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Von der objektiven zur non-dualen Erkenntnis

 

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Gesamte Inhalte:

© Dr. Christoph Paul Stock

 

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KAPITEL 12: IM ZENTRUM DES LEBENSRADES

 

In diesem Buch wurden die sechs Speichenachsen und die zwölf Bereiche auf der Felge samt Drehbewegung des Lebensrades beschrieben. Doch jedes Rad hat auch eine Nabe, die in seinem Zentrum liegt. Diese Nabe sitzt auf einer Achse, die sich nicht bewegt und gleichzeitig der Dreh- und Angelpunkt des Rades ist. Nun soll von der Nabe und dieser Achse die Rede sein.

 

Wenn man auf dem Rad unterwegs ist, kann man die Nabe nicht sehen. Sie ist einfach zu weit entfernt und der Blick auf sie ist verstellt. Unsere Sinne reichen schlicht nicht aus, um sie zu sehen oder wahrnehmen zu können. Es ist ein wenig so wie mit dem Zentrum der Milchstraße. Wir können es nicht sehen, weil uns galaktischer Nebel die Sicht verstellt und das Zentrum der Galaxie einfach zu weit entfernt ist.

 

Doch von diesem Zentrum des Rades geht die gravitative Kraft aus, welche die Galaxie in Bewegung hält. Aus den Nebeln, die dieses Zentrum umkreisen, werden unzählige Sterne geboren. Einer davon ist unsere Sonne, um die wir uns bewegen. Die einzelnen Sonnensysteme werden durch die Gravitation ebenfalls in Balance gehalten. Nicht anders ist es in unserem Sonnensystem. Ein feines Gleichgewicht bestimmt die elliptischen Bahnen, in denen die Planeten auf unterschiedlich weit von der Sonne entfernten Bahnen um das Zentralgestirn kreisen. Alle Planeten bewegen sich in einem bestimmten Rhythmus um die Sonne. Auf der Erde ist es der bekannte Jahresrhythmus.

 

Wir können nicht erkennen, woher das Drehmoment wirklich kommt, wir können nur teilweise erfassen, wie sich die einzelnen Körper in der Galaxie gegenseitig in Balance halten. Wir kennen nur einige wenige Rhythmen, die das Leben in der Galaxie bestimmen. Es geht uns ein wenig wie einer Ameise, die auf einem Traktorrad mitfährt und nicht erkennen kann, wie der Traktor im Großen und Ganzen aussieht, welche Fahreigenschaften und Manövrierfähigkeiten er hat, was ihn antreibt und was ihn steuert. Die Ameise macht ihre Erfahrungen auf ihrer Reise am Traktorrad. Mit der Zeit lernt sie die Stollen der Räder, die flache Seite der Radwände, diverse Unebenheiten und Krümmungen auf dem Rad kennen. Doch sie hat keine Chance aus ihrer Erfahrung abzuleiten, ob und wann sich der Untergrund verändert, über den der Traktor dahinfährt. Sie weiß nicht, wann Schlamm und Wasser auf den Reifen spritzen und die Reifenoberfläche verändern wird, sie hat keine Ahnung davon, warum sich das Rad einmal langsam und einmal schnell bewegt, weil der Traktor gerade vom Feld auf die Straße gewechselt hat. Für sie bleibt auch unverständlich, wenn sich der Reifen plötzlich verwindet, weil das Rad mit hoher Geschwindigkeit in eine Kurve gelenkt wird. Völlig unerklärlich bleibt auch der Grund, woher die Beschleunigung oder Verlangsamung der Drehbewegung kommen. Nicht nur kann die Ameise all diese Zusammenhänge nicht ausreichend sinnlich wahrnehmen. Sie hätte auch nicht die kognitive Kapazität, um das alles zu verarbeiten, wenn sie es erkennen könnte.

 

Unsere Erfahrung ist eingeschränkt. So viel Lebenserfahrung wir auch gesammelt haben, sie wird niemals ausreichen, um das Leben in seiner Größe zu erfassen. Es ist so, als würde man versuchen, mit einem kleinen Eimer den Ozean auszuschöpfen. Man ist zum Scheitern verurteilt.

 

Dennoch halten wir an unseren Erfahrungen als Richtwerte für unser Handeln vehement fest. Wir halten uns für unsere Erfahrungen und bilden daraus eine Weltanschauung aus. Je nachdem, welche Erfahrungen wir gemacht haben, wird sich unsere Weltanschauung von den Weltanschauungen anderer unterscheiden. Wir sind oft davon überzeugt, dass unsere Anschauung die richtige ist und die anderen sich täuschen müssen, da wir ja unmittelbar persönlich gemachte Evidenz haben, wie die Welt gestaltet ist. Natürlich kommt es vor, dass die anderen einer Sinnestäuschung oder einer kognitiven Fehlinterpretation oder falschen Verarbeitung des Wahrgenommenen unterliegen. Das kann uns selbst auch passieren. Doch in vielen Fällen sind Erfahrungen sinnlich und kognitiv richtig verarbeitet und dennoch unterscheiden sich die Erfahrungswelten. Sie können sich sogar diametral widersprechen.

 

Politische Systeme zeigen diese Problematik anschaulich auf. Wenn Länder durch Diktatoren oder Tyrannen regiert werden, lässt sich sehr tragisch beobachten, wie die eingeschränkte Erfahrungswelt einer Person und der sie umgebenden Führungsschicht zum bestimmenden Faktor für ein ganzes Land werden. Mit der Zeit entfaltet sich ein Psychogramm dieser Person bzw. dieses Personenkreises. Die Welt der Menschen nähert sich mehr und mehr der inneren psychischen Verfassung des Alleinherrschers und seiner Clique an. Die Geschehnisse in Hitler-Deutschland wurden mehr und mehr zum Wahngebilde einiger weniger machthabender Personen. Alles wurde dem Führer untergeordnet und alles wurde so, wie es der Führer sich vorstellte und wünschte. Ein Wahngebilde, das Millionen von Menschen das Leben kostete.

 

Wir haben erkannt, dass diese Regierungssysteme nicht besonders lebensfördernd sind. Demokratie ist heute sicher das Beste, was wir haben, um den oben beschriebenen Tendenzen entgegenzuwirken. Ihre große Stärke liegt darin, dass man Machthaberinnen und Machthaber wieder abwählen kann, wenn sie dem Volk schaden und damit die Macht in einem gewissen Sinn vom Volk ausgeht. Eine weitere Stärke der Demokratie ergibt sich auch dadurch, dass unterschiedliche Weltanschauungen vertreten durch verschiedene politische Parteien mit ihren eigenen Programmen um die Gunst der Wählerinnen und Wähler kämpfen. Damit steht nicht nur eine Erfahrungswelt im Mittelpunkt der politischen Gestaltung, sondern es konkurrieren mehrere Weltanschauungen im Wettstreit um die Wähler. Damit kann eine andere Bandbreite an Ansichten, Meinungen und Vorstellungen politisch bestimmend werden. Dieser Stärke der Demokratie steht aber eine große Schwäche gegenüber, die wir alle kennen. Viele Politikerinnen und Politiker wollen oft tatsächlich das Richtige für ihr Land. Doch wenn es um den Machterhalt geht, wird das Richtige gerne aus den Augen verloren und alles politisch so ausgerichtet, dass man möglichst die Mehrheit der Stimmen bei der nächsten Wahl erlangt. Das richtige Vorgehen wird dann nicht selten für die erfolgreiche Wahl geopfert. Es wird nicht mehr auf die langfristig notwendigen Aspekte geachtet, sondern der rasche Erfolg in den Fokus genommen. Wenn Protektion und Korruption dann noch ihren negativen Einfluss geltend machen, können sich Demokratien auf diese Art und Weise selbst ruinieren.

 

Es gibt noch eine weitere Schwäche des demokratischen Systems, das sich auf repräsentative Parteien stützt. In einer sehr komplexen Welt gibt es meist nicht die eine einfache Antwort für ein Problem. Daher bräuchte es oft ein politisches Vorgehen, das nicht nur Gedanken und Ideen aus einer politischen Gesinnung heraus nutzt, sondern Ideen aus unterschiedlichen Gesinnungen, die zusammengeführt werden. Das Flüchtlings- und Migrationsproblem kann nicht allein durch rechte oder linke politische Ansichten gelöst werden. Es braucht ein Zusammenspiel all dieser Kräfte, um hier wirklich eine sozial sowie wirtschaftlich ausgewogene und menschenwürdige Politik zu machen. Als Wähler hat man nur die Möglichkeit, eine Partei aber nicht politische Ideen, die aus verschiedenen Parteien kommen, zu wählen. In diesem Sinn können also nur Weltanschauungen gewählt werden, die hoffentlich dann im parlamentarischen Diskurs und in der Regierungsarbeit so zusammenfinden, dass für das Land eine positive und lebensfördernde Politik entsteht. An diesem Punkt stellt sich dann immer auch die Diskussion um die direkte Demokratie.

 

Was haben nun diese politischen Überlegungen mit Spiritualität zu tun? Man versucht heute in der Politik Erfahrungswelten zur Disposition zu stellen. Man hat erkannt, dass Erfahrungen sich widersprechen können, obwohl sie gleichzeitig für den einzelnen Menschen eine harte und klare Wahrheit darstellen. Es gibt nicht den einen Führer, die eine Autorität, die aus sich heraus wissen kann, wohin die Reise geht. Jede Erfahrung ist subjektiv und kein Garant dafür, dass bei der Verfolgung von Zielen, die sich aus früheren Erfahrungen ableiten lassen, so authentisch sie auch sein mögen, sich lebensfördernde Entwicklungen einstellen. Da wir uns meist für unsere Erfahrungen halten, bedeutet eine Infragestellung unserer Erfahrungen oft auch eine Infragestellung unserer Person und unseres Egos. Die Erfahrungen geben uns Sicherheit und Halt in der Welt. Eine Politikerin oder ein Politiker, die oder der ständig seine Meinung ändert und dauernd für etwas anderes steht, ist wie ein Fähnchen im Wind, dem man auf Grund ihrer bzw. seiner Opportunität nur schwer vertrauen kann. Es braucht eine gefestigte Persönlichkeit mit Ichstärke, um in der Welt vorkommen und Vertrauen erzeugen zu können. Auch eine wissenschaftliche Hypothese werden wir nicht ernsthaft untersuchen, wenn sie schwammig und unklar formuliert ist und sich für eine solide wissenschaftliche Erforschung nicht eignet. Es muss zuerst etwas kristallklar erkennbar werden, damit es auf den Prüfstand gehoben werden kann. Doch dann verlässt uns der Mut. Eine wissenschaftliche Hypothese zu widerlegen ist eine Sache, was für viele Wissenschaftler auch schon eine große Herausforderung darstellt, wenn sie ihre liebgewonnenen Forschungskinder aufgeben und eine andere Sichtweise zulassen müssen. Doch die eigene Weltanschauung in Frage gestellt zu sehen bzw. das eigene Ego ein Stück weit aufgeben zu müssen, ist noch einmal eine ganz andere Sache. Das ist schwer, denn man fürchtet, sich selbst zu verlieren und zu einem Niemand zu werden.

 

Doch genau das ist es, was Spiritualität verlangt, weil man sich nur so mit dem Weltganzen abstimmen und ein Teil davon werden kann. Ohne unsere Erfahrungen und die Weltanschauung, die wir ausgebildet haben, können wir nicht leben. Sie geben uns Halt und Richtung in der Welt. Doch welche dieser Erfahrungen jetzt für uns lebensfördernd und welche für uns lebensbehindernd oder sogar lebensschädlich werden, ist auf Grund unserer sehr eingeschränkten Weltsicht schwer festzumachen. Vielleicht besitzen wir auch eine Erfahrung noch gar nicht, die wir benötigen würden, weil sich die Welt in einer Art und Weise verändert, dass die alten Lösungsansätze nicht mehr oder in der bisherig verfolgten Form nicht mehr brauchbar sind. Es geht uns wie der oben beschriebenen Ameise, die einfach nicht weiß, was durch die Bewegung des Traktors sich an jener Stelle des Rades, an der sie sich befindet, geschehen wird.

 

Wenn wir uns nicht mehr ausschließlich auf unsere Erfahrungen und damit auf die Vergangenheit in der Annahme verlassen, dass sich die Zukunft entsprechend der Vergangenheit verhalten wird, sondern uns mit Achtsamkeit auf das einlassen, was rund um uns herum im Hier und Jetzt passiert, können wir dem Unbekannten begegnen, das uns hilft, zu erkennen, welche Erfahrungen Relevanz haben und welche nicht und in welchen Bereichen uns schlicht die Erfahrung fehlt und wir uns auf das verlassen müssen, was sich ganz originär aus dem Weltganzen heraus konstituiert. Eine solche Haltung verlangt, dass wir unsere Erfahrungen zur Disposition stellen, genauso wie in der Wissenschaft Hypothesen auf den Prüfstand gestellt werden. Auch in der Wissenschaft kennt man das Phänomen, dass bei der Forschung mittels eines konkret geplanten Vorgehens nicht selten Erkenntnisse gewonnen werden, die der Wissenschaftler von vorneherein gar nicht in seinem Fokus gehabt hat. Es kann etwas ganz Neues auftauchen. Es kann sich also zeigen, welche Erfahrungswerte lebensbewahrend verfolgt werden sollten und welche nicht. Es kann sich auch zeigen, wie Erfahrungen vielleicht kombiniert oder abgewandelt werden müssen, um Viabilität also Lebensfähigkeit zu erhalten. Es kann sich aber auch etwas zeigen, das über den bisherigen Erfahrungshorizont hinausgeht. Auf diese Art und Weise werden wir Teil des Schöpfungsprozesses und gestalten diesen direkt mit. Dabei setzen wir nichts Geringeres ein als uns selbst. Wir selbst sind der Untersuchungsgegenstand und wir selbst stellen uns zur Disposition. Das ist die Herausforderung aller kreativen Menschen. Man kämpft damit, sich ein Stück weit aufgeben zu müssen, um Teil eines größeren und über uns hinausgehenden Phänomens zu werden, das man Leben nennt. Nur indem wir in das Unbekannte und Unbewusste hineingehen, uns einer Leere stellen, die zwar gar nicht leer ist aber sich unserer unmittelbaren sinnlichen Erfahrungswelt verschließt, können wir einen Weg finden, der durch die Gravitation, Drehmomente und den Rhythmus des Großen und Ganzen getragen ist. Hier berühren wir die Nabe des Lebensrades. Dass eine solche Abstimmung gelingt, kann niemals garantiert werden. Doch wenn wir nicht versuchen, mit dem Leben mitzugehen, werden wir mit großer Wahrscheinlichkeit früher oder später aus dem Energiefluss des Lebens herausfallen und die Verbindung verlieren. Spätestens dann müssen wir uns auf die Suche nach der Energiequelle machen, weil wir ohne diese Quelle nicht lebendig sein können.

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