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Gesamte Inhalte:

© Dr. Christoph Paul Stock

 

F) DAS VERHÄLTNIS DES “ALLGEMEINEN PERSÖNLICHKEITS- RECHTES” ZU DEN BESONDEREN PERSÖNLICHKEITSRECHTEN

 

Aus den Entscheidungen des OGH ist eine Anerkennung eines “allgemeinen Persönlichkeitsrechts” als Rechtsquelle für neue Persönlichkeitsrechte nicht herauszulesen.[1]) Dem OGH erscheint das allgemeine Persönlichkeitsrecht wohl als zu wenig bestimmt, was die Gefahr einer Uferlosigkeit und damit einer Rechtsunsicherheit mit sich bringe. Der Gerichtshof folgert daraus, daß im Wege der Auslegung und Lückenfüllung aus schon anerkannten Persönlichkeitsrechten neue Persönlichkeitsrechte abzuleiten wären.[2])

Oftmals wird auch behauptet, das allgemeine Persönlichkeitsrecht sei nur ein Rahmenrecht, ein Begriffsschema mit einer Ordnungsfunktion. Fikentscher[3]) meint, dass die Entfaltungsfreiheit kein subjektives Recht sein könne, weil sie sich mit dem Güterschutz der Person nicht zu einem einheitlichen Recht zusammenfassen ließe.

Es erhebt sich angesichts dieser vorstehenden Ansichten die Frage, ob der Gedanke der Zuweisung aller persönlichen Werte an den einzelnen zur selbständigen Wahrnehmung in unserem positiven Recht Anerkennung gefunden hat, ob die einzelnen Persönlichkeitsrechte eine ausschließliche Regelung des Persönlichkeitsschutzes enthalten, oder ob sie nur Beispiel dafür sind. Die gesetzlich normierten besonderen Persönlichkeitsrechte lassen sich abschließend aufzählen. Doch kann nach der allgemeinen Praxis der Gesetzgebung angenommen werden, dass der Gesetzgeber jeweils dort, wo ein Bedürfnis hervorgetreten ist, entsprechende Bestimmungen erlassen hat, sich im übrigen aber nicht abschließend festlegte.

Anhand der Entwicklungsgeschichte des “Rechts am eigenen Bild” soll gezeigt werden, dass die technische Entwicklung oftmals Auslöser für die Aktualisierung eines Persönlichkeitsrechts ist, aus der dann das Bedürfnis entspringt, eine gesetzliche Regelung festzuschreiben. Es soll aber auch gezeigt werden, dass die analoge Heranziehung schon bestehender spezieller Rechtsnormen zur Regelung neu auftretender Rechtsprobleme nicht unbedingt ideal ist.

Ein früher vehementer Vertreter der Anerkennung des “Rechts am eigenen Bild” war der “Geheim Justiz- und Kammergerichtsrath” Hugo Keyssner, der seine Ansichten im Jahre 1896 in einer Abhandlung veröffentlichte. In dieser Abhandlung verlangte er, dass kein Mensch ohne seine Genehmigung “durch Abbilder veranschaulicht oder durch Illustration berühmt gemacht werden darf”.[4]) Gegen die unerwünschte Bildabnahme stehe dem Betroffenen ein Recht auf Selbsthilfe zu. Der Anlass für die Diskussion rund um ein “Recht am eigenen Bild” war die Entwicklung der Photographie gewesen, die es ermöglichte das Erscheinungsbild einer Person zu verbreiten und so der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es war also eine technische Errungenschaft, die die Juristen vor ein schwierig zu lösendes Problem stellte. Die Meinungen klafften weit auseinander.[5]) Schließlich gab es schon im UrhG vom 26. Dezember 1895 RGBl 197 eine Bestimmung, die das Urheberrecht an bestellten Photographieporträts dem Besteller zusprachen. Dies bedeutete keinen Schutz gegen die unerwünschte Bildnahme, wohl aber einen Schutz gegen die Verwertung und Verbreitung eines Bildes, die aber auf “Porträts” beschränkt war. Adler[6]) verwies darauf, daß für ihn weder das Urheberrecht noch ein anderes Rechtsgebiet ausreichenden Schutz gegen die ungewollte Abbildung gewähre.

Auch der heutige Schutz des “Eigenbildes” erscheint nicht unbedingt befriedigend. § 78 UrhG bestimmt, dass Bildnisse von Personen weder öffentlich ausgestellt noch auf eine andere Art, wodurch sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, verbreitet werden dürfen, wenn dadurch berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden. Nach dieser Bestimmung kann sich niemand dagegen wehren, dass er gegen seinen Willen oder ohne sein Wissen abgebildet und insbesondere photographiert oder gefilmt wird. Niemand kann eine Zugänglichmachung  einer Abbildung seiner äußeren Erscheinung für einen Personenkreis, der nicht als “Öffentlichkeit” zu werten ist, verhindern, selbst dann nicht, wenn hierdurch berechtigte Interessen verletzt werden. Niemand kann eine Veröffentlichung seiner Abbildung verhindern, wenn dadurch sein berechtigtes Interesse nicht verletzt wird.[7]) Die von Adler im Jahre 1911 ausgesprochene Ansicht, dass das österreichische Urheberrecht keinen Schutz gegen die unerwünschte Bildnahme gewähre, gilt somit nach wie vor. Auch ist die Frage aufzuwerfen, inwieweit Normen, die nicht dem Urheberrecht angehören, Schutz gegen Bildnahme und Verbreitung des Abbildes zugestehen? Gehört das “Recht am eigenen Bild” überhaupt in das Gebiet des Urheberrechts? Man wird dies in strenger Konsequenz wohl verneinen müssen! Das Urheberrecht soll seiner historischen Entwicklung folgend schöpferische Leistungen schützen, die von einem Menschen erbracht wurden. Der Gedanke war, geistige Wertgehalte, die durch die technische Entwicklung in Realgestalt marktfähig wurden und so abgelöst von ihrem Schöpfer verwertet werden konnten, gegen Eingriffe Dritter zu schützen. Die äußere Erscheinung des Menschen ist aber keine geistige Schöpfung des Menschen selbst, sondern ein von der Natur gegebenes nach unserer Kulturauffassung schutzwürdiges Dasein. Das Recht am “Eigenbild” ist also ein natürliches Persönlichkeitsrecht und sein Gehalt und der Gehalt des Urheberrecht widerstreiten einander: “Das eine soll das Urbild vor dem Urheber des Abbilds, das andere den Urheber des Abbilds vor unbefugter Verwertung des von ihm geschaffenen Abbilds, aber insoweit auch vor dem Urbild schützen, als diesem eine unbeschränkte Ausübung des Rechts am eigenen Bild gegenüber dem Urheber des Abbildes nicht zugestanden werden kann”.[8]) Das “Recht am Eigenbild” ist also seinem Wesen und seinem Inhalt nach kein Urheberrecht[9]), sondern ein selbständiges Persönlichkeitsrecht!

Der Gesetzgeber hat seine Aufgabe insoweit erfüllt, als er die Bedeutung und den Regelungsbedarf zum Schutze des “Eigenbildes” erkannt hat und nachgekommen ist. Dabei hat er aber nur eine Teilnuance des Persönlichkeitsrechts am “Eigenbild” geregelt, nämlich jene, die in Analogie zu den Urheberrechten geregelt werden konnte. Es ist sicherlich zuzugeben, dass diese Teilnuance für die rechtliche Praxis wohl den bedeutendsten Bereich darstellt. Doch kann man nicht verleugnen, dass die Regelung nicht ganz befriedigend ist, als sie der Persönlichkeit in der Gesamtheit ihrer äußeren Erscheinungsform auf keinen Fall gerecht wird. Eine Erweiterung des Rechts am “eigenen Bild” im Systemzusammenhang mit dem UrhG erscheint aber systemunlogisch, da es sich wie oben ausgeführt beim Recht am “eigenen Bild” um kein Urheberrecht im eigentlichen Sinn, sondern um ein selbständiges Persönlichkeitsrecht handelt. Man kann also resümierend sagen, dass der Gesetzgeber hier zu krampfhaft eine systemlogische Analogie zu einer schon bestehenden Rechtsnorm gesucht hat und sich damit in der Gestaltungsmöglichkeit  für die Zukunft selbst eingeschränkt hat.[10])

Dass der Gesetzgeber verschiedene andere besondere Persönlichkeitsrechte ebenfalls aus der Situation eines Regelungsbedürfnisses heraus normiert hat, könnte auch noch an anderen Persönlichkeitsrechten durch eine historische Entwicklungsbetrachtung nachgewiesen werden. Wir wollen es aber dabei bewenden lassen.

Auf keinen Fall ist der Wille des Gesetzgebers zu erkennen, eine abschließende Aufzählung der Persönlichkeitsrechte zu geben. Ein solcher Wille hätte im Gesetz unzweideutig zum Ausdruck gebracht werden müssen.

Durch die Beschreibung des Rechts am “Eigenbild” wurde auch erkennbar, dass die Persönlichkeitsrechte nicht in allen ihren Teilnuancen geregelt werden können und sollen, sondern immer nur soweit, als dies für das Minimum an Regelungsgehalten zur rechtlichen Gestaltung des Zusammenlebens notwendig erscheint. Wenn dies schon für ein besonderes Persönlichkeitsrecht gilt, muss es erst recht für ein “allgemeines Persönlichkeitsrecht” gelten. Auch dieses bedarf einer Aufgliederung nach den verschiedenen Interessen und den ihnen zugrundeliegenden Gütern, da der aus ihnen abgeleitete Schutz dem einzelnen Gut angepasst sein muss.[11]) Dadurch wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht aber noch nicht zu einer bloßen Denkform, einer Richtlinie oder einem Oberbegriff mit bloßer Ordnungsfunktion.[12]) Denn aus ihm können Ansprüche in allen Fällen von Persönlichkeitsverletzungen hergeleitet werden, die nicht unter ein bereits gesetzlich anerkanntes einzelnes Persönlichkeitsrecht fallen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht bildet also eine die Einzelregelungen ergänzende allgemeine Anspruchsgrundlage, wobei für ihre Begründetheit im Einzelfall die Eigenart des verletzten Interesses heranzuziehen ist.

Den Gegnern eines “allgemeinen Persönlichkeitsrechts” ist sicher darin recht zu geben, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht genau abgegrenzt werden kann. “Die Persönlichkeit mit ihrer Dynamik und ihrem faustischen Drang ins Unendliche kann nicht in ein enges Schema gepresst werden, zumal sie in allen ihren Seiten noch gar nicht erkannt ist und wohl auch von den fernsten Geschlechtern der Zukunft nicht erkannt werden wird. Alle Versuche, den Inhalt des Persönlichkeitsrechts positiv abzugrenzen, müssen daher am geheimnisvollen Wesen der Persönlichkeit scheitern”.[13]) Die Gefahr dieser Unfassbarkeit des “allgemeinen Persönlichkeitsrechts” sieht man in der Rechtsunsicherheit, die sich aus der Generalklausel des § 16 ABGB ergibt. Wenn man sich aber vergegenwärtigt, welche Bedeutung die Generalklauseln von den “Guten - Sitten” und von “Treu und Glauben” haben, wird man das allgemeine Persönlichkeitsrecht als weniger gefährlich für die Rechtssicherheit ansehen und seine Bedeutung für die Rechtsweiterentwicklung erkennen. Zu diesem Problemkreis meint Rehm: “Wir müssen uns an den Gedanken gewöhnen, dass wir mit starren Normen und Begriffen nicht mehr das Auslangen finden. Wie bequem lebt es sich doch in den Bereichen des ,traditionellen’ Rechts!... Ganz anders ist die Situation auf den Gebieten des menschlichen Lebens, die erst in den letzten Jahrzehnten erschlossen wurden. Zu diesen Gebieten gehört auch das der Photographie, die das Problem des “Rechts am Eigenbild” erst aktuell werden ließ. Auf diesen rechtlich noch ,unterentwickelten’ Gebieten sind neue Rechtsbegriffe im Entstehen und im Werden.”[14])

Es bleibt zu hoffen, dass der Begriff “allgemeines Persönlichkeitsrecht” zu einem festen Begriff werden wird und damit die Wertigkeit der Person und die Persönlichkeit in ihrer Gesamtheit rechtliche Anerkennung finden wird, in dem Sinne, dass alle neu auftretenden schutzwürdigen Interessen der Persönlichkeit nicht erst lange auf ihre subjektive Anerkennung in einem besonderen Persönlichkeitsrecht zu warten haben, sondern in der Generalklausel des § 16 ABGB ihren Platz finden werden.


[1]) SZ 51/146; SZ 56/124; SZ 61/193.
[2]) Edlbacher, ÖJZ 1983, 423; SZ 51/146; ZAS 1979, 176 (mit Glosse von Marhold).
Hier werden die sogenannten Persönlichkeitsrechte als absolute Rechte bezeichnet. Doch ist nicht abzuleiten, ob der OGH ein allgemeines Persönlichkeitsrecht anerkennt.
[3]) Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtschutz 211 ff; Fikentscher, Schuldrecht7 § 103 II 1b, 2.
[4]) Keyssner, Das Recht am eigenen Bilde 40.
[5]) vgl dazu: Cohn, Neue Rechtsgüter 40; Kohler, Kunstwerkrecht 159.
[6]) Adler, Die Persönlichkeitsrechte im ABGB, Festschrift zur Jahrhundertfeier des ABGB II (1911) 163.
[7]) Rehm, Das Recht am eigenen Bild, JBl 1962, 1.
[8]) Rehm, Das Recht am eigenen Bild, JBl 1962, 2.
[9]) Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht2, 39.
[10]) Auch in Deutschland lässt sich die Entwicklung von besonderen Persönlichkeitsrechten, hier vom Recht am “Eigenbild” anhand eines praktischen Beispiels zeigen, aus dem heraus die Notwendigkeit einer solchen Regelung vom Gesetzgeber erkannt wurde: Im Fall Bismarck hatten zwei Photographen, die in das Sterbezimmer Bismarcks eingedrungen waren und den Toten photographieren hatten, die Bilder des Toten veröffentlicht. Die sich daraus ergebenden Rechtsstreitigkeiten führten zur Verankerung des Rechts am “eigenen Bild” RGZ 45, 170.
[11]) Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht2, 129.
[12]) Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtschutz 211 ff. Fikentscher, Schuldrecht7 § 103 II 1b, 2.
[13]) Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht2, 132. Darüber ist man sich in Literatur und Rechtsprechung einig, vgl für Österreich:
Ehrenzweig, System des österreichischen Privatrechts, Allgemeiner Teil2 I 125 ff; Rehm, Das Recht am eigenen Bild, JBl 62, 1; Serini, Verletzung der Privatsphäre im österreichischen Strafgesetzentwurf, ÖJZ 63, 377; Strasser, Der immaterielle Schaden im österreichischen Recht; Gschnitzer, Allgemeiner Teil2, 70 ff;
vgl für Deutschland: BGHZ 24, 78; 30, 11; 35, 368; Enneccerus - Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts15 I § 101, I 2; Larenz, NJW 55, 523; Siebert, NJW 58, 1373.
[14]) Rehm, Das Recht am eigenen Bild, JBl 1962, 6.
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