichkeit dargestellt. Die forschende Person muss also gut reflektiert sein. Nur unter diesen Voraussetzungen ist eine qualitative Forschung intersubjektiv und gewährleistet im Sinn einer gewissen Objektivität, dass sich an der Forschung interessierte Personen eine eigene Meinung zum Forschungsgegenstand bilden können.
Neben dieser Intersubjektivität wird Transparenz verlangt. Das bedeutet, Arbeitsschritte ausreichend zu dokumentieren und zu beschreiben, so dass eine außenstehende Person die Forschung nachvollziehen kann. Nur so kann nachgewiesen werden, dass man wirklich jene Dinge misst, die man messen will und sie in einem gewissen Maß valide sind.
Schließlich achtet man bei der qualitativen Forschung auch darauf, dass es möglich ist, die Forschungsarbeit mit einem ähnlichen Verfahren zu wiederholen und damit ähnliche Ergebnisse erzielen zu können. Da im Normalfall in der qualitativen Forschung weniger Daten zur Verfügung stehen als in der quantitativen, muss man auch klar darlegen, welche Verallgemeinerungen getroffen wurden. Es wird also darauf geachtet, dass sich die Forschung auch reproduzieren lässt und sie damit quasi reliabel ist.
Die qualitative Forschung berücksichtigt die subjektive Seite der Forschung und die Forscherin und den Forscher als Subjekt weit mehr als die quantitative Forschung. Dennoch bleibt das Ziel, die Gütekriterien der quantitativen Forschung auch hier so weit wie möglich zu berücksichtigen und die Forschung objektbezogen zu gestalten. Die quantitative Forschung will primär Wissen über den Forschungsgegenstand generieren, die qualitative Forschung ein Verstehen des Forschungsgegenstandes. Man strebt im quantitativen wie qualitativen Bereich der Forschung nach objektiver Erkenntnis über die Welt.
Was wir in diesem Streben gerne übersehen, ist die Tatsache, dass wir nicht außerhalb der Welt, sondern immer in der Welt und Teil des Systems sind. Wir wären gerne die Uhrmacherin bzw. der Uhrmacher, die bzw. der von außen die Uhr betrachtet, ihre Mechanik erkennt und durch willentliches Eingreifen die Uhr repariert, justiert und nach den eigenen Vorstellungen manipuliert. Aus diesem Grund gefällt uns das mechanische Weltbild eines Isaac Newton so sehr. Wir halten die Welt oft für eine Spielwiese, auf der wir uns nach Lust und Laune austoben können. Wir sehen sie getrennt von uns als Objekt und wähnen uns gewissermaßen unabhängig von ihr. Es kommt uns nicht in den Sinn, dass wir die Welt und die Welt wir sind. Wir verstehen zu wenig, wie groß die gegenseitige Abhängigkeit und die Verantwortung füreinander ist. Unser Streben nach dem Objekt schneidet uns ab von der Realität, dass auf einer tieferen Ebene Objekt und Subjekt nicht getrennte Dinge sind. Die Quantenmechanik hat dies auf faszinierende Weise zu Tage gebracht. Auf der subatomaren Ebene ist es nicht möglich, als beobachtende Person unabhängig vom Beobachteten zu bleiben. Unsere Beobachtung beeinflusst unmittelbar das Ergebnis. Forschungsgegenstand und forschende Person sind nicht mehr zu trennen. Objekt und Subjekt fließen ineinander. Sie lösen sich in den Wellenphänomenen ineinander auf.
Die Quantenphysik hat noch ein weiteres Kuriosum aufgezeigt. Auf dieser Ebene des ganz Kleinen, wo durch den Akt der Beobachtung der forschenden Person Teilchen zu Wellen und Wellen wieder zu Teilchen werden, ist Realität wie wir sie kennen, nicht einfach vorhanden. Wir können ein Experiment nicht einfach wiederholen, indem wir auf etwas, das vorhanden ist, jeweils blicken und die schon einmal gemachte Beobachtung einfach wiederholen. Es ist noch nichts da, was beobachtet werden könnte. Durch die Beobachtung selbst konstituiert sich die Realität. Das Subjekt erschafft in seiner Beobachtung die Realität. Die Idee eines repetitiven Musters löst sich auf und wird ersetzt durch einen originären Schöpfungsakt. Wir drehen uns nicht mehr im Kreis um ein bestehendes Zentrum, sondern finden uns jeden Moment an einem anderen Ort wieder. Das Leben erschafft sich in jedem Moment neu. Um aber im kreativen Schaffen nicht immer am Anfang beginnen zu müssen, kennt das Leben repetitive Muster, die eine Struktur hervorbringen, die eine gewisse Beständigkeit haben. Doch diese Muster werden jeweils mit erschaffen und resonieren.
Wenn wir die Welt auf diese Weise betrachten, wird klar, dass es eine reine objektive Erkenntnis, in der das Subjekt vom Objekt weitgehend abgegrenzt ist, nicht gibt. Wir halten dann Dinge als von uns unabhängig, die von uns gar nicht unabhängig sind und wir halten uns selbst von Dingen unabhängig, was wir in Wahrheit nicht sind. Darin liegt eine sehr große Illusion.
Unser wissenschaftlicher Verstand wehrt sich mit allen Kräften gegen ein solches Weltbild, da er durch diese Sichtweise in Frage gestellt wird. Wer lässt sich schon gerne in Frage stellen? Daher wird auch alles vehement bekämpft, was z.B. mit Telepathie, übersinnlicher Wahrnehmung, Hellsehen oder Telekinese zu tun hat. Es wird dann gesagt, dass es dafür keine Beweise gibt. Beweisen kann ich aber nur etwas, das schon in der Realität ist und sinnlich wahrgenommen werden kann. Wenn es sich aber erst durch unseren Akt der Beobachtung konstituiert, können wir es genauso wenig beweisen, wie wenn es sich der sinnlichen Wahrnehmung entzieht, was in vielen Fällen einfach mit der Begrenztheit unserer Sinne zu tun hat.
Wenn in einer Person spontan eine Zuneigung für eine andere Person auftaucht, kann man das nicht beweisen. Wie sollte man das tun? Wenn man ein Leben lang mit einer Person gelebt hat, mit ihr eine Familie gegründet hat, im Umgang mit dieser Person meistens liebevoll und fürsorglich war, wird das diese innere Zuneigung mittelbar beweisen. Doch vielleicht beweist das alles etwas, was in der Zwischenzeit erloschen ist. Es gibt eine innere Welt, in der die Trennung von Objekt und Subjekt verschwimmen und ineinander übergehen. Was wir in der Realität für getrennt halten, kann dort auf besondere Weise verbunden sein, ohne dass das in irgendeiner sinnlichen Weise erfasst und bewiesen werden könnte. Es handelt sich um Strukturen, die in unserer Realität nicht sinnlich wahrnehmbar sind, aber dennoch existieren. Auch davon spricht die Quantenphysik, wenn sie das Phänomen der Verschränkung beschreibt. Teilchen können auf unerklärliche Weise verbunden sein und ihre Eigenschaft jeweils abgestimmt mit dem anderen Teilchen spontan ändern, obwohl sie unvorstellbar weit voneinander entfernt sind. Es gibt einen Zusammenhang, der sich mit der klassischen Physik nicht erklären lässt. Sie verhalten sich so, als würde es Raum und Zeit nicht geben. Offensichtlich sind sie auf einer tieferen Ebene verbunden.[i]
Wir können innere Strukturen, die eine Person überdurchschnittlich oft zornig, aggressiv, eifersüchtig, neidisch etc. machen, nicht sehen. Wir können nur den realen Ausdruck, den diese inneren Strukturen in der Welt und in der Physis dieses Menschen bewirken, sinnlich wahrnehmen. Wir halten dann gerne diese Emotionen für von der Person getrennt. Doch auf einer tieferen Ebene gibt es keinen Unterschied zwischen dem Subjekt der Person und dem Objekt der Emotion. Es ist ein und dieselbe Struktur. Solange wir die Emotion als ein von uns getrenntes Ding betrachten, wird uns dieses Ding im Griff haben. Wenn es uns aber gelingt, diese Struktur einfach zu beobachten, wenn sie sich entfaltet, wird sie durch diesen Akt der Beobachtung verändert. Wenn wir das oft und gewissenhaft machen, können sich solche Strukturen verändern und sogar auflösen. Allein die Beobachtung hat hier die Macht, etwas zu verändern.
Diese Dinge erwecken in vielen Menschen Unbehagen. Daher werden sie vielfach abgelehnt und ausgegrenzt. Sie dürfen nicht sein. Menschen, die eine ausgeprägte Intuition haben, werden dieser Dinge gewahr. Sie können sie erspüren. Das ist eine besondere Form der Erkenntnis. Sie ist in einem gewissen Sinne subjektiv, weil sie sich in einem Subjekt abspielt. Tatsächlich halte ich sie aber für non-dual, weil sie über die klassische Subjekt- und Objekttrennung hinausgeht. Allein die Existenz der Intuition weist uns darauf hin, dass es eine reine objektive Erkenntnis nicht gibt. Über diese Erkenntnis hinaus gibt es eine non-duale Erkenntnis, der man sich in den Religionen, Glaubensgemeinschaften und spirituellen Bereichen zuwendet. Vielfach wird diese Erkenntnis als Glaube bezeichnet. Aber meines Erachtens ist es mehr, als dass man an etwas glaubt, was es vielleicht gibt oder vielleicht auch nicht. Wenn man z.B. für etwas eine tiefe innere Zuneigung verspürt, glaubt man nicht nur daran, es hat auch eine gewisse innere Evidenz, die man als inneren Beweis bezeichnen könnte. Man muss auch diese innere Evidenz mehrfach überprüfen, um feststellen zu können, ob wirklich etwas daran ist. Manchmal ist es nur ein Anflug von Verliebtheit und keine Liebe. Manchmal ist es nur ein Gefühl, dass sich als Intuition ausgibt. Manchmal ist es nur eine Utopie und keine Vision, die sich auch verwirklichen lässt. Manchmal ist es aber eine handfeste Sache, die andere einfach nur in Erstaunen versetzt, weil sie nicht verstehen können, woher sie kommt. Das Rad dreht sich weiter in den Raum der Spiritualität.