
K O N T A K T

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© Dr. Christoph Paul Stock
ac) Produktographen (Nutzungsschreiber)
Neben der Überwachung von Arbeitnehmern durch audiovisuelle Kontrolleinrichtungen, gibt es technische Gerätschaften, die zwar prim är zur Überwachung von Maschinen verwendet werden, aber auch Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des an der Maschine tätigen Arbeitnehmers ermöglichen. Solche technischen Einrichtungen werden “Produktographen” bzw “Nutzungsschreiber” genannt. Sie überprüfen den einwandfreien Ablauf einer Maschine und geben bei jeder Unterbrechung entweder automatisch oder mittels obligater Bedienung einer Taste durch den Arbeitnehmer den Grund des Stillstandes an.[1]) Dies hat zur Folge, dass nicht nur die Maschine kontrolliert werden kann, sondern auch die Arbeitsleistung, die Arbeitsgeschwindigkeit, wie auch die Arbeitsunterbrechungen des Arbeitnehmers. Wie das BAG[2]) hier richtig erkannt hat, können solche Kontrolleinrichtungen zu “Antreibersystemen” werden, die die menschliche Würde des Arbeitnehmers zu dem Zwecke untergraben, aus ihm so viel wie nur möglich herauszuholen.
Hier kann in Analogie zu einem besonderen Persönlichkeitsrecht keine Lösung gefunden werden. Ein methodischer Ansatzpunkt für die Beurteilung der betroffenen Wertgehalte kann aber, ähnlich der Situation bei optischen Kontrollmaßnahmen, aus Art 3 MRK abgeleitet werden. Denn man kann zweifelsohne sagen, dass das Arbeiten an einer Maschine schon grundsätzlich monoton ist und eine individuelle Entfaltung des Arbeitenden kaum zulässt. Tritt dann noch eine verschärfte Arbeitsbedingung hinzu, die sich durch eine Straffung der Arbeit und eine Maximierung der Arbeitsleistung auszeichnet, wird der Arbeitnehmer seiner Persönlichkeit entkleidet und zum reinen “maschinellen Rädchen” im Getriebe einer Produktionsmaschinerie degradiert. Dies ist eine unmenschliche, weil der Maschine vergleichbare und damit erniedrigende Behandlung. Aber auch in diesem Fall wird die vom Grundrecht verlangte Intensität nicht erreicht, die eine Entfaltung des maximalen Schutzgehaltes des Grundrechtes unter der besonderen Berücksichtigung des unausweichlichen Machtgefälles zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bedingen würde. Denn bei Arbeitnehmern, die an Maschinen tätig sind, die durch einen Nutzungsschreiber überwacht werden, ist der Eintritt eines schweren geistigen oder physischen Leids nicht zu erwarten und eine besonders schwere Demütigung nicht erkennbar. Trotzdem wird in geringerem Intensitätsgrad, je nach Umfang der möglichen Kontrolle, die ein Nutzungsschreiber bietet, in den verfassungsmäßig festgeschriebenen Wertgehalt, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung nicht unterworfen zu werden, eingegriffen. Die Persönlichkeit des Arbeitnehmers wird durch einen Produktographen verletzt. Dass unsere Kulturauffassung in diese Richtung weist, lässt sich auch im generellen Bemühen erkennen, die Arbeitswelt für den einzelnen durch die Schaffung vieler arbeitsrechtlicher Bestimmungen menschenwürdig zu gestalten. Dass hierbei ein Produktograph nicht berücksichtigt wurde, liegt nicht daran, dass man ihn für unbedenklich hielt, sondern daran, dass er ein Produkt des technischen Fortschrittes ist.
Einen weiteren Aspekt des Problembereiches hat das EA Linz erkannt und hierzu ausgeführt, dass insbesondere auch dann die Menschenwürde berührt ist, wenn durch einen Nutzungsschreiber die vom Arbeitnehmer in den Betrieb miteingebrachte Privatsphäre kontrolliert wird, wobei unter Privatsphäre die Gestaltung seiner betrieblichen Freizeit sowie aus menschlichen Gründen notwendig gewordene Arbeitsunterbrechungen (zB das Aufsuchen der Toilette) zu verstehen sind. In dieser Hinsicht wird insbesondere der Wertgehalt des Art 8 MRK berührt, der, wie schon mehrfach ausgeführt, Eingriffe in das Privatleben verbietet. Doch wird auch hier nicht in den Kernbereich des Wertgehaltes eingedrungen, weil durch einen Produktographen nicht unmittelbar eine Kontrolle der betrieblichen Freizeit in ihrer Ausgestaltung möglich wird, sondern lediglich feststellbar wird, ob, wann und wie oft ein Arbeitnehmer eine betriebliche Freizeit in Anspruch nimmt. Damit wird auch dieser Schutzgehalt in den Grenzen der Privatautonomie beschränkbar und in seinem Rang niedriger einzustufen sein.
Die bisher beschriebenen Interessen des Arbeitnehmers sind nun gegen die Interessen des Arbeitgebers abzuwägen, die einerseits in der Überwachung einer optimalen Funktion der eingesetzten Maschinen besteht und andererseits im Interesse, die quantitative und qualitative Arbeitsleistung der Maschine zu kontrollieren. Maximaler Einsatz der “Produktionsmittel” gewährt einen maximalen Produktionserfolg, der sich unmittelbar im Vermögen des Arbeitgebers auswirkt. Der schutzwürdige Wertgehalt findet sich wiederum im Grundrecht auf Achtung des Eigentums.
Welches Interesse nun schwerer wiegt ist generell nicht feststellbar, weil die Unterschiedlichkeit der kontrollierten Maschinen je nach ihren Anschaffungskosten und Schadensanfälligkeiten eine unterschiedliche Interessenintensität in der Interessenssphäre des Arbeitgebers entfalten und je nach gegebenen Kontrollumfang des Produktographen eine unterschiedliche Eingriffsintensität in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers gegeben ist. Wegen der geminderten Ranghöhe der grundrechtlichen Wertgehalte auf der Arbeitnehmerseite wird man aber tendenziell eine Annäherung der betroffenen Interessen hin zu einem gleichen Interessenniveau feststellen können. Da ein Ausweichen nicht möglich erscheint, ist im Sinne des Ausgleichprinzips eine Mäßigung beider Interessenslagen anzustreben. Diese kann durch eine Einschränkung des Kontrollumfangs im Sinne einer restriktiven Anwendung des Produktographen auf qualitative Funktionsgrade und etwaige Störfälle bei Unterlassung quantitativer technologischer Leistungsüberprüfungen erreicht werden. Dies bedeutet, dass die Kontrolle nicht in einer übersteigerten Intensität organisiert werden darf und jenes Maß nicht überschreiten darf, das für Arbeitsverhältnisse einer bestimmten Art typisch und geboten ist.[3])
Ebenfalls dem technischen Fortschritt ist die Möglichkeit der erhöhten Kontrolle im Bereich der Schreibarbeit zuzuschreiben. Moderne Text- und Datenverarbeitungssysteme bieten die Möglichkeit der genauen Erfassung der Arbeitsleistung. So wird von Arbeitgebern mehrfach ein System zur Text- und Datenverarbeitung verwendet, das nur nach Identifikation des Arbeitnehmers durch Eingabe eines Namenskürzels in Betrieb genommen werden kann und dann die eingegebenen Zeichen umfangsmäßig erhebt und dem autorisierten Benützer zurechnet.
Auch hier ist die Verletzung der Persönlichkeit eines Menschen vergleichbar der Überwachung durch Produktographen offensichtlich. Sicherlich hat der Arbeitgeber ein gewisses Interesse an einem quantitativen wie qualitativen Erfolg der geleisteten Arbeit. Dieses Interesse wird aber nicht mit dem “schonendsten Mittel” verfolgt, da die geleistete Schreibarbeit auch unabhängig von einer automatisierten Zeichenzählung möglich ist. Aus diesem Grund ist eine derartige Kontrolle im EDV - Bereich abzulehnen.