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Gesamte Inhalte:

© Dr. Christoph Paul Stock

 

A) ALLGEMEINE AUSFÜHRUNGEN ZUR PROBLEMATIK DES MENSCHENWÜRDIGEN ARBEITSPLATZES

 

Arbeit gehört zu den Grundbegriffen, in denen die neuzeitliche Gesellschaft ihr Selbstverständnis auslegt und diskutiert. Dies einerseits deshalb, weil sie seit eh und je einen Großteil des Lebens ausfüllt und die Grundlage der Existenz darstellt und andererseits, weil sich in ihr vorrangig der soziale und wirtschaftliche Wandel der Zeit widerspiegelt.

Schon das 19. Jahrhundert wurde durch den Begriff der Arbeit besonders geprägt. Arbeit galt in intellektueller Sicht als wirkende Hauptmacht, die innere Erlösung zugleich mit der äußeren Befreiung bringen werde. Man rühmte den Fortschritt vom bornierten Vorrecht des Nichtarbeitens in der Antike zur sittlichen Anerkennung der Arbeit. Das neue Verständnis der Arbeit sah in der nationalen Arbeit den wahren Fortschritt der Kultur.[1])

Doch die Realität sah anders aus! Der einzelne Arbeiter, oftmals aus seiner Bindung an Handwerk und Bauerntum herausgelöst und unter den herrschenden wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen einem wachsenden Verelendungsprozess (Pauperismus) ausgeliefert, hatte kaum ein Verständnis für den so hoch gepriesenen kulturellen Fortschritt, der eine äußerst wohlhabende Oberschicht entstehen ließ, die auf dem Rücken der Arbeiter in Saus und Braus lebte. Die so revolutionäre Industrialisierung bescherte den Arbeitern eine auf 14 - 16 Stunden ausgedehnte Arbeitszeit, häufig unzulänglichen Schutz vor Arbeitsunfällen, geringe Entlohnung, fehlende soziale Sicherung in Krankheit und Alter, Kinderarbeit, völlig unzulängliche Wohnverhältnisse und ein herabwürdigendes Ansehen bar jeglicher Rechte in Betrieb und Gesellschaft.

Aus dieser Situation ist das historische Grundanliegen des Arbeitsrechts erkennbar, nämlich der Arbeitsschutz, der sich aus dem Kinder- und späteren Frauenschutz entwickelt hat.[2]) So wird in Deutschland die Geburtsstunde des Arbeitsrechts gern in dem im Jahre 1839 erfolgten “Erlass des Preußischen Regulativs[3]) über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Bergwerken und Fabriken” gesehen, durch den verboten wurde, Kinder unter 9 Jahren und Jugendliche unter 16 Jahren mehr als 10 Stunden täglich zu beschäftigen.[4]) Für Österreich gilt als erster planmäßiger Versuch einer Art “Kodifikation” von Arbeitnehmerschutz das 9. Hauptstück des Allgemeinen Berggesetzes von 1854.[5]) Somit hat das Arbeitsrecht von Beginn an dem Schutz des Arbeitnehmers gedient.[6])

Auch heute ist der Arbeitsschutz ohne Zweifel eine wesentliche Säule unserer Sozialpolitik. Doch erscheint der Inbegriff des Arbeitsschutzes, die körperliche und gesundheitliche Sekurität des Arbeitnehmers, nicht mehr im gegenwärtigen Zentrum der wissenschaftlichen Überlegungen und Betrachtungen zur Sozialpolitik und zum Arbeitsrecht zu stehen. Dies deshalb, weil das Arbeitsrecht, zwar trotz einer immer noch vorhandenen Fülle praktisch - technisch nicht gelöster Probleme, in seinen Regelungen der rechtspolitischen Zielvorstellung des traditionellen Arbeitsschutzes gerecht geworden ist, und die Rechtsordnung in diesem Sinne nicht mehr umgestaltet werden muss.[7]) “Während zu Beginn der industriellen Entwicklung der elementare Schutz vor einer Gefährdung von Leben, Körper und Gesundheit ganz im Vordergrund der gesetzlichen Regelung stand und später allmählich seine Vermögensinteressen Berücksichtigung fanden[8]), tritt heute neben diese nach wie vor bedeutsamen Aufgaben des Arbeitsrechts immer mehr das Bedürfnis nach einem Schutz der ideellen Interessen des Arbeitnehmers.”[9])

Der technische Fortschritt bringt zwar auf der einen Seite immer mehr Schutz für die elementaren Interessen des Arbeitnehmers, wie das Leben und die Gesundheit, bedingt aber auf der anderen Seite eine verstärkte Möglichkeit des Eingriffes in die Persönlichkeit des Arbeitnehmers. Dies findet seine Grundlage im Wandel der Anforderungen an den modernen Arbeitnehmer.

Hat sich in vormodernen Gesellschaften die Arbeit weitgehend traditionsbedingt, routinehaft und gewohnheitsmäßig vollzogen, so ist die Arbeit in der modernen Industriegesellschaft einem stark beschleunigtem Wandel unterworfen, und zwar auf Grund von Erfindungen, Innovationen, interkulturellen Austauschprozessen, wachsenden Wirtschaftskonkurrenzen und steigenden Wohlstandsansprüchen. Mit den Begriffen “Leistungsgesellschaft” und “Freizeitgesellschaft” kann jenes Phänomen umschrieben werden, das die heutige Industriewelt antreibt: nämlich das Prinzip, bei so kurzer und intensiver Arbeit wie möglich so viel finanzierbare Freizeit wie möglich zu schaffen.

Eine solche Arbeitswelt mit solchen Prinzipien stellt immer höhere Ansprüche an den Arbeitnehmer und verlangt  ein Höchstmaß an quantitativen und qualitativen Arbeitsleistungen innerhalb kurzer Arbeitszeiten. Diesen Ansprüchen kann nicht jeder Arbeitnehmer gerecht werden. Daher werden die Selektionsverfahren bei der Einstellung bzw bei der Entscheidung für oder gegen eine Kündigung mit Instrumenten bewerkstelligt, die besonders weit in den Persönlichkeitsbereich der Arbeitnehmer eindringen, um eine höchstmögliche Sicherheit der erwarteten “Funktionsfähigkeit” der Arbeitnehmer erkunden zu können. Hier ist zB an bedenkliche Praktiken bei der Anbahnung und Fixierung von Arbeitsverhältnissen zu denken.

Auch der starke Kostenminimierungsdruck, der in einer quasi freien Marktwirtschaft das einzelne Unternehmen zu einer äußerst effizienten Produktion bzw Leistungserbringung zwingt, forciert die Entwicklung einer detaillierten Arbeitnehmerüberwachung. Kontrollmaßnahmen durch technische Einrichtungen und besondere Datenverarbeitungssysteme stellen hier wichtige Problembereiche dar.

Neben diesen wirtschaftlich motivierten Ansprüchen muss aber schließlich in einer modernen Gesellschaft auch der generelle sozialpolitische Anspruch bestehen, nicht beim traditionellen Arbeitnehmerschutz stehen zu bleiben, sondern eine Weiterentwicklung zu erreichen. In diesem Sinne dürfen Gewissenskonflikte und Meinungsverschiedenheiten bezüglich der auszuübenden Arbeitsleistung nicht unbeachtet bleiben. Auch die Fragen des Nichtraucherschutzes und des Schutzes vor sexueller Belästigung spielen in diesen Bereich herein.


All diese Probleme sind in diesem Kapitel zu erörtern und mit den entwickelten Instrumentarien der vorhergehenden Kapitel einer Lösung zuzuführen.


[1]) Brockhaus, Enzyklopädie19 II 37.
[2]) Brockhaus, Enzyklopädie19 II 68.
[3]) abgedruckt in Ebel, Quellen zur Geschichte des deutschen Arbeitsrechts 277.
[4]) Zöllner, Arbeitsrecht und menschengerechte Arbeitsgestaltung, in RdA 1973, 207.
[5]) Floretta - Spielbüchler - Strasser, Arbeitsrecht I: Individualarbeitsrecht3 (1988) 7.
6) Wiese, Der Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber, ZfA 1971, 273; Hueck - Nipperdey, Arbeitsrecht7 I (1963) 25 f; Zöllner, Die Einwirkung der erweiterten Mitbestimmung auf das Arbeitsrecht, RdA 1969, 65 (67 f).
7) Zöllner, Arbeitsrecht und menschengerechte Arbeitsgestaltung, in RdA 1973, 208; Kramer, Die Persönlichkeit des Arbeitnehmers als Schutzobjekt der Fürsorgepflicht, DRdA 1975, 113; Wiese, Der Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber, ZfA 1971, 273.
[8]) vgl bereits §§ 50, 51 der Preußischen VO, betreffend die Errichtung von Gewerberäthen und verschiedene Abänderungen der allgemeinen Gewerbeordnung vom 9. Februar 1849.
[9]) Wiese, Der Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber, ZfA 1971, 274.
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