
K O N T A K T
Von der objektiven zur non-dualen Erkenntnis

Gesamte Inhalte:
© Dr. Christoph Paul Stock
Das reine Bewusstsein
Nachdem Kant die Kritik der reinen Vernunft abgeschlossen hatte und verlangte, dass Vernunftschlüsse sinnlich überprüft werden müssen, erkannte er ein weiteres Problem. Es gibt Konzepte und Vorstellungen, die sich sinnlich nicht überprüfen lassen. Wir können so etwas wie Gerechtigkeit, Moral, Gut und Böse nicht empirisch überprüfen. Sie haben keine sinnliche Anschauung. Dennoch muss man diese Fragen in einer praktischen Absicht beantworten, obgleich man sie erkenntnistheoretisch nicht beweisen kann. Kant traf daher die Unterscheidung zwischen einer theoretischen und einer praktischen Vernunft. Kant ging es nun um ein ethisches Prinzip, das er suchte und im sogenannten „kategorischen Imperativ“ fand. Dieser Grundsatz lautet: „Handle so, dass dein Handeln zum Vorbild für das Handeln aller werden kann“[i].
Grundlage für diesen Imperativ war eine Untersuchung der bekannten Handlungsmaximen. Dazu gehören hedonistische, utilitaristische, eudämonistische und legalistische Maximen. Kant kritisierte all diese Ansätze und kam so auf den Imperativ, der über all diese Ansätze hinausging. Ich werde später auf diese Maximen noch eingehen.
Es wird ersichtlich, dass Kant über die objektive Erkenntnis, die heute die Richtschnur im Bereich der Wissenschaft ist, hinausging. Er suchte einen Maßstab, eine Maxime, die all unseren Erfahrungen vorausgeht, a priori gilt und damit frei von allen Erfahrungen ist. In seinem „kategorischen Imperativ“ schwingt das Bestreben an, über die Dualität von Individuum und Kollektiv hinauszugehen und ein Vorgehen zu wählen, das von allen als eine Art Gesetz akzeptiert werden kann. Der Mensch sollte also von seiner Ich-Position absehen und Entscheidungen so treffen, als wäre er eine von seinen eigenen Erfahrungen unabhängige gesetzgebende Instanz oder rechtsprechende Person. Es ist ausgesprochen fraglich, ob Menschen einem so hohen Grundsatz allein aus ihrer Vernunft heraus gerecht werden können. Wer kann aus sich heraus schon Legislative, Judikatur und Exekutive vereinen. Oft fällt es schon ganzen Staaten schwer, diese Gewalten richtig zu organisieren und zu teilen. Es ist wohl ein Anspruch, den kaum jemand zu erfüllen vermag. Dies auch insbesondere deshalb, weil sich Lebensrealitäten ständig ändern, neue Lebenskontexte hinzutreten und es für den einzelnen Menschen in vielen Fällen wohl kaum möglich sein wird, ein Handeln aus der eigenen Vernunft heraus zu erkennen, das wirklich Vorbild für alle anderen sein kann. Meines Erachtens sind Kants Anforderungen an die menschliche Vernunft schlicht zu hoch, verlangen ein fast schon unmenschliches Pflichtbewusstsein und sind in der praktischen Umsetzung unrealistisch und kaum zu erwarten. Wir Menschen sind keine perfekten Wesen und maßlos überzogene Ansprüche hemmen eine gesunde Entwicklung eher, als dass sie eine solche fördern. Wer den „kategorischen Imperativ“ anzuwenden vermöchte, hätte bei allem, was er tut saubere Hände. Doch ich bezweifle, dass es überhaupt Menschen gibt, die sich niemals die Hände schmutzig machen. Ich glaube, dass wir eine solche Idee der Perfektion aufgeben müssen. Wenn wir sie ernsthaft verfolgen, können wir uns nur schuldig fühlen.
Auch wenn ich Kants Annahme, dass die Vernunft in der Lage wäre, den „kategorischen Imperativ“ zu erfüllen, sehr kritisch sehe und ich auch noch niemanden begegnet bin, der behaupten würde, diese Maxime wirklich mit Leben erfüllen zu können, ist der „kategorische Imperativ“ ein genialer Geniestreich. Wir müssen ihn aus dem Kontext der Vernunft herauslösen und in den Kontext der Kollektivität unseres Seins stellen. Im Kollektiv wird etwas lebbar, was der einzelne allein aus sich heraus einfach nicht erreichen kann.
Spiritualität hat mit dem Kollektiven zu tun. In dem Moment, in dem ich von meinem Ich absehe, in dem Moment, in dem ich über meine subjektive Sichtweise hinausgehe, in dem Moment, in dem ich etwas suche, das meiner Erfahrung vorausgeht, also a priori besteht, überschreite ich die Grenzen meiner eigenen Existenz und tauche ein in eine über mich hinausgehende Realität und Wirklichkeit.