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© Dr. Christoph Paul Stock

 

2) Der Rangunterschied der Werte

 

Für unser Anliegen, Interessen gegeneinander abzuwägen, genügt es aber noch nicht, ihren Wertgehalt und ihre Zuordnung festzulegen. Hier muss das Rangverhältnis, also das Maß an normativer Kraft der widerstreitenden Interessen festgestellt werden.

Nicht alle Güter und Werte haben den gleichen Achtungsanspruch was besonders leicht an Hand von materiellen Gütern aufgezeigt werden kann. Ihr Vergleichsmaßstab ist der in Geld ausdrückbare Vermögenswert. Doch kann ohne Zweifel gesagt werden, dass persönliche Werte wie zB Leben, Freiheit und Gesundheit ranghöher als materielle Werte sind.[1]) Auch innerhalb der natürlichen Güter lässt sich ein Rangunterschied feststellen: das Leben ist zB höher einzuschätzen als die körperliche Unversehrtheit. “Nach unserer Kulturauffassung darf wohl auch davon ausgegangen werden, dass zwischen materiellen, kulturellen und sittlichen Werten ein aufsteigendes Rangverhältnis besteht.”[2])

Die Beurteilung der Ranghöhe verschiedener Interessen hat in erster Linie durch Berücksichtigung des Gesetzes zu erfolgen. So wiegt generell das Interesse des Arbeitnehmers seinen Arbeitsplatz zu behalten im Sinne des § 105 Abs 3 ArbVG viel schwerer als das Interesses des Arbeitgebers an der Möglichkeit einen Angestellten zu kündigen. Nur wenn das Interesse des Arbeitnehmers durch das Fehlen sozialbedingter Gründe abgewertet ist, wird dem Kündigungsinteresse des Arbeitgebers stärkeres Gewicht beigemessen und eine Kündigungsanfechtung nicht erfolgreich sein.

Das Rangverhältnis der geschützten Werte lässt sich auch sehr schön aus dem Strafrecht ableiten. Hier ist es das unterschiedliche Strafmaß der Tatbestände das Aufschluss bietet. Es müssen aber Bestimmungen herangezogen werden, die von der gleichen Schuldform ausgehen, weil die Höhe der Strafe nicht nur vom Wertgehalt des geschützten Interesses bestimmt wird, sondern auch von der Schwere der Schuld.

So lässt sich wohl aus § 97 StGB ableiten, dass der Verlust des Lebens als auch eine schwere Gesundheitsschädigung des fertigen Menschen – in unserem Falle einer Schwangeren – höher zu bewerten ist, als  der Verlust des Lebens der Leibesfrucht.[3])

Auch im Bereich der Pflichtenkollision bezüglich des Straftatbestandes des “Imstichlassen eines Verletzten” werden die Rangverhältnisse der Rechtsgüter erkennbar. Hier stellt sich die Frage, ob ein mit den rechtlich geschützten Werten verbundener Mensch das zu rettende Interesse über die Verpflichtung zur Hilfeleistung stellen würde.[4])

Im Zivilrecht ist es zwar schwieriger aus den einzelnen Bestimmungen  eine Rangordnung zu entnehmen, doch auch hier gibt es ein Wertverhältnis der Güter, was anschaulich in § 1306a zum Ausdruck kommt.[5]) Soweit die einzelnen positiven Bestimmungen keine Auskunft geben, ist gleich vorzugehen wie bei der Eruierung der Schutzwürdigkeit für bestimmte Interessen. Sollten sich auch so keine Rangunterschiede bestimmen lassen, ist davon auszugehen, dass die Interessen gleichwertig sind. “Letzteres wird wohl für die meisten zivilrechtlichen Interessenkonflikte anzunehmen sein.”[6])


[1]) Kienapfel, Strafrecht: Allgemeiner Teil4 (1991) 42 Rz 21.
[2]) Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft4, 401; Hubmann, Grundsätze der Interessenabwägung, AcP 1956, 101.
[3]) Bertel - Schwaighofer, Österreichisches Strafrecht: Besonderer Teil2 I § 96 Rz 1; Kienapfel, Strafrecht: Allgemeiner Teil4 (1991) 40 Rz 2;
[4]) Bertel - Schwaighofer, Österreichisches Strafrecht: Besonderer Teil2 I § 94 Rz 22 ff; Kienapfel, Grundriss des österreichischen Strafrechts: Besonderer Teil2 II (1988) § 94 Rz 61; Nowakowski, Bemerkungen zu §§ 94, 95 StGB, in FS - Reimer (1976) 266 FN 75a.
[5]) Koziol - Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts8 I 416: “Die Notstandshandlung ist nur dann nicht rechtswidrig, wenn die Interessen des im Notstand befindlichen jene des Geschädigten überwiegen”; vgl dazu auch Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht2 I 107 ff
[6]) Hubmann, Grundsätze der Interessenabwägung, AcP 1956, 103.
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