
K O N T A K T
Von der objektiven zur non-dualen Erkenntnis

Gesamte Inhalte:
© Dr. Christoph Paul Stock
Jenseits gängiger Handlungsmaximen
Jede Führungskraft kennt die Herausforderung, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht einfach willfährige Erfüllungsgehilfinnen und -gehilfen sind, sondern Menschen, die selbst denken, eigene Ideen haben und ihre Vorstellungen auch verwirklichen wollen. Im Industriezeitalter konnte man Arbeit noch eher maschinell organisieren. Doch heute in der Wissens- und Informationsgesellschaft ist das einfach nicht mehr möglich. Wer den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern keinen Freiraum für ihre Entfaltung einzuräumen vermag, wird besonders die kreativen und einfallsreichen Köpfe schnell verlieren. Es ist eine große Herausforderung, ein Unternehmen so zu organisieren, dass individuelle Erwartungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und kollektive Ansprüche, die sich aus der Aufgabe und dem Auftrag des Unternehmens ergeben, zusammenfinden. Hier geht es um Autorität und Führung, Einordnung und Unterordnung, Synergien und kollektiv arbeitsteiliges Verfolgen gemeinsamer Unternehmensziele. Nichts ist so effizient wie arbeitsteiliges Vorgehen, doch effektiv ist dieses Vorgehen nur dann, wenn alle an einem Strang in die richtige Richtung ziehen. Dafür braucht es Visionen, Missionen, Regeln und Normen und eine das alles unterstützende Unternehmenskultur.
Wenn wir als Führungskraft diese Dinge vermitteln wollen, müssen wir von uns selbst ein Stück weit Abstand nehmen. Als Führungskraft muss man lernen, nicht einfach nur die eigenen Interessen zu verfolgen, sondern das Anliegen einer größeren Einheit zu vertreten. Das kann durchaus bedeuten, die eigenen Ansprüche zurückstellen zu müssen, um den kollektiven Anspruch die notwendige Geltung zu verleihen. Umgekehrt ist es auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht ganz leicht, in einem Unternehmen jene Aufgaben und Leistung zu erbringen, die von ihnen benötigt werden. Nicht selten stellt man sich die Arbeit etwas anders vor, hätte gerne mehr Gestaltungsspielraum und Freiheit und würde lieber die eigenen Ziele und Wünsche stärker verfolgen. In beiden Fällen kann es eine narzisstische Kränkung sein, wenn man einen Teil von sich opfern muss, um für die größeren Ziele des Unternehmens zu arbeiten.
Natürlich kann man diese Spannung zwischen individuellem und kollektivem Anspruch abschwächen, wenn die Passung der eingestellten und beschäftigten Führungskräfte und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den kollektiven Ansprüchen und Zielen des Unternehmens möglichst gut gegeben ist. Aber eine Restspannung dieses Interessenkonfliktes zwischen Individualität und Kollektivität wird immer bestehen bleiben.
Die Überwindung des Konflikts zwischen individuellen und kollektiven Interessen ist in vielen Fällen eine bewusste Entscheidung. Wenn wir in einem Unternehmen einen Job annehmen, entscheiden wir uns bewusst dafür, von unseren individuellen Ansprüchen ein Stück weit Abstand zu nehmen. Wenn wir in eine Gemeinschaft gehen, um uns dort mit anderen auszutauschen, entscheiden wir uns bewusst, die Normen und Regeln dieser Umgebung anzunehmen, um dabei sein und mitmachen zu können. Wenn wir als Familie etwas unternehmen wollen, versuchen wir bewusst, eine Unternehmung zu wählen, bei der für alle etwas dabei ist, was sie gerne tun und machen möchten. Dafür muss in vielen Fällen ein Abstrich von individuellen Wünschen gemacht werden. Wir können als Kollektiv nur funktionieren, wenn wir uns an die Ansprüche des Kollektivs anpassen und uns einordnen.
Was für den familiären, beruflichen und den die Freizeit betreffenden Bereich gilt, hat ebenfalls Gültigkeit für den Bereich der Spiritualität. Es ist eine bewusste Entscheidung, sein eigenes Leben vom Geist, der alle Dinge durchwebt, führen zu lassen. Der Unterschied liegt primär darin, dass es nicht so einfach ist, den Geist wahrzunehmen und richtig zu verstehen, da er über unsere polare Erfahrungswelt weit hinausgeht.
Was sich in unserer Gesellschaft durch einen Interessensausgleich zwischen Individuum und Kollektiv erreichen lässt, muss in der Abstimmung mit dem Geist auf einer fundamentaleren Ebene erfolgen. Wir müssen gängige Handlungsmaximen überwinden und uns einer Leere stellen, die für uns ungewohnt ist und uns durchaus Angst machen kann. Im gesellschaftlichen Kontext muss unser Ego Abstriche hinnehmen. In der Abstimmung mit dem Geist müssen wir die Subjekt-Objekt-Dualität überschreiten. Das bedeutet, unsere Erfahrungen, die Objekte unserer Erfahrungswelt sind, aufzugeben und auf etwas zuzugehen, das über all unsere Erfahrungen hinausgeht. Das ist auch ein Anspruch, den Kant in seinem „kategorischen Imperativ“ fordert, wenn er von einer Maxime spricht, die a priori gültig ist.
Die vier gängigen Handlungsmuster wurden von Kant beschrieben und kritisiert. Sie sind aus seiner Sicht unzureichend für ein ethisches Handeln.
Der Hedonismus verfolgt die Maximierung des Lustgewinns und die Minimierung der Unlust. Es ist eine Art Schmerzvermeidungskonzept. Die Idee dahinter ist, dass man ein sinnliches, erfülltes und glückliches Leben führt, wenn man den Lustgewinn sucht und die Unlust vermeidet. Doch jeder Mensch erfährt bei anderen Dingen Lust und Unlust. Es kann sogar schnell dazu kommen, dass der Lustgewinn für den einen Unlustgewinn für einen anderen bedeutet.[i] Damit ist dieses Handlungsmuster ungeeignet, uns eine Richtschnur für ein Handeln zu geben, bei dem es nicht nur um uns selbst, sondern um das Weltganze geht.[ii]
Der Utilitarismus verfolgt die Idee, dass der Mensch so handeln sollte, dass dadurch der größtmögliche Nutzen entsteht. Doch was nützlich ist, muss nicht gleich auch lebensfördernd sein. Was einer Person nutz, kann einer anderen Person rasch schaden. Der Nutzen der Schwarzfahrerin bzw. des Schwarzfahrers in den öffentlichen Verkehrsmitteln ist der Schaden für die Allgemeinheit. Man könnte nun auf die Idee kommen und argumentieren, dass jene Nutzenmaximierung anzustreben sei, die für die größte Anzahl von Menschen Vorteile bringt. Eine solche Argumentation kann Sinn machen, wenn man z.B. eine U-Bahnstation so positioniert, dass die meisten Menschen aus der Umgebung einen möglichst kurzen Weg zur Station haben.[iii] Natürlich gibt es hier auch Personen, die benachteiligt werden. Die Einschränkung ihrer Interessen ist in diesem Beispiel vertretbar. Doch in anderen Kontexten kann es bedeuten, dass eine Minderheit für die Mehrheit geopfert wird. Es wird zum Problem, wenn der Mensch als Mittel zum Zweck und nicht als Zweck an sich verstanden wird.[iv] Im NS-Regime hat man solche Nutzenüberlegungen mit erschreckender Konsequenz angewandt und umgesetzt. Ein solcher Utilitarismus ist im Lichte von Menschenrechten und der Würde des Menschen nicht akzeptabel.
Beim Eudämonismus geht es um Tugenden. Menschen sollen so handeln, dass es zu einer inneren Glückseligkeit kommt. Es geht um einen langanhaltenden Glückszustand und nicht um die Lusterfüllung wie im Fall des Hedonismus. Es wird beim Eudämonismus angenommen, dass es harte Arbeit an sich selbst braucht, um möglichst alle Tugenden zu entfalten, die dann ein glückseliges Leben bewirken. Anstrengend ist der Erwerb von Tugenden deshalb, weil Gegensätze zu überwinden sind. Um einen Gegensatz überwinden zu können, muss man beide Seiten der Thematik einmal kennenlernen und kann erst dann über sie auf eine höhere Ebene der Tugend wechseln. Mut überschreitet die Feigheit einerseits und die Tollkühnheit andererseits. Man muss sich erst einmal mit Feigheit und Tollkühnheit auseinandersetzen, um überhaupt wirklich mutig sein und trotz Angst auf eine Herausforderung zugehen zu können. Nicht anders ist es bei der Freigiebigkeit. Sie kann erst erreicht werden, wenn Verschwendungssucht und Geiz überwunden werden. Tugenden sind wichtig. Doch es kommt darauf an, für was Tugenden eingesetzt werden.[v] Mutig kann ein Mensch sein, der einen anderen Menschen aus einer Notsituation rettet. Mut braucht aber auch eine Verbrecherin bzw. ein Verbrecher, die bzw. der eine Bank ausraubt.[vi] Man kann freigiebig Menschen unterstützen, die Hilfe brauchen. Doch eine Freigiebigkeit in Situationen, in denen sich Menschen selbst helfen können, ist kontraproduktiv, weil jene eine Unterstützung bekommen, die sie nicht brauchen und diese Unterstützung dann für andere fehlt, die sich nicht helfen können. Daher ist nicht die Tugend an sich entscheidend, sondern der Wille, für was die Tugend eingesetzt wird. Zusätzlich strebt man mit den Tugenden nach der eigenen Glückseligkeit, einer Zufriedenheit mit sich selbst und verliert schnell das Große und Ganze aus dem Blick. Wer sehr tugendhaft ist, neigt zu Übermut und Überheblichkeit.
Schließlich gibt es noch den Legalismus, der von den Menschen verlangt, sich immer an die geltenden Gesetze zu halten. In einem Rechtsstaat ist der Legalismus eine wichtige Orientierungshilfe und gerechtfertigte Gebots- und Verbotsnorm.[vii] Doch es gibt viele Staaten, die das Recht dazu benutzen, die Macht der bestehenden Regierung aufrechtzuerhalten und bestimmten Gesellschaftskreisen Vorteile zu verschaffen.[viii] Beim Recht kann es passieren, dass es für protektionistische, korrupte und auch unmenschliche Dinge missbraucht und benutzt wird.
Alle vier hier angeführten Handlungsmaximen haben in gewissen Situationen und unter bestimmten Voraussetzungen ihre Berechtigung. Doch sie können allesamt zu lebensfeindlichen und durchaus bösartigen Handlungen führen.
Diese Handlungsmaximen erwachsen aus der Fokussierung auf einen bestimmten Erfassungs- und Verarbeitungsmodus. bzw. die Bevorzugung eines bestimmten Verhaltensmodus.
Beim Hedonismus ist leicht zu erkennen, dass die Gefühlswelt im Vordergrund steht. Natürlich ist es grundsätzlich verständlich, dass man eher die Lust als die Unlust verfolgt. Doch wer alles aus seinem Leben ausschließt, was nach einer inneren Überwindung verlangt und eine Orientierung an unliebsamen Pflichten bedeutet, wird zur Oberflächlichkeit, Übermäßigkeit und Faulheit neigen. Das Streben nach Wohlstand wird zum ausschließlichen Zweck. Ein Mögen und Wollen drängt sich in den Vordergrund.
Der Legalismus kennt eine andere Strenge und ein ganz anderes Pflichtbewusstsein. Hier steht das Denken im Vordergrund mit seiner Logik und besonders mit seiner Vernunft. Das Sollen und Dürfen sind hier stark ausgeprägt und kommen in Gebots- und Verbotsnormen zum Ausdruck. Wer aber immer pflichtbewusst ist und sich und anderen gegenüber immer mit Strenge begegnet, wird zu zornigem Verhalten und einem überzogenen Gerechtigkeitsstreben neigen. Dabei geht es dann nicht um einen berechtigten Zorn darüber, dass jemand etwas falsch gemacht hat. Es geht um einen Zorn, der in vielen Situationen spürbar und zum bestimmenden und alles andere überlagernden Faktor wird.
Wenn utilitaristische Ideen verfolgt werden, rückt die Empfindung mit ihrem Gespür für Machbarkeit in den Vordergrund. Das Können und Sollen sind von besonderer Bedeutung. Dafür müssen Details genauso beachtet werden wie die Einhaltung von Regeln und Normen. Ohne Umsetzungsstärke lässt sich im Leben nichts realisieren. Doch wenn die utilitaristische Tendenz zu stark wird, entwickelt sie einen Drang dazu, Dinge zu maschinieren und zu perfektionieren. Was zählt ist die erfolgreiche Umsetzung und eine Zielerreichung um jeden Preis. Eine solche Tendenz verliert den Menschen und seine Würde aber auch höhere Werte aus dem Blick.
Ganz anders ist es im Bereich der Tugendhaftigkeit. Hier werden höhere Werte in das Zentrum gestellt, zu denen wir mit unserer Intuition Zugang haben. Das Müssen und Sollen drängen sich in den Vordergrund. Es sind der ehrenhafte Ritter, der aufopfernde Samariter, die mitarbeiterorientierte Führungskraft, der feinfühlige Schöngeist, die kreative kunstschaffende Person, die ihrem Handeln prägende und zentrale Werte zugrunde legen, welche von großer Bedeutung sind und unser Leben erst menschlich und lebenswert machen. Doch werden diese höheren Werte zu intensiv und überbordend verfolgt, neigt der Ritter zu Übermut, der Samariter zu Stolz, die Führungskraft zu Überheblichkeit, der Schöngeist zu Umsetzungsschwäche und die Künstlerin bzw. der Künstler zu einer künstlerischen Sublimierung. Authentizität und Wahrhaftigkeit gehen verloren. In diversen Fällen fehlt es auch an Willenskraft.
Jeder Erfassungs- und Verarbeitungsmodus, gleich ob das DENKEN, FÜHLEN, EMPFINDEN oder INTUIEREN hat seine Stärken aber auch seine Schwächen. Ähnlich ist es mit den Verhaltensmodi des WOLLENS, SOLLENS, KÖNNENS, MÜSSENS, DÜRFENS und MÖGENS. Auch diese Verhaltensmodi sind in einem konkreten Lebenskontext einmal von Vorteil und in einem anderen von Nachteil. Wenn man bestimmte Modi dauerhaft zur führenden Maxime macht, werden sich früher oder später lebensbehindernde, in manchen Fällen auch lebensfeindliche und vielleicht auch bösartige Handlungsweisen entwickeln und Haltungen zeigen. Es kommt zu einer Anhaftung. Das Rad des Seins bleibt stecken und im Getriebe des Seins fängt es an zu knirschen und in so manchem Fall auch zu krachen.
Kants Überlegungen zum „kategorischer Imperativ“ sind deshalb so genial, weil er auf diese Problematik hinweist und daraus schließt, dass man über die persönlichen Erfahrungen hinausgehen und auf etwas zugreifen muss, das a priori also vor der konkreten Erfahrung ist. Er meinte, es müsse von innen kommen und etwas sein, was sich der Mensch selbst auferlegt. Für ihn war es eine Art Selbstverpflichtung der Vernunft.
Aus einer spirituellen Überlegung heraus stimme ich Kant absolut zu. Nur die Selbstverpflichtung der Vernunft halte ich für unmöglich. Die Vernunft ist und bleibt ein Ausdruck des Denkens. Sie ist unabhängig davon, ob nun theoretische oder praktische Vernunft, Teil eines Erfassungs- und Verarbeitungsmodus. Wenn es aber die Vernunft nicht sein kann, was ist es dann, das den Erfahrungen vorausgeht und a priori vorhanden ist?