
K O N T A K T

Gesamte Inhalte:
© Dr. Christoph Paul Stock
A) PROBLEMSTELLUNG
Unsere moderne Zivilisation hat eine kaum geahnte Gefährdung der Persönlichkeit mit sich gebracht, die nicht nur im Verhältnis Staat zum Bürger sondern zunehmend im Verhältnis Bürger zu Bürger eine Tendenz der Kollektivierung, Vermassung und Nivellierung in sich trägt. Durch die Massenkommunikationsmittel wie Presse, Rundfunk, Fernsehen und Film wird der Lebensbereich des einzelnen, sein Schicksal, ungeachtet der persönlichen Gefühle und innerseelischen Vorgänge, einer neugierigen und sensationslüsternen Öffentlichkeit preisgegeben und damit die Eigenständigkeit, das Eigenleben und der Eigenwert der einzelnen Persönlichkeit untergraben. Zum Zwecke der Maximierung von Auflagezahlen, Einschaltquoten und Einspielergebnissen werden rücksichtslos falsche und haltlose Informationen verbreitet, die Ehre, Namen und Bild einer Person in Misskredit bringen.
Aber nicht nur der Medienbereich zeigt die moderne technisierte Gefährdung der Persönlichkeit in unserer Zeit. Die Erfindungen von Magnettonträgern, Abhöranlagen und Fernsehüberwachungskameras bieten heute in weiten Bereichen die Möglichkeit, in den Geheimnisbereich des Mitmenschen einzudringen. Selbst das seelische Innenleben ist durch Erfindungen wie der Narkoanalyse, des Lügendetektors und der Graphologie vor Ein- und Übergriffen anderer nicht mehr sicher. Nicht zu vergessen ist auch die Entwicklung des Computers, durch welchen sich heute Überwachungsmöglichkeiten ungeahnter Größenordnung ergeben, die kaum mehr in den Griff gebracht werden können.
Entsprechend diesen Gefährdungslagen, hat sich in den letzten Jahrzehnten auch das Persönlichkeitsbewusstsein, das Wissen um den Wert der Individualität, verfeinert. Besonders die Erfahrungen, die aus dem totalitären System des Nationalsozialismus mit all seinen Schrecken gewonnen wurden, haben zu dieser Bewusstseinsbildung beigetragen. Zeugnis dafür legt das Bonner Grundgesetz in seinen Art 1 und 2 GG ab, in denen die Unantastbarkeit der Menschenwürde und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit verankert sind. Angesichts solcher legistischer Großtaten könnte man leicht in die Versuchung kommen, in einem überschwänglichen Ausbruch von Euphorie von einer abendländischen Kultur- und Geisteshaltung zu sprechen, die geprägt ist, von Humanität und gegenseitiger Achtung der persönlichen Daseinsberechtigung in allen ihren Nuancen. Wohl weit gefehlt! Schon ein Blick über die Grenzen auf den Balkan oder in verschiedene Teilstaaten der ehemaligen Sowjetunion zeigen auf, daß es so etwas wie eine abendländische Kultur- und Geisteshaltung bezüglich der Anerkennung der Persönlichkeit nicht gibt. Aber trotzdem oder besser gerade deshalb gilt es, die Persönlichkeitswerte als allgemein verbindend und verpflichtend anzusehen, sie so weit als möglich zu erkennen, anzuerkennen und zu verwirklichen. Wir wollen sie daher als ewige sittliche Werte einer objektiv - sittlichen Wertordnung begreifen.
Der Begriff der Persönlichkeit erzeugt zwar in jedermanns geistiger Vorstellung eine bedeutungsmäßige Ahnung davon, was mit diesem Begriff umschrieben werden soll und welche Bedeutungsinhalte damit verbunden werden können. Die Persönlichkeitswerte konkretisieren sich aber in der menschlichen Vernunft nicht in voller Schärfe und lassen nur ein vom Gewissen ausgehendes dunkles Gefühl ihrer Konkretheit erahnen.
So werden manche Persönlichkeitswerte durch ihre ursprüngliche Klarheit konkreter vorstellbar, andere führen hingegen erst durch eine verstärkt mannigfach erlebte Erfahrung zu einer ungefähren Klarheit. Das Recht auf Leben, auf Freiheit und auf Gesundheit sind derart ursprüngliche und in unserer heutigen Gesellschaft natürliche Werte, dass es für einen mit gesundem Menschenverstand und einer für unsere Gesellschaft üblichen Erziehung ausgestatteten Menschen kein Problem darstellt, sie in ihrem Kernpunkt zu erfassen. Schon schwieriger wird die Konkretisierung bei Persönlichkeitswerten wie zB Bildnisschutz, Namensschutz oder dem Schutz von Briefinhalten und vertraulichen Aufzeichnungen.
Eines muß man sich dabei immer vor Augen halten! Jeder Persönlichkeitswert, und erscheint er auf den ersten Blick auch noch so klar und selbstverständlich, wird immer im Hinblick auf die Gesamtkomplexität unseres Lebens und die sich daraus ergebenden Grenzbereiche und Grenzfälle einen Schleier von Unklarheit und Ungewissheit um sich legen.[1])
Doch ist es genau die Mannigfaltigkeit des Lebens, die uns anspornt immer bessere und ausgereiftere Wertvorstellungen zu formulieren und in der Folge auch zu leben. Denn nur die Zerlegung der Probleme in ihre Einzelheiten, die Analyse dieser Einzelheiten und der neuerliche Versuch der Generalisierung und der Findung neuer Aphorismen kann uns vor einer vorschnellen Banalisierung und Vereinfachung der Dinge schützen. Nichts ist gefährlicher als der Versuch, den Menschen durch zu einfach ermittelte Patentlösungen zu begeistern und ihn, in einer so erzeugten Engstirnigkeit, gefangen zu setzen. Denn eine fehlende multipolare Sichtweise der Persönlichkeitswerte kann zu gefährlichen und explosiven Gesinnungshaltungen führen, wie wir sie zur Zeit in der Wiedererstarkung des Rechtsextremismus und den damit in Verbindung zu bringenden Begriffen, wie Gastarbeiterproblem, Ausländerstopp, Ausländer raus usw., erkennen müssen.[2])
Unser Privatrecht, entstanden im letzten Jahrhundert unter völlig anderen Grundvoraussetzungen, trägt dem sich gewandelten Persönlichkeitsbewußtsein und der Notwendigkeit einer positiv - rechtlichen Ausgestaltung zur Verminderung der Verletzungsmöglichkeiten der Persönlichkeit – mehr zufällig als gewollt – in einer Generalklausel, dem § 16 ABGB, Rechnung. Diese Generalklausel findet in weiten Bereichen keine Anwendung. Man stützt sich immer noch fast ausschließlich auf einzelne Persönlichkeitsrechte, durch die bestimmte Seiten der Persönlichkeit geschützt werden, nämlich das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (§ 1325 ABGB und §§ 75 ff StGB), das Recht auf Freiheit (§ 1329 ABGB und § 99 StGB), das Namensrecht (§ 43 ABGB), das Recht am eigenen Bild (§ 78 UrhG), das Recht auf Schutz vertraulicher Aufzeichnungen (§ 77 UrhG), das Recht auf Ehre (§ 1330 ABGB), das Recht auf Schutz der Erfinderehre (§ 6 PatG) und das Recht auf Schutz geistiger Interessen eines Urhebers (§§ 19 ff UrhG). Der Typenzwang, der von der Judikatur und dem Großteil der Lehre verlangt wird und nur eine Anwendung einzelner Persönlichkeitsrechte (besondere Persönlichkeitsrechte) sowie eine Weiterentwicklung des Persönlichkeitsschutzes nur in Analogie zu den einzelnen Persönlichkeitsrechten erlaubt, kann der Notwendigkeit einer Vertiefung des Persönlichkeitsbewusstseins und dem gesteigerten Schutzbedürfnis unserer Zeit nicht gerecht werden.
Es wird daher in dieser Arbeit die Aufgabe gestellt, die Generalklausel des § 16 ABGB, entsprechend den gewandelten Erfordernissen an den Persönlichkeitsschutz, fruchtbar zu machen.
Zu diesem Zwecke muß der Begriff der Persönlichkeit in historischer und heutiger Sicht erörtert werden. Dies ist notwendig, um einerseits klarzulegen, wie schwierig es ist, den Begriff der Persönlichkeit zu erfassen, und andererseits aufzuzeigen, daß die Persönlichkeit Grundlage unserer gesamten Rechtsordnung – sowohl des Privatrechtes als auch des öffentlichen Rechtes – ist und in besonderer Weise unsere objektiv - sittliche Wertordnung mitbestimmt. Hierbei kann nur ein sehr kurzer Überblick unter Anführung gewisser grundlegender Überlegungen gegeben werden, die eher dafür gedacht sind, Denkanstöße und Ansatzpunkte für Überlegungen zu bieten. Eine umfangreiche Erörterung würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Daran anschließend, muß ein “allgemeines Persönlichkeitsrecht”, das sich den geänderten Verhältnissen unserer Zeit und der besonderen Schwierigkeit der Erfaßbarkeit des Persönlichkeitsbegriffes anpaßt, im Gegensatz zu “besonderen Persönlichkeitsrechten” diskutiert werden. Entsprechend dem generalklauselartigen Charakter eines “allgemeinen Persönlichkeitsrechts”, der naturgemäß eine gewisse Unbestimmtheit in sich trägt, ist ein Instrumentarium zu entwickeln, das eine Ausfüllung des § 16 ABGB erlaubt. In dieser Hinsicht ist insbesondere nach der konkreten Schutzwürdigkeit zu fragen, die immer dann zur Diskussion steht, wenn Persönlichkeitsrechte in Kollision mit anderen Rechten treten. Hier prallen Rechtsgüter verschiedenster Gewichtung aufeinander und bedürfen einer gegenseitigen Abwägung ihrer Wertigkeit. Um eine solche Abwägung bewerkstelligen zu können, muss an Hand einer juristischen Methode versucht werden, Instrumente für eine Güter- und Interessenabwägung zu entwickeln. Dabei soll aber über das Privatrecht hinaus eine Wertfindung in der gesamten Rechtsordnung erfolgen, weil die Persönlichkeit als höchster Wert unseres Mensch - Seins sich in allen Bereichen des Rechts widerspiegelt. In diesem Zusammenhang ist besonders ein Blick auf die Wirkung der Grundrechte auf das Privatrecht zu werfen. Nach der Ergründung der Lösungsinstrumentarien sollen in praktischer Anwendung persönlichkeitsrechtliche Problemfälle des Individualarbeitsrechts untersucht werden, weil sich gerade in diesem Bereich der Rechtsordnung, wie die Judikatur und die Auseinandersetzung in der Lehre beweisen, besonders viele Schwierigkeiten ergeben.