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Gesamte Inhalte:

© Dr. Christoph Paul Stock

 

5) Veranlassung

 

Als letztes Bewertungsprinzip des menschlichen Verhaltens sei auf das Veranlassungsprinzip eingegangen.

Dieses Prinzip ist sicherlich am schwersten zu fassen, weist es doch große Ähnlichkeiten mit dem Gefahrenprinzip auf und wird leicht durch andere Zurechnungskriterien überlagert, weil es das schwächste negative Bewertungsprinzip menschlichen Verhaltens ist. Das Gefährdungsprinzip geht vom Bestehen der Gefahr einer Rechtsgüterverletzung aus, das Veranlassungsprinzip tangiert hingegen schon jede veranlasste Situation, durch die die Gefahr entsteht, dass ein Interesse nicht befriedigt werden kann. Diese Gefahr muss von der Person nicht beherrschbar sein, sondern es reicht aus, wenn die Verursachung der Interessenkollision gerade noch jemandem zugerechnet werden kann. “Allerdings ist das Veranlassungsprinzip nicht identisch mit der Kausalität. Veranlassung ist nicht bloße Verursachung im Sinne einer “condictio sine qua non”, sondern zurechenbare Verursachung.[1]) Wer durch sein Verhalten einen Wertkonflikt in zurechenbarer Weise veranlasst hat, muss eine gewisse Zurücksetzung seiner Interessen hinnehmen.

So wird zB dem Irrenden die Möglichkeit eröffnet, ein abgeschlossenes Geschäft anzufechten, wenn sein Geschäftsirrtum wesentlich war und vom anderen veranlasst wurde. Veranlassung bedeutet hier adäquate Verursachung durch aktives Tun oder Unterlassen der nötigen Aufklärung und Zurechenbarkeit.[2]) Ein Verschulden des Geschäftspartners[3]) ist nicht erforderlich.[4])

Aus dem Veranlassungsprinzip geht auch hervor, dass eine Notwehr gegen Strafunmündige, Geisteskranke und sonst offensichtlich schuldlos Handelnde möglich ist, da auch sie rechtswidrig handeln können. Da aber der Aspekt des Verschuldens fehlt, muss die Intensität der Notwehrhandlung durch die Ausweichpflicht modifiziert werden.[5])

Man sieht, auch von schuldunfähigen Personen sind die Rechtsgüter zu achten. In diesem Sinne ist die Bestimmung des § 1310 ABGB zu verstehen, die für von schuldunfähigen Personen verursachten Schäden eine gewisse Haftung festlegt. Hier werden drei Gesichtspunkte angeführt, die gegeneinander abzuwägen sind: erstens, ob den Beschädiger nicht dennoch ein Verschulden zur Last gelegt werden kann (auch Kinder sind in der Lage gewisse Gefahren zu begreifen), zweitens, ob der Beschädigte aus Rücksicht auf den Beschädiger die Verteidigung seiner Güter unterlassen hat, und drittens, ob der Beschädiger oder der Beschädigte vermögensmäßig leichter imstande ist, den Schaden zu tragen. Besonders der zweite Aspekt ist getragen vom Gedanken der Veranlassung. Der erste Gesichtspunkt ist vom Verschuldensprinzip der zweite Gesichtspunkt vom Grundsatz der Billigkeit getragen.

Von ganz besonderer Bedeutung in unserer Rechtsordnung ist die Veranlassung von Vertrauen. Wichtig ist hier, dass Vertrauen entweder von einem einzelnen veranlasst werden kann oder institutionell durch die Rechtsordnung aus einem bestimmten Schutzbedürfnis heraus konstatiert wird. Ist Vertrauen durch einen einzelnen veranlasst worden, muss dieser seine Interessen in dem Maße und dem Umfang des erweckten Vertrauens zurückstellen. Dieses Prinzip, das das ganze ABGB beherrscht, kommt besonders zum Ausdruck in § 863 iVm §§ 870 ff ABGB. § 863 lässt dabei erwecktes Vertrauen nicht nur bestimmend sein für das Bestehen einer Willenserklärung im Falle einer durch ausdrückliche Worte und allgemein angenommene Zeichen abgegebene Willensbekundung, sondern auch stillschweigend im Falle einer solchen Handlung, welche mit Überlegung aller Umstände keinen vernünftigen Grund, an der Willenserklärung zu zweifeln, übrig lässt.[6]) Gleiches wird bezüglich des Vertrauens rechtlich angeordnet zB beim gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten (insb § 367 ABGB, vgl aber auch § 371 ABGB) beim Erwerb durch Versteigerungen (§ 367 ABGB) und beim Vertrauen auf das Grundbuch (§ 1500 ABGB), obwohl hier das Vertrauen nicht durch einen einzelnen erweckt wurde, sondern durch bevorzugte Rechtsscheinverhältnisse. Bei letzteren Rechtsverhältnissen muss aber das geschützte Interesse das entgegenstehende Interesse besonders stark überwiegen. So wird im Zusammenhang mit dem gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten durch das Weggeben der Sache durch den Eigentümer der besondere Rechtsschein erweckt, dass eine andere Person Eigentümer bzw zumindest Berechtigter zur Veräußerung ist. Der Glaube an den Rechtsschein wird hier stärker geschützt, als ein schuldloses Verhalten oder ein Irrtum des Eigentümers, verursacht durch eine Täuschung oder Drohung. Gleiches gilt für die Fälle der negativen Publizität von Registern, der Haftung aus Wertpapieren, der Verschweigung usw. Es darf aber nicht vergessen werden, dass das Veranlassungsprinzip das schwächste aller verhaltensbedingten Zurechnungsprinzipien ist und aus diesem Grund leicht durch andere Prinzipien überlagert werden kann. Das kommt schon zum Ausdruck bei der Notwehr gegen Geisteskranke und Kinder, die nur zugunsten besonders wertvoller Güter gerechtfertigt werden kann. In § 1310 ABGB wird zB auch durch den Verweis auf das Verschuldensprinzip und die Billigkeit eine Berücksichtigung aller Interessen vorgeschrieben. Auch lässt das veranlasste Vertrauen auf  die Gültigkeit eines Geschäftsabschlusses mit einem Unmündigen nicht unbedingt ein gültiges Rechtsverhältnis entstehen. Vielmehr ist dieses Geschäft schwebend unwirksam (negotium claudicans)[7]), bis die Einwilligung der Eltern oder des gesetzlichen Vertreters erfolgt. Hier wird zum Teil dem stärkeren entgegenstehenden Interesse auf vermögensrechtlichen Schutz des Minderjährigen der Vorzug gegeben.


[1]) Hubmann, Grundsätze der Interessenabwägung, AcP 1956, 121.
[2]) OGH in SZ 47/148; ZVR 1985/143.
[3]) Gschnitzer in Klang, Kommentar zum ABGB, IV/1, 128; Rummel in Rummel, Kommentar zum ABGB2 I, Rz 15 zu § 871.
[4]) Koziol - Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts8 I 122.
[5]) Kienapfel, Strafrecht: Allgemeiner Teil4 (1991) 37 Rz 19.
[6]) Rummel in Rummel, Kommentar zum ABGB2, Rz 1  zu § 863; Rummel in Rummel, Kommentar zum ABGB2, Rz 1  zu § 871; vgl weiters Kramer, Vertragliche Einigng 33 ff; Bydlinski, Privatautonomie 5 ff; OGH in ZAS 1980/12 mit Kommentar von Tomandl = RdA 1980, 318 mit Anm von Kerscher.
[7]) Gschnitzer in Klang, Kommentar zum ABGB, IV/1, 89 f.
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