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Gesamte Inhalte:

© Dr. Christoph Paul Stock

 

ab) Der Personalfragebogen

 

Ein Personalfragebogen ist ein Schriftstück mit einer gewissen Anzahl von Fragen, die sich auf die Person des Stellenbewerbers beziehen. Der Stellenbewerber hat die gestellten Fragen wahrheitsgetreu zu beantworten und erklärt sich im Normalfall damit einverstanden, dass eine wahrheitswidrige Beantwortung eine Nichteinstellung bzw Entlassung nach sich ziehen kann (Auflösungsklausel).[1]) Im Falle der Neueinstellung stellt das kein Problem dar, weil der Arbeitgeber ohnehin nicht verpflichtet ist, den Stellenbewerber einzustellen. Im Falle der angedrohten Entlassung hingegen, wird man in Hinsicht auf das besondere Treueverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht davon ausgehen können, dass bei jeglicher falschen Beantwortung einer Frage schon ein ausreichender Grund gegeben ist, der eine Entlassung rechtfertigen würde. Vielmehr sind zwei Ausnahmen zu beachten: erstens muss die Unterlassung bzw falsche Angabe im Personalfragebogen geeignet sein, das Treueverhältnis zwischen den Vertragspartnern derart zu erschüttern, dass die Gewichtigkeit der falschen oder fehlenden Angaben den Tatbeständen der Entlassung (vgl etwa § 27 AngG) gleichzustellen sind[2]) und zweitens dürfen die Fragen den Stellenbewerber nicht dazu veranlassen, Auskünfte zu seiner Person zu machen, die persönlichkeitsrechtlich bedenklich sind. Würde die Beantwortung einer Frage in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers eingreifen, kann man davon ausgehen, dass er einfach die Antwort verweigern oder eine sanktionslose wahrheitswidrige Beantwortung geben darf und soll.[3]) Es ist aber unrichtig, in der indiskreten Fragestellung selbst schon einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht zu sehen.[4])

Eine Gefahr für die Persönlichkeit besteht erst, wenn der Fragende eine Antwort auf seine Fragen bekommen hat.[5]) Ob aber der Stellenbewerber, ohne dazu verpflichtet zu sein, Umstände zB aus seinem Privatleben offenbart, unterliegt seiner freien Entscheidung. Deshalb ist ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht nur denkbar, wenn die Entscheidung des Stellenbewerbers, eine Antwort zu geben, nicht frei war, weil die Antwort mit unlauteren Mitteln erwirkt wurde. Hier ist an Zwang, arglistige Täuschung, Ausnutzung einer Notlage oder Verwendung eines Lügendetektors[6]) zu denken. Eine Art Notlagesituation tritt dort ein, wo dem Stellenbewerber nur sehr begrenzt Zeit zur Ausfüllung des Fragebogens zugestanden wird. Der Personalfragebogen wird zB kurz vor der persönlichen Vorstellung zur Ausfüllung übergeben. Der Stellenbewerber befindet sich in einer Situation der Anspannung, wodurch ihm die klare Einsicht in die Tragweite seiner Antworten im Moment der Beantwortung unersichtlich ist, und er sich unter Umständen im Nachhinein über seine Antworten ärgert. Daher hat auch die Situation und das Umfeld bei der Beantwortung der Fragen eines Personalfragebogens besondere Bedeutung. In gewisser Weise ist heute auch schon durch die problematische Arbeitsplatzsituation, eine Notlagesituation gegeben, die durchaus in der Lage ist, einen Stellenbewerber dazu zu verleiten, sein Persönlichkeitsrecht aufzugeben und persönlichkeitsrechtlich bedenkliche Fragen zu beantworten, weil er darin die einzige Chance sieht, einen Arbeitsplatz zu bekommen.

All diese Abhängigkeitssituationen des Stellenbewerbers gegenüber dem Arbeitgeber lassen eine Schutzgebotsfunktion entstehen, die die Übernahme von Wertgehalten aus dem Grundrechtsbereich in den Privatrechtsbereich zur Lösung der persönlichkeitsrechtlichen Probleme für angebracht erscheinen lassen. Betroffen sind insbesondere die grundrechtlichen Wertgehalte des Anspruchs auf Achtung des Privatlebens und auf Achtung der freien Meinungsäußerung. So beinhaltet der Art 8 MRK, der das Privatleben schützt, insbesondere auch einen Schutz gegen ein unbefugtes Eindringen in die Privatsphäre. Dies ergibt sich expressis verbis aus der Formulierung des Art 8 MRK, der dem Privatleben im Sinne eines geschlossenen Rechtskomplexes einen verfassungsrechtlichen Schutz zusichert. Der Schutz vor unbefugtem Eindringen in die Privatsphäre stellt damit einen Aspekt des Anspruchs auf Achtung der Privatsphäre dar, welcher wiederum als ein eigenes umfassendes Teilfreiheitsrecht, das mit absoluter Wirkung gegen jedermann ausgestattet ist, erscheint. Ein unbefugtes Eindringen in den Bereich des Privatlebens stellt auch eine unbegründete Ausforschung der Geheimsphäre dar. Dabei gehören zum Bereich des Geheimen solche Tatsachen, die der einzelne verborgen hält, weil sie als besonders vertraulich zu gelten haben. Geheimnisse sind Gedanken, Meinungen, Empfindungen, Begebenheiten, Handlungen und sonstige Tatsachen, die der einzelne verborgen hält und an denen er erkennbar einen Geheimhaltungswillen sowie ein objektives Geheimhaltungsinteresse hat.[7]) Genau solche Geheimnisse werden vielfach durch Personalfragebögen ausgekundschaftet. Die hier verfassungsrechtlich gesicherten Wertgehalte werden ebenfalls durch eine Vielzahl privatrechtlicher Bestimmungen gesichert. Es sei an die Verschwiegenheitspflicht der Ärzte, der Rechtsanwälte, der Rechtsanwaltsanwärter, der Notare und Notariatskandidaten erinnert, an die Bestimmungen des Zeugnisverweigerungsrechtes im Zivil- wie Strafprozess, weiters an den Schutz des Post- und Telegrafengeheimnisses und an das Fernmeldegeheimnis.

Auch im grundrechtlichen Anspruch auf freie Meinungsäußerung (Art 10 MRK) kommt ein wichtiger Wertgehalt zum Tragen, der besonders in die Richtung eines “Schutzes des Charakterbildes” weist. Denn dem Arbeitgeber ist es nicht nur wichtig zu wissen, wie sich die privaten äußeren Verhältnisse eines Stellenbewerbers darstellen, sondern ihm ist es ein besonderes Anliegen, den Stellenbewerber einschätzen zu können, also seine inneren Einstellungen so gut als möglich zu kennen. Hier schützt der Wertgehalt des Grundrechts auf Meinungsfreiheit analog dem Recht auf Religions-, Gedanken- und Gewissensfreiheit (Art 9 MRK) auch den inneren Bereich der Meinungsfreiheit, was zum Ausdruck bringt, dass der einzelne das Recht hat, eine Meinung zu besitzen oder eine Meinung nicht zu haben, mithin ihm eine Denkfreiheit zugestanden wird.[8])

Diese grundrechtlichen Wertgehalte kommen aber in den meisten Fällen nicht in voller Gewichtigkeit zur Anwendung, da der Stellenbewerber einen Personalfragebogen aus freien Stücken ausfüllt und die besonderen Zwangssituationen, die unter Umständen entstehen können, nicht den Zwangssituationen entsprechen, die die Grundrechte im Verhältnis zwischen Staat und Bürger im Auge haben. Das gegebene Schutzgebot löst nicht eine maximale Schutzfunktion der Grundrechte aus. Zusätzlich werden viele Fragen Lebensbereiche betreffen, die zwischen dem beruflichen und dem geschäftlichen Leben angesiedelt sind. Sobald aber eine Trennung zwischen Privatsphäre und Beruf nicht mehr durchführbar erscheint[9]), hört das Privatleben auf etwas Besonderes zu sein. Insbesondere wird nicht mehr sein Kernbereich getroffen. Auch dieser Aspekt mindert die Intensität der grundrechtlichen Wertgehalte.

Trotzdem bleiben die Wertgehalte in ihrer geminderten Intensität erhalten und müssen den betrieblichen Interessen des Arbeitgebers gegenübergestellt werden. Da es sich bei Werten, wie der Schutzwürdigkeit des Privatlebens und der Meinungsfreiheit, um sittliche Werte handelt, müssen die Interessen des Arbeitgebers eine besondere Intensität erreichen, um das Persönlichkeitsrecht des Stellenbewerbers beseitigen zu können, als sie grundsätzlich lediglich merkantile Interesse darstellen.

Die Fragen, auf die die ganze Untersuchung hinausläuft, sind jene, ob dem Stellenbewerber ein Recht zukommt, eine falsche Antwort in einem Personalfragebogen zu geben, um sich somit die Chance eingestellt zu werden, bewahren zu können und ob dem Stellenbewerber unter bestimmten Voraussetzungen sogar die Pflicht zukommt, Auskünfte von sich aus zu geben.

Bleibt nun ausfindig zu machen, welche Fragenkomplexe persönlichkeitsrechtlich bedenklich sind.


[1]) vgl Kropf - Schwarz, Die Betriebsvereinbarung (1978) 30 f; Weißenberg - Cerny, Arbeitsverfassungsgesetz3 (1980) 312; Egger, Anbahnung von Arbeitsverhältnissen, DRdA 1982, 92.
[2]) Martinek - Schwarz, Angestelltengesetz3 (1976) 419.
[3]) Wiese, Der Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber, ZfA 1971, 300; vgl weiters ein Urteil des BAG AP Nr. 2 zu § 123 BGB.
[4]) Neumann - Duesberg, Persönlichkeitsrecht, Vertragsfreiheit und gegenseitige Sozialpflichtigkeit, JZ 1962, 204 (205 f).
[5]) Wiese, Der Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber, ZfA 1971, 273 (301); Degner, Das Fragerecht des Arbeitgebers gegenüber Bewerbern, Diss 1975 64 f.
[6]) Es sei hier erwähnt, dass das Strafrecht zur Wahrheitsermittlung die Anwendung von Lügendetektoren, von Hypnose oder von Narkoanalyse sowie die Verabreichung hemmungslösender Mittel für unzulässig erachtet. Alle Untersuchungsmethoden, die den freien Willen des Beschuldigten ausschalten, sind unzulässig. Sie dürfen selbst mit Zustimmung und nicht einmal auf Verlangen des Beschuldigten angewendet werden. Wenn dies für das Strafrecht gilt, dessen besonderes Anliegen die Sicherheit aller ist, muss wohl für das Abhängigkeitsverhältnis Arbeitgeber gegenüber Arbeitnehmer zumindest dasselbe gelten. Vgl dazu Platzgummer, Grundzüge des österreichischen Strafverfahrens3, 89 f.
[7]) Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht2, 326.
[8]) vgl dazu Schorn, Die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und ihre Zusatzprotokolle in Einwirkung auf das deutsche Recht (1965) 254.
[9]) Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und Menschenrechte 255.
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