top of page
Lebensurbild%20Muster5_edited_edited.png

Gesamte Inhalte:

© Dr. Christoph Paul Stock

 

D) Einwilligung

 

Wie wir gesehen haben, kann die Schutzwürdigkeit des “allgemeinen Persönlichkeitsrechts” durch Interessenabwägung eruiert werden. Ein weiteres Kriterium, das die Schutzwürdigkeit des Persönlichkeitsrechts unter Umständen vermindert und eine Verletzungshandlung als nicht rechtswidrig erscheinen lässt, ist in der Einwilligung des Rechtsträgers zu einer gewissen Handlung zu erkennen. Es handelt sich dabei um einen Rechtfertigungsgrund, der eng mit dem Problem der “Guten - Sitten” und mit dem Selbstbestimmungsrecht zusammenhängt und im weiteren auch in den Bereich der Privatautonomie hineinspielt.

Hinter der Einwilligung steht die grundsätzliche Erwägung, dass ein Rechtsgut, das der Rechtsträger selbst preisgibt, des Schutzes durch die Rechtsordnung nicht bedarf: “Volenti non fit inuria”.[1])

Dieser Grundgedanke wurde weiter oben schon ansatzweise aufgegriffen, wenn die Rede davon war, dass sich ein Ersatzanspruch gegen einen Schädiger nach § 1304 ABGB vermindert, als der Geschädigte bewusst an der Schädigung mitgewirkt hat.[2]) Derjenige, der seine Güter selbst missachtet, kann von anderen keine größere Rücksicht fordern.

Die Hauptfrage, die sich in diesem Zusammenhang für uns stellt, ist aber die, wie weit jemand seine Güter preisgeben darf. Grundsätzlich müsste man doch annehmen dürfen, dass jeder mit seinen Gütern schalten und walten kann wie er will. Von einer solchen Ausgangsposition ausgehend müsste man aber auch die Tatbestände der “Tötung auf Verlangen” (§ 77 StGB) und “Mitwirkung am Selbstmord” (§ 78 StGB) sowie den “Schwangerschaftsabbruch” (§ 96 StGB) uneingeschränkt billigen und für unsere Gesellschaft als unbedenklich betrachten. Besonders unter dem Eindruck der Gräueltaten des NS - Regimes wird man heute eine “aktive und direkte Euthanasie” ablehnen müssen[3]), weil sich das Kulturbewusstsein motiviert durch diese historische Grausamkeit völlig von solchen Dingen abgewendet hat.

Diesem Gedankengang folgend wird man annehmen müssen, dass nicht alle Individualrechtsgüter disponibel sind. Man wird dies zwar bezüglich der Freiheit, der Ehre, der Privatsphäre, des Eigentums und des Vermögens anerkennen können. Hinsichtlich der körperlichen Integrität treten aber Schranken auf, die im Kulturbewusstsein verankert sind und im Recht durch die Klausel von den “Guten - Sitten” verkörpert wird.[4]) “Das Bestimmungsrecht über sich selbst besteht nur im Rahmen unserer Kulturauffassung und unseres sittlichen Bewusstseins.”[5]

Im Zusammenhang mit der Einwilligung sind noch zwei wichtige Aspekte zu erwähnen: erstens der Unterschied zwischen Einwilligung und  tatbestandsausschließenden Einverständnis, sowie zweitens die Frage nach der Willenserklärung bei der Einwilligung und damit im Zusammenhang auch mit den Fragen nach Dispositionsbefugnis und Dispositionsfähigkeit.

Die Einwilligung ist grundsätzlich ein Rechtfertigungsgrund, der dann nicht zum Tragen kommt, wenn schon tatbestandsmäßig kein rechtswidriges Handeln vorliegt. Dies ist dann der Fall, wenn sich bei einem Delikt der Unwert der Handlung aus dem fehlenden oder entgegenstehenden Willen des Rechtsgutträgers ableitet, und ein solcher Wille nicht erkennbar ist. In diesem Fall liegt keine Einwilligung vor sondern ein tatbestandsausschließendes Einverständnis.[6]) So ist die positive Willenserklärung zu einer Operation als Einwilligung und somit als Rechtfertigungsgrund zu verstehen.[7]) Hingegen ist die Zustimmung zur Aufnahme und Verbreitung der eigenen Stimme, die Zurverfügungstellung  der eigenen Lebensgeschichte als Filmstoff, die Zustimmung zur Veröffentlichung von Tagebüchern als tatbestandsausschließendes Einverständnis zu verstehen.

Die Einwilligung ist eine Willenserklärung und als solche der Auslegung zugänglich. Maßgebend sind die konkreten Umstände und der sich aus ihnen ergebende objektive Erklärungssinn.[8]) Zur Disposition über ein Rechtsgut per Einwilligung ist in erster Linie nur der Rechtsgutträger befugt. In besonderen Fällen kann diese Befugnis aber auch auf andere Personen übergehen. Ein solcher Übergang ist meist dann gegeben, wenn dem Rechtsgutträger die entsprechende Dispositionsfähigkeit fehlt. Diese ist mit der Geschäftsfähigkeit des bürgerlichen Rechts nicht gleichzusetzen. Vielmehr ist die geistige und sittliche Reife des Rechtsgutträgers und die Bedeutung und Tragweite der Rechtsguteinbuße und des Rechtsschutzverzichtes heranzuziehen, um zu beurteilen, ob jemand in der Lage sein kann über seine Individualrechtsgüter vernünftig zu disponieren.[9]) Maßgebend ist die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit.[10])


[1]) Kienapfel, Strafrecht: Allgemeiner Teil4 (1991) 56 Rz 54.
[2]) Koziol - Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts8 I 417;
[3]) Bertel - Schwaighofer, Österreichisches Strafrecht: Besonderer Teil2 I § 77, 78 Rz 2.
[4]) Kienapfel, Strafrecht: Allgemeiner Teil4 (1991) 57 Rz 64 f.
[5]) Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht2, 172.
[6]) Kienapfel, Strafrecht: Allgemeiner Teil4 (1991) 56 Rz 58.
[7]) Bertel - Schwaighofer, Österreichisches Strafrecht: Besonderer Teil2 I § 110 Rz 6 f.
[8]) Zipf  in ÖJZ 1977, 381; SSt 52/55.
[9]) Kienapfel, Strafrecht: Allgemeiner Teil4 (1991) 70 f Rz 58.
[10]) Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht (1974) 166; Zipf  in ÖJZ 1977, 384; OGH in SSt 52/55; SSt 49/9.
© Christoph Paul Stock | Wien | 2025 | All rights reserved!
lebensurbild_begriffswolke_6.png
bottom of page