
K O N T A K T

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© Dr. Christoph Paul Stock
bc) Die konkrete Lösung der praktischen Fälle
Für die arbeitsrechtliche Lösung der anstehenden Fälle ist grundsätzlich vorauszuschicken, dass den Arbeitnehmer die Verpflichtung trifft, auf den Gewissenskonflikt hinzuweisen und im Falle einer gewissensadäquaten Änderung eines Arbeitsvertrages[1]) – soweit dies im Sachzusammenhang möglich ist – auf Grund seiner arbeitsvertraglichen Treuepflicht das Seinige dazu beizutragen[2]), damit ein Interessenausgleich gelingen kann. Die Treuepflicht verlangt eine gegenseitige Mäßigung der Vorstellungen über eine Anpassung der Modalitäten in Folge des anstehenden Gewissenskonflikts.
Wie schon ausgeführt, bleibt der Arbeitnehmer zur Erfüllung seiner Vertragspflicht verpflichtet, wenn er sich – wie dies im Falle der Apothekerin geschehen ist – bewusst dem Gewissenskonflikt ausgesetzt hat. Es ist in diesem Fall kein Austrittsgrund ersichtlich (§ 1162 ABGB, § 26 AngG), der eine vorzeitige Auflösung rechtfertigen könnte. Daher wird der Arbeitnehmer für den verursachten Schaden dem Arbeitgeber Ersatz leisten müssen (§ 1162 a ABGB, § 28 AngG).
Soweit nicht der Arbeitnehmer auf seinen Entschluss hin aus dem Arbeitsverhältnis vorzeitig ausscheidet, wird im Fall der ungerechtfertigten Arbeitsverweigerung dem Arbeitgeber ein Recht zur Entlassung zukommen. Dies ist im Falle des türkischen Gastarbeiters denkbar, der an vier Tagen wegen eines Religionsfestes der Arbeit fern bleibt, obwohl ihm von seinem Arbeitgeber mit Rücksicht auf dringende Aufträge nur an einem Tag freigegeben worden ist.[3]) Hier kann der Einwand Habscheids[4]) nicht mehr vorgebracht werden, dem Arbeitnehmer sei es nicht möglich gewesen, eine vertragliche Freistellung durchzusetzen, weil ihm im konkreten Fall vom Arbeitgeber schon Zugeständnisse gemacht wurden. Der Arbeitnehmer muss wie der Arbeitgeber auf die Zwangslage des Vertragspartners Rücksicht nehmen. Schaltet der Arbeitnehmer einfach auf stur und will er seine Interessen in ihrer Gesamtheit durchsetzen, ohne auf weitergehende Lösungsversuche zu setzen, verletzt er seine Treuepflicht auf das Gröblichste und bietet dem Arbeitgeber einen “wichtigen Grund” zur Entlassung. Diesen Fällen sind jene Fälle gleichzuhalten, bei denen sich zwar der Arbeitnehmer nicht bewusst einem Gewissenskonflikt ausgesetzt hat, die Möglichkeit eines selbigen aber bei entsprechend sorgfältiger Beurteilung der Art und Beschaffenheit der Arbeit von einem ordentlichen Arbeitnehmer in der gegebenen Situation erkannt werden hätte müssen.
Soweit eine solche Erkennbarkeit nicht zuzumuten ist, oder von einem sorgfältigen Arbeitnehmer nicht unbedingt erkannt werden könnte, bzw ein solcher Gewissenskonflikt überhaupt nicht von vornherein erkennbar ist, wird man davon ausgehen dürfen, dass der Arbeitgeber bei Bestehen von zeitlich oder sachlich partiellen Gewissensbedenken des Arbeitnehmers, seine Forderungen in der Regel modifizieren muss, wenn der Arbeitnehmer es verlangt.
Eine solche Modifikation ist in den Fällen der Druckarbeiter[5]) und des atheistischen Bauarbeiters[6]), der sich weigert bei einer Kirchenreparatur mitzuarbeiten, anzustreben, bei denen es grundsätzlich keine Schwierigkeit darstellen dürfte, sie mit einer anderen Arbeit zu betrauen, die ihr Gewissen nicht belastet.
Ausnahmsweise kann auf die Leistungserfüllung seitens des Arbeitgebers bestanden werden, auch dann wenn die Gewissensnot nicht vorhergesehen werden konnte. Dies ist der Fall, wenn die Leistungsverweigerung andere grundrechtlich geschützte immaterielle Güter irreparabel bedroht. “Auf diese Weise lässt sich zB die Verpflichtung eines in der Kinderabteilung beschäftigten Krankenhausarztes rechtfertigen, in einem medizinisch indizierten Notfall an einem Schwangerschaftsabbruch auch gegen seine Gewissensüberzeugung mitzuwirken.”[7])
Verhindern die Gewissensbedenken des Arbeitnehmers jede Arbeitsleistung für längere Zeit, wird das Arbeitsverhältnis also zu einer leeren Hülse, weil der Arbeitnehmer keinen Lohn und der Arbeitgeber keine Arbeitsleistung verlangen kann, stellt sich ein Schwebezustand ein, der für keinen der beiden Parteien zumutbar ist. In diesem Fall wird man beiden Parteien das Recht zusprechen müssen, das Arbeitsverhältnis kündigen zu können (§ 1162 ABGB).[8]) Hier denke man an einen Arzt, der sich zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen von einer Spezialklinik anstellen lässt und dem nachträglich – und für ihn unvorhergesehene – Gewissensbedenken kommen.[9]) Auch der Fall des Atomwissenschaftlers, dem nach der Offenbarung der nicht friedlichen Verwendung der Atomenergie Gewissensbedenken kommen, ist hier als Beispiel anzuführen.[10]) Ostheim[11]) führt hier noch ein Beispiel aus dem Journalistengesetz an. § 11 des Journalistengesetzes bestimmt nämlich: “Wechselt eine Zeitungsunternehmung die von ihr bisher eingehaltene politische Richtung, so kann der Redakteur, dem die Fortsetzung seiner Tätigkeit ohne Änderung seiner Gesinnung nicht zugemutet werden kann, innerhalb eines Monats, nachdem er von dem Wechsel der politischen Richtung Kenntnis erlangt haben musste, den Vertrag ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist lösen”.
Beeinträchtigen nun in Abständen wiederkehrende Hindernisse – zB religiöse Feiertage, an denen unvorhergesehen gearbeitet werden soll – den Arbeitsablauf, ist die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber nicht unzumutbar, weil der Arbeitnehmer durch Modifizierung der Arbeitsleistung voll eingesetzt werden kann. Eine ordentliche Kündigung ist natürlich möglich, soweit sie sozial gerechtfertigt ist. Dem Aspekt der Interessenabwägung in § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG folgend, wird sich aber für den Arbeitnehmer negativ auswirken, dass in vielen Fällen eine wiederholte Rücksichtnahme auf die Gewissensgründe des Arbeitnehmers aus betrieblichen Gründen nicht vertretbar sein wird, was in concreto eine Erleichterung der ordentlichen Kündigung darstellt.[12])
Bleibt noch die Frage des Lohnanspruches zu behandeln. Im Falle des vorhersehbaren Gewissenskonflikts entfällt natürlich auch der Lohnanspruch, da dem Arbeitnehmer ein Leistungsverweigerungsrecht nicht zukommt. War hingegen die Leistungsverweigerung für den Arbeitnehmer nicht vorhersehbar und dauert sie nur kurze Zeit, bleibt der Lohnanspruch erhalten (§ 1154 b ABGB). Denn der Arbeitnehmer behält seinen Anspruch auf Entgelt nicht nur bei Krankheit und Unglücksfällen, sondern auch bei anderen wichtigen Gründen, die seine Person betreffen und ohne sein Verschulden für eine kurze Zeit seine Arbeitsleistung verhindern.[13]) Zu solchen Gründen zählt der OGH den Tod naher Angehöriger nach Sitte und Brauch, aber auch deren Erkrankung, wenn die Pflege unbedingte Anwesenheit erforderlich macht[14]), Entbindung der Ehegattin, notwendige Begleitung schulpflichtiger Kinder[15]), seltene Familienfeste im engsten Kreis[16]), Vorladung vor Gerichte und Behörden und vieles mehr. Für uns bedeutend ist, dass der OGH auch ausgesprochen hat, dass zu den “wichtigen Gründen” jede unvorhersehbare Kollision von Vertragspflichten mit höherwertigen Pflichten oder mit einem höherwertigen Grundsatz gehören.[17]) In diesem Bereich ist wohl der Gewissenskonflikt einzureihen.
Währt ein Leistungshindernis länger und kündigt der Arbeitnehmer daher aus “wichtigem Grund”, trägt dieses Risiko der Arbeitgeber, da sich der Arbeitnehmer nicht vertragswidrig verhält, weil Dauerschuldverhältnisse unter dem Vorbehalt stehen, dass ihre Fortsetzung nicht unzumutbar wird.