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Gesamte Inhalte:

© Dr. Christoph Paul Stock

 

cd) Objektiv - teleologische Auslegung und natürliche Rechtsgrundsätze

 

Aus den drei vorstehenden Interpretationsmethoden ist für unsere Problemfrage, welche Rechtsgüter die Persönlichkeit charakterisieren und wie sie gegen andere Rechte abzugrenzen sind, auf den ersten Blick noch nicht viel gewonnen. Es steht fest, dass die natürlichen Rechte nach dem Wortlaut des Gesetzes an den Personen haften, dass man versuchen muss, den § 16 ABGB auszufüllen, um ihn nicht systemwidrig brach liegen zu lassen und dass der historische Grundgedanke der Redaktoren darin liegt, den § 16 ABGB als flexible ausgestaltbare Bestimmung zu verstehen, der ein nicht abgeschlossener Rechtsgüterschutz innewohnt, den es zu bestimmen gilt.

Bei dieser Betrachtung wird aber ersichtlich, dass die nähere Bedeutung des § 16 ABGB auf eine “Funktionsmobilität” hinweist. Dies bedeutet unter dem Grundsatz, dass es stets um die Anwendung der gegenwärtigen Rechtsordnung in der gegenwärtigen Rechtsgemeinschaft geht[1]), dass die Bestimmung des § 16 ABGB immer fortschreitend dem Umfang des Rechtsgüterschutzes, je nach Entwicklung neuer Gefährdungslagen, dem momentanen Entwicklungsstand folgend, anzupassen ist.

In methodischer Hinsicht ist eine solche Anpassung durch eine objektive - teleologische Auslegung möglich. Diese versucht die ratio legis mit Hilfe der Fragestellung zu erfassen, welche Zwecke Menschen im allgemeinen verfolgen, wenn sie unter Umständen wie den vorliegenden eine Rechtsnorm erlassen.[2]) Es wird gefragt, welchen Sinn eine Regelung vernünftiger Weise haben kann. Hierbei sind die dem Recht allgemein innewohnenden Zwecke, wie Gerechtigkeit, sozialer Ausgleich und Rechtssicherheit zu berücksichtigen, die in der “Rechtsidee” zusammengefasst werden.[3])

Diese “Rechtsidee” kann aber nur mit Hilfe der “natürlichen Rechtsgrundsätze” beschrieben werden, weil gerade sie Spiegelbild der Symbiose von Rechtsordnung und Rechtsbewusstsein sind. Daher entfalten in Wahrheit die “natürlichen Rechtsgrundsätze” nicht nur erst dann Bedeutung, wenn weder aus Auslegung und Lückenfüllung eine zweifellose Lösung des Rechtsfalls nicht möglich ist, sondern wirken in der Auslegung und hier insbesondere in der objektiv - teleologischen Auslegung schon mit.[4])

Was sind nun diese “natürlichen Rechtsgrundsätze”? Der Oberste k. und k. Gerichtshof hat sie umschrieben als “das zu einer bestimmten Zeit herrschende, von den logischen Denkgesetzen getragene Rechtsbewusstsein des Volkes”[5]).[6]) Es gibt nun zwei Möglichkeiten, wie man sich den “natürlichen Rechtsgrundsätzen” nähern kann. Einerseits, wie durch das k. und k. Gericht ausgesprochen, über die sozialen Normen, die von aller Rechtsautorität wie gesetzgebenden Instanzen und Gerichten unabhängig, in den sozialen Verbänden und Interessengruppen, daher unter den an bestimmten typischen Lebensverhältnissen beteiligten Personen, entstanden sind und unter der Sanktion der sozialen Missbilligung gelten.[7]) Die andere Möglichkeit besteht darin, dass man sich den “natürlichen Rechtsgrundsätzen” durch ein Entlangtasten und Emporsteigen an den Normen des geltenden Rechts induktiv zu den ihm zugrundeliegenden allgemeinen Wertungen und Zwecken hinarbeitet. Dabei muss man sich immer den Unterschied zwischen einem allgemeinen Rechtsgrundsatz und der Analogie vor Augen halten, der darin liegt, dass die Analogie einen vollständigen Rechtssatz mit Tatbestand und Rechtsfolge liefert, während das allgemeine Rechtsprinzip nur eine Werttendenz oder einen allgemeinen Zweck enthält, die Durchführung und die Rechtsfolgen aber offen lässt.[8]) Eine Umsetzung ist dann zB durch die Generalklausel des § 16 ABGB möglich, verlangt aber unmittelbar im konkreten Fall der Anwendung nach dem Instrument der Güter- und Interessenabwägung, das sich gerade aus den gewonnenen Rechtsprinzipien systematisch erstellen lässt.

Ein “natürlicher Rechtsgrundsatz” wird nur durch die Heranziehung beider Gesichtspunkte erruierbar sein. Denn lässt sich weder aus historischen Materialien noch aus der neueren Rechtsentwicklung der Grundgedanke des geltenden Gesetzes induktiv ableiten, sondern ein hier enthaltenes allgemeines Wertprinzip nur erahnen[9]), braucht es der Bestätigung durch die Wertvorstellungen im sozialen Leben, die zusätzlich oftmals konkurrierend sind und daher nur Wertkompromisse bieten. Dies ist eine Frucht unserer “pluralistischen Gesellschaft”. Andererseits ist bei sozialen Normen und Wertvorstellungen ebenfalls Vorsicht geboten, weil nicht alle Lebensbereiche vom Recht durchflossen werden sollen[10]) und daher die Rechtsordnung klarstellen muss, wie weit eine Regelungsbedürftigkeit gegeben ist oder anders formuliert, ob es Hinweise aus unvollständigen Regelungen der Rechtsordnung dafür gibt, dass ein gewisser Lebensbereich oder ein gewisses Lebensverhältnis als regelungsbedürftig erscheint.[11]) Genau diese Probleme beschäftigen auch den Gesetzgeber bei der Erstellung neuen positiven Rechts. Daher die Forderung, der Rechtsanwender soll so entscheiden, wie der Gesetzgeber selbst entschieden hätte.[12])

Im Problemfall der Abgrenzung des “allgemeinen Persönlichkeitsrechts” geht es jetzt darum, mit Hilfe der “natürlichen Rechtsgrundsätze” im Sinne einer objektiv - teleologischen Auslegung, die sich der Wertungsjurisprudenz verpflichtet fühlt, ein Instrumentarium von Rechtsprinzipien zu schaffen, das begrifflich als Güter- und Interessenabwägung eine Bestimmung und Abgrenzung des “allgemeinen Persönlichkeitsrechts” erlaubt.


[1]) Bydlinski in Rummel, Kommentar zum ABGB2 I, Rz 26 zu § 6.
[2]) Bydlinski in Rummel, Kommentar zum ABGB2 I, Rz 20 zu § 6.
[3]) Koziol - welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts8 I 22.
[4]) Bydlinski in Rummel, Kommentar zum ABGB2 I, Rz 8 zu § 7.
[5]) GIUNF 7335.
[6]) vgl dazu auch: Ehrenzweig, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts I/1: Allgemeiner Teil2 (1951) 83.
[7]) Rummel, Kommentar zum ABGB2 I, Rz 9 zu § 7.
[8]) Bydlinski, JBl 1968, 223.
[9]) Es wird von der Lehre die Heranziehung der allgemeinen Wertprinzipien der Rechtsordnung zur Lösung des Rechtsproblems der durch Analogie nicht auffüllbaren Lücken verlangt: Ehrenzweig, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts I/1: Allgemeiner Teil2 (1951) 83; Bydlinski, in GS - Gschnitzer 107; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2 (1991) 490; Mayer-Maly, in GS - Marcic (1983) 853.
[10]) Rummel, Kommentar zum ABGB2 I, Rz 11 zu § 7: “Gewiss gelten im Freundschafts- und Liebesverhältnis Hilfspflichten, im Nachbarverhältnis oder überhaupt unter Bekannten Höflichkeitsregeln, ohne dass jemand daran denken würde, sie auch nur subsidiär als rechtlich verbindlich zu betrachten.”
[11]) Darunter sind die “rationes legis” zu verstehen, die aus dem Gesetz unter Zugrundelegung der Wertungen und Zwecke desselben auf hoher Abstraktionsstufe in den Rechtsprinzipien und auf Grund umfassender Ordnungs- und Wertwahl in den ganzen Rechtsgebieten und Rechtsinstituten herauszulesen sind.
[12]) Gschnitzer, Lehrbuch des österreichischen bürgerlichen Rechts: Allgemeiner Teil (1966) 33.
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