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Gesamte Inhalte:

© Dr. Christoph Paul Stock

 

B) WAS IST UNTER EINEM “ALLGEMEINEN PERSÖNLICHKEITSRECHT” ZU VERSTEHEN?

 

Zu Beginn der Untersuchung eines “allgemeinen Persönlichkeitsrechts” ist die Frage zu stellen, was eigentlich ein “allgemeines Persönlichkeitsrecht” ist? Unter einem “allgemeinen Persönlichkeitsrecht” ist wohl im Unterschied zu besonderen Persönlichkeitsrechten, die zB die Ehre, den Namen, die Gesundheit oder das eigene Bild einer Person schützen, ein generalklauselartiges Recht zu verstehen, das allen Bereichen und Eigenarten des Menschen Schutz bietet. Es soll die Persönlichkeit in ihrer Freiheit, in ihrer Dynamik, ihrer Schöpferkraft und Originalität schützen. Ein Schutz der nicht nur Teilbereiche der Person, sondern die Person als untrennbares Ganzes umgibt.[1]) Hier sei auf die Ausführungen am Beginn dieser Arbeit verwiesen, die den Anspruch der Persönlichkeit auf individuelle Einmaligkeit und Selbstbestimmung in der historischen Entwicklung aufzeigen und ihre Notwendigkeit und Bedeutung für heute klarlegen.

Ein solches “allgemeines Persönlichkeitsrecht” ist in der österreichischen Lehre umstritten[2]) und kann auch aus den Entscheidungen der Höchstgerichte nicht herausgelesen werden, obgleich der OGH den § 16 ABGB und damit die Kernbestimmung eines “allgemeinen Persönlichkeitsrechts” nicht brachliegen hat lassen und ihn in wenigen Entscheidungen als Grundlage für die Gegebenheit eines Persönlichkeitsrechts herangezogen hat.[3])

So hat der OGH in seiner Entscheidung vom 24. Oktober 1978 ganz allgemein ausgesprochen, daß die Wertung, ob ein Persönlichkeitsrecht im Einzelfall besteht und welchen Umfang es hat, durch die gesamte Rechtsordnung beurteilt werden muß; ferner, daß die Persönlichkeitsrechte absolute Rechte seien, die als solche Schutz vor Eingriffen Dritter genössen. Aber nicht jedes Verhalten, das persönliche Rechte eines anderen berühre, sei schon rechtswidrig; es müsse vielmehr eine Interessensabwägung vorgenommen werden, da eine Überspannung des Schutzes der Persönlichkeit zu einer unerträglichen Einschränkung anderer oder jener der Allgemeinheit führen würde.

Doch darf man über diese Entscheidung in gar keinem Fall in Jubel ausbrechen, als eine Schwalbe noch keinen Sommer macht und nur ganz wenige weitere Entscheidungen auf § 16 ABGB Bezug genommen haben.[4])

Es sei aber hier kurz eine weitere Entscheidung des OGH vom 13. April 1983 erwähnt, in der das Höchstgericht das Recht der Ehre als Persönlichkeitsrecht mit absolutem Schutz bezeichnet und berufend auf § 16 ABGB einen Unterlassungsanspruch unabhängig davon gewährt, ob der Kredit, der Erwerb oder das Fortkommen gefährdet wird, ob also die Voraussetzungen des § 1330 Abs 2 ABGB fehlen.[5])

In drei weiteren Entscheidungen (SZ 51/146, SZ 56/124 und SZ 61/193) sprach der OGH aus, dass das Recht auf Ehre und das Recht auf Achtung der Geheimsphäre “angeborene Rechte” im Sinne des § 16 ABGB seien. Sie seien absolute Rechte, “wobei aber aus diesem Rechtscharakter allein noch nicht zwingend auf die Rechtswidrigkeit einer Handlung geschlossen werden kann, wenn auch in der Handlung ein gewisses Indiz für das Vorliegen ihrer Rechtswidrigkeit gelegen sein mag. Die Rechtswidrigkeit kann nur auf Grund einer umfassenden Interessensabwägung beurteilt werden.”[6])

Lediglich in einer Entscheidung spricht der OGH ausdrücklich von einem “allgemeinen Persönlichkeitsrecht”. Dies in seiner Entscheidung vom 22. Oktober 1986 wo es heißt: “In der Lehre herrscht Einhelligkeit darüber, dass das Recht auf Namensanonymität ein aus dem “allgemeinen Persönlichkeitsrecht” abgeleitetes Recht darstellt ...” Hier nimmt der OGH nicht selbst zum “allgemeinen Persönlichkeitsrecht” Stellung und beruft sich auf die Lehre. Auch wird der § 16 ABGB nicht ausdrücklich erwähnt. So kann man dieser Aussage wohl kaum Gewicht dahingehend beimessen, dass der OGH den § 16 ABGB als normative Bestimmung des “allgemeinen Persönlichkeitsrechts” verstanden haben wollte. Zusätzlich hat der OGH in späteren Entscheidungen den Begriff des “allgemeinen Persönlichkeitsrechts” nicht mehr verwendet.

Da das allgemeine Persönlichkeitsrecht in der deutschen Lehre großteils anerkannt ist und in mehreren Entscheidungen des BGH ebenfalls anerkannt wurde, soll ein Blick in das Nachbarrecht gewagt werden.

Der I. Zivilsenat hat in der Entscheidung BGHZ 13, 334 eine Verletzung des “allgemeinen Persönlichkeitsrechts” darin erblickt, dass ein Zeitungsverlag eine Zuschrift ohne Billigung des Verfassers mit Änderungen veröffentlichte und hierdurch in die persönlichkeitsrechtliche Eigensphäre des Verfassers eingriff, dessen Persönlichkeitsbild durch die Veränderung verfälscht erscheinen konnte. Dabei ist hervorgehoben worden, dass die ungenehmigte Veröffentlichung privater Aufzeichnungen in der Regel einen unzulässigen Eingriff in die jedem Menschen geschützte Geheimsphäre darstelle. Dem verletzten Verfasser ist ein Schutzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB unter Hinweis darauf zugebilligt worden, dass vom Blickpunkt des Persönlichkeitsschutzes aus die Interessenlage des Autors derartiger Aufzeichnungen im wesentlichen dieselbe sei wie die des Werkschöpfers urheberrechtlich geschützter Werke; für dessen Schutz habe die Rechtsprechung bereits seit langem die zur Anwendung gebrachten Rechtsgrundsätze aus dem Urheberpersönlichkeitsrecht abgeleitet; dieses sei nur eine besondere Erscheinungsform des “allgemeinen Persönlichkeitsrechts”. Diese Grundhaltung des BGH hat selbiger in einer ganzen Reihe weiterer Entscheidungen bestätigt.[7])

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird in Deutschland insbesondere mit der Berufung auf die Bestimmungen der Art 1 und 2 des Grundgesetzes[8]) anerkannt, in denen die Unantastbarkeit der Menschenwürde ausgesprochen und das Recht eines jeden auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit festgeschrieben ist.[9])

Dabei dürfen die Rechte anderer nicht verletzt werden, und es darf nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder die Sittengesetze verstoßen werden.[10])

Die Drittwirkung der Grundrechte auf das Privatrecht ist in diesem Falle in Deutschland ebenfalls anerkannt. Diese Auswirkungen und die momentane Situation in Bezug auf die Drittwirkung von Grundrechten in Österreich sollen später untersucht werden.

Da sich durch die Anerkennung eines “allgemeinen Persönlichkeitsrechts” in Deutschland, begründet durch das Grundgesetz und die notwendige Anerkennung der Persönlichkeit in ihrer Gesamtheit, das Problem ergeben hat, dass keine ausdrückliche zivilrechtliche Bestimmung vorhanden war, aus der das allgemeine Persönlichkeitsrecht gefolgert werden konnte, musste man auf die Schadenersatzbestimmungen des § 823 BGB zurückgreifen und das Persönlichkeitsrecht unter die “sonstigen Rechte” des § 823 einordnen.[11]) Verstöße, die nicht zu Verletzungen von Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit und Eigentum gehören, werden unter die “sonstigen Rechte” subsumiert.[12]) Damit war die Durchsetzbarkeit, die Wesenselement eines jeden subjektiven Rechts ist, gesichert.[13]

In Hinsicht auf diese Einordnungsschwierigkeiten müssten wir uns in Österreich eigentlich glücklich schätzen, da wir eine ausdrückliche Bestimmung im ABGB haben[14]), nämlich den § 16, der das allgemeine Persönlichkeitsrecht in bester Weise umschreibt.[15]) Das gewichtigste Argument gegen eine Nutzung dieser Bestimmung ist der Vorwurf, das allgemeine Persönlichkeitsrecht sei zu unbestimmt und bringe eine Rechtsunsicherheit mit sich.[16]) Ob dieses Argument stichhaltig ist, wird in den folgenden Kapiteln zu untersuchen sein.

Schließlich darf daran erinnert werden, dass das ABGB im Gegensatz zum BGB eine generalklauselartige Schadenersatzbestimmung in den §§ 1293 - 1298 ABGB besitzt und damit jeder schuldhafte und rechtswidrige Eingriff in ein subjektives


Recht, so auch in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, vom Rechtsträger verfolgt werden kann.

Daran schließt sich aber jetzt die Frage an, ob das “allgemeine Persönlichkeitsrecht” tatsächlich ein subjektives Recht ist. Hierbei soll vorerst der Inhalt und das Wesen des subjektiven Rechts untersucht werden, um daran anschließend eine Basis für die Erörterung zu haben, ob das “allgemeine Persönlichkeitsrecht” die Voraussetzungen eines subjektiven Rechts erfüllt.


[1]) Schnorr, Erfüllung arbeitsvertraglicher Pflichten und Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers, in FS - Strasser 106.
[2]) überwiegend ablehnend: Bydlinski, RZ 1965, 69; Koziol, Haftpflichtrecht2 II 6; Jabornegg - Strasser, Privatrecht und Umweltschutz (1976) 80; Schwarz, in FS - Floretta 428. überwiegend bejahend: Gschnitzer, Allgemeiner Teil2 70; Ostheim, Rechtsfähigkeit 101 f; R. Doralt, ÖJZ 1973, 645; Reischauer, Namensrecht 271; Schnorr, FS - Strasser 96.
[3]) vgl dazu: Edlbacher, Der Stand der Persönlichkeitsrechte in Österreich, ÖJZ 1983, 422 ff.
[4]) SZ 51/146 = Arb 9742 = RdA 1979, 394 = ZAS 1979, 176.
[5]) SZ 56/63.
[6]) SZ 61/193; sinngemäß in SZ 51/146 und SZ 56/124.
[7]) BGHZ 15, 249; 20, 345; 24, 72 und 78; 24, 200; 26, 349 und 354; 27, 285; 13, 338.
[8]) Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht2, 107 ff; BGHZ 24, 72; JZ 1983, 689; Nipperdey in Nipperdey - Scheuner, Die Grundrechte II 18 ff; Heimerich, BB 1956, 249 (251).
[9]) Während die deutschen Juristen die Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechtes auf das GG stützen, können die Schweizer ein solches aus dem Art 28 ihres
ZGB ableiten, der folgendes besagt: “Wer in seinen persönlichen Verhältnissen unbefugter Weise verletzt wird, kann auf Beseitigung der Störung klagen.” Was im einzelnen unter den “persönlichen Verhältnissen” zu verstehen ist, wird allerdings nicht näher ausgeführt.
Der Liechtensteiner Art 39 ZGB legt folgendes fest: “Wer in seinen persönlichen Verhältnissen unbefugter Weise verletzt und bedroht wird, wie beispielsweise in
der körperlichen oder geistigen Unversehrtheit, der Ehre, im Kredit, im Hausfrieden, in der Freiheit, im Namen, Wappen, Hauszeichen und ähnlichen Zeichen, im Recht am eigenen Bild, in Brief-, Geschäfts- und ähnlichen Verhältnissen und überhaupt im Recht auf Achtung und Geltung der Persönlichkeit, soweit nicht Persönlichkeitsgüter wie das Urheber-, Erfinderrecht und dergleichen durch besondere Gesetze geregelt sind und soweit ihr Schutz mit den Interessen der Mitmenschen erträglich ist, kann Feststellung der Verhältnisse, Beseitigung der Störung, Wiederherstellung des früheren Zustandes durch Widerruf und dergleichen und Unterlassung fernerer Störung verlangen, ohne dass er ein Verschulden des anderen zu beweisen hat.”
[10]) Maunz - Dürig - Herzog - Scholz, Grundgesetz3 Art 1 Abs III Anm 127 ff.
[11]) Zitat aus BGHZ 24, 72: “Denn nicht anders kann es verstanden werden, dass es in Art 1 Abs 1 Satz 2 als Verpflichtung aller staatlichen Gewalt erklärt worden ist, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen, und dass in Art 1 Abs 3 die in den nachfolgenden Bestimmungen niedergelegten Grundrechte, darunter in erster Linie das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, zu unmittelbar geltendem, Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung bindendem Recht erhoben worden sind. Danach ist aber auch die Folgerung unabweislich, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht als ein ‘sonstiges Recht’ im Sinne des § 823 Abs 1 BGB anzusehen ist.”
vgl weiters: Enneccerus - Nipperdey, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts14 I Anm 2 zu §78; Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht2, 104 (106 f,127 f, 139). Mangoldt - Klein, Das Bonner Grundgesetz2, 65 ff (147).
[12]) Hierzu empfahl der 42. DJT, der sich mit den Persönlichkeitsrechten befasste, eine gesetzliche Regelung dieser Materie: vgl Verhandlungen zum 42. DJT (1957); Bussmann, Gutachten für den 42. DJT Bd I 1 ff; Über die Verhandlungen s. Bd II D: Referat von Nipperdey, Larenz und Henkel.
[13]) Der Deutsche Juristentag 1957 hat eine weitergehende Regelung des Persönlichkeitsschutzes empfohlen. Die deutsche Bundesregierung hat diesem Verlangen durch
die Vorlage des Entwurfes zu einem “Gesetz zur Neuordnung des zivilrechtlichen Persönlichkeits- und Ehrenschutzes” entsprochen.
Erdsiek, Der Regierungs - Entwurf zum Persönlichkeits- und Ehrenschutzgesetz, Ufita 29, 1; (Ufita = Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht).
34)          OGH 28. Februar 1990, 9 Ob A 351/89 in JBl 1990, 734: “§ 16 ist nicht bloß Programmsatz, sondern Zentralnorm unserer Rechtsordnung mit normativen, subjektive Rechte gewährenden Inhalt und schützt in seinem Kernbereich die Menschenwürde.”
[15]) So preist Schnorr Österreichs glückliche Lage, im § 16 ABGB eine geschmeidige Generalklausel zu haben, in der ein allgemeines Persönlichkeitsrecht verankert sei; Schnorr, Die Grundrechte mit Arbeitsrechtsbeziehung und die Neufassung des österreichischen Grundrechtskataloges, in Rechtswissenschaft und Sozialpolitik III (1967) 24; Ostheim, Gutachten zum 4. ÖJT 80 ff; Ostheim, in 4. ÖJT II/4, 75.
[16]) Ehrenzweig, System des österreichischen Privatrechts, Allgemeiner Teil2 I 125 ff; Rehm, Das Recht am eigenen Bild, JBl 62, 1; Serini, Verletzung der Privatsphäre im österreichischen Strafgesetzentwurf, ÖJZ 63, 377; Strasser, Der immaterielle Schaden im österreichischen Recht; Gschnitzer, Allgemeiner Teil2, 70 ff.
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