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Gesamte Inhalte:

© Dr. Christoph Paul Stock

 

2) Die mittelbare Wirkung der Grundrechte

 

Die Theorie der “mittelbaren Wirkung” – bzw “mittelbaren Drittwirkung”, wie sie in der Literatur auch häufig bezeichnet wird – findet in Lehre, Literatur und Rechtsprechung die stärkste Anhängerschaft. Diese Theorie sieht die Generalklauseln des Privatrechts (zB “Guten - Sitten - Klausel”) als “Einbruchstellen” der Grundrechte in das Privatrecht an. Bei der Auslegung und Anwendung dieser Klauseln, sei das Wertsystem des Grundrechtskatalogs heranzuziehen.[1])

Die Subjekte des Privatrechts gehören in diesem Fall nicht zum Adressatenkreis der Grundrechte, weil die Werte der Grundrechte nur auf Normen wirken. Daher ist auch der Begriff “Drittwirkung” in diesem Zusammenhang irreführend. Die Grundrechte haben nur eine indirekte Auswirkung auf Privatrechtsnormen und binden als Normen auch nicht mittelbar Personen in Privatrechtsverhältnissen. Daher wird hier der Begriff der “mittelbaren Drittwirkung” nicht verwendet und nur von der “mittelbaren Wirkung” der Grundrechte gesprochen.

Man sieht bei der Theorie der “mittelbaren Wirkung” in den Grundrechten nicht nur einen Eingriffsschutz gegen überspannte hoheitliche Vollziehung, sondern auch eine umfassende  Schutz- und Gewährleistungsfunktion, die über immanente Wertgehalte auch eine mittelbare Bindungswirkung auf Normen des Privatrechts entfaltet. Dies lässt sich damit begründen, dass das Verhältnis von Grundrechten und Privatrechten als Verhältnis von zwei voneinander abhängigen Teilordnungen einer gemeinsamen staatlichen Rechtsordnung anzusehen ist. Beide Ordnungen decken sich nicht vollends. Da die Grundrechte im Vergleich zu den privatrechtlichen Normen die allgemeinere Regel sind, stehen sie im Verhältnis von Generalität und Spezialität bzw. dem Grundsatz des “Stufenbaus der Rechtsordnung” folgend im Verhältnis von Überordnung und Unterordnung. Hier kommt für Österreich hinzu, dass das Privatrecht den Grundrechtsnormen des StGG historisch vorausgegangen ist. Daher müsste gelten: sofern die Regeln des Privatrechts nicht imstande sind, mit ihren Mitteln den von dem Grundrechtskatalog erforderlichen Zustand herzustellen, müssten die Normen des Grundrechtskataloges auch im Bereich des privatrechtlichen Handelns wertmäßig Anwendung finden.[2]) Dies wird für den Staat als Träger von Privatrechten genauso gelten müssen, wie für den Menschen in seinem Verhältnis zum anderen.

Die Anwendbarkeit wäre eine subsidiäre und die Anforderungen, die sich aus der prinzipiellen Grundrechtsbindung und Grundrechtspflichtigkeit für einzelne Rechtsgebiete ergeben, sind durchaus unterschiedlich.

Unter diesen Voraussetzungen darf zwar die Privatautonomie beschränkt aber auf gar keinen Fall aus den Angeln gehoben werden.

Somit liegt generell das Hauptproblem der “unmittelbaren Drittwirkung” und der “mittelbaren Wirkung” der Grundrechts im Bereich der Privatautonomie, wo die Bindung Privater an die Grundrechte (insbesondere an das Gleichheitsgebot) angesichts der in der Privatautonomie liegenden Anerkennung des subjektiven Willens des einzelnen abgelehnt wird.[3]) Natürlich ist es Aufgabe des Gesetzgebers für das Privatrecht die Fälle zu bestimmen, in denen das Gleichheitsgebot der Privatautonomie vorgeht, wie etwa im Arbeitsrecht oder in Bereichen, in denen es um die Festlegung eines Kontrahierungszwanges geht.[4]) Diese Aufgabe ergibt sich geradezu aus dem Gegensatz zwischen dem Gleichheitsgrundsatz und der ebenso grundsätzlich anzuerkennenden Privatautonomie. Aber ist es vernünftig, in typischen Fällen der Ungleichgewichtung zwischen Vertragspartnern auf das Tätigwerden des Gesetzgebers angewiesen zu sein oder kann die Figur der bzw “mittelbaren Wirkung” der Grundrechte hier etwas leisten?[5]) Auch dieser Gesichtspunkt soll in den folgenden Ausführungen untersucht werden.


[1]) Adamovich - Funk, Österreichisches Verfassungsrecht3, 375; Walter - Mayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechtes6, 437.
[2]) Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und Menschenrechte 28.
[3]) Bydlinski, in 1. ÖJT (1961) I/1,19.
[4]) Bydlinski, in 1. ÖJT (1961) I/1, 54 ff.
[5]) In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass das BVerfG die Vertragsfreiheit geradezu aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art 2 Abs 1 GG abgeleitet hat und damit auf eine grundrechtsimmanente Wertung zurückgegriffen hat; BVerfGE 8, 274 (328), B 12. 11. 1958.
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