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© Dr. Christoph Paul Stock

 

bd) Vereinbarung von Verboten privaten Vergnügens und privaten Verhaltens

 

Für den Arbeitgeber ist es durchaus wünschenswert, wenn seine Arbeitnehmer sich immer in solcher Weise verhalten, wie er sich das vorstellt. Soweit ein bestimmtes Verhalten für den Arbeitsablauf und Arbeitsfortgang notwendig ist, kann selbiges durch Weisung oder durch vertragliche Vereinbarung durchaus festgeschrieben und vorgeschrieben werden. Hier überwiegen die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers die Gestaltungs- und Freiheitsinteressen des Arbeitnehmers. Besonders gefährlich ist die Situation aber dort, wo der Arbeitgeber versucht, den Arbeitnehmer auch in seinem privaten Handeln und Tun zu binden und zu beschränken. Man kann zwar nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass jegliche Beeinträchtigung der Gestaltung des Privatlebens durch den Arbeitgeber schon rechtswidrig ist[1]), doch gibt es nur sehr wenige Fälle, in denen eine solche Beeinträchtigung zulässig sein wird. Dies eben nur dann, wenn betriebliche Interessen so gewichtig und schwerwiegend sind, dass sie sogar eine Beschränkung des Privatlebens des Arbeitnehmers rechtfertigen können, oder wenn der Arbeitnehmer einer solchen Beeinträchtigung zustimmt und dabei aber nicht der Wesenskern des Privatlebens getroffen wird.

Wir wollen dieses Problem anhand einer Entscheidung des OGH[2]) vom 22. November 1977 näher betrachten, in der das Höchstgericht auf das Persönlichkeitsrecht eines Kellners in mehrfacher Hinsicht keinerlei Rücksicht genommen hat und den betrieblichen Interessen des Gaststätteninhabers den Vorzug gegeben hat.

In diesem Fall wurde einem Kellner von seinem Arbeitgeber entsprechend einer vertraglichen Vereinbarung die Weisung erteilt, nach Beendigung seines Dienstes auf keinen Fall weiter im Lokal zu verbleiben und eine Konversation mit den anwesenden Gästen zu unterlassen. Der Kellner, der von Vertretern eines Sportvereins nach Beendigung seiner Tätigkeit zu einem Glaserl Wein eingeladen wurde, verweigerte beharrlich, das Zusammensein und die Konversation mit den Gästen vereinbarungsgemäß zu beenden und das Lokal zu verlassen. Nach mehrfacher Aufforderung an den Arbeitnehmer der Vereinbarung entsprechend zu gehen, sprach der Arbeitgeber eine Entlassung aus und drohte dem Kellner mit der Polizei, falls er nicht sofort das Lokal verlasse. Daraufhin verließ der Kellner das Lokal. Der Kellner klagte eine Kündigungsentschädigung ein, wurde aber vom OGH mit seinem Begehren abgewiesen.

Der OGH sah im “dienstlichen” Verhalten des Kellners eine Verletzung des betrieblichen Interesses in der Form, dass es für den “Ruf und das Ansehen eines gastgewerblichen Betriebes abträglich” wäre, wenn Bedienungspersonal mit Gästen zusammen in einem Gastlokal konsumieren, “in welchem allenfalls eine Bedienung durch dieses Personal” erwartet wird. Weiters wurde noch verstärkt auf die Beharrlichkeit der Zuwiderhandlung des Arbeitnehmers eingegangen und deren Vorhandensein im Sinne von § 82 lit f GewO 1859 bestätigt. Auf ein etwaiges Interesse des Arbeitnehmers wurde nicht eingegangen.

Ein Kritikpunkt an den Ausführungen des OGH muss dahingehend angebracht werden, dass der OGH das Verhalten des Arbeitnehmers als ausschließlich “dienstlich” bezeichnet hat, obgleich davon ausgegangen werden muss, dass ein Verhalten, welches von Arbeitnehmern in deren Freizeit gesetzt wird, zumindest zu einem gewissen Teil der Privatsphäre zuzurechnen ist. Gerade diese Abgrenzungsfrage zwischen Privatsphäre und Berufssphäre bietet den Ansatzpunkt für die Problemlösung.

Grundsätzlich müssen wir heute vom freien Menschen ausgehen, der als gemeinschaftsgebundenes Individuum nur dann in seiner freien Entfaltung eingeschränkt werden darf, wenn gesellschaftliche Notwendigkeiten dies gebieten. Ein solches Gebot ist in der Selbstbeschränkung der Persönlichkeit beim Eintritt in ein Arbeitsverhältnis zu erkennen. Freiheitsentfaltungen außerhalb des Arbeitsverhältnisses können nur dann begrenzt werden, wenn sie tatsächlich geeignet sind, betriebliche Interessen gravierend zu beeinträchtigen oder dürfen – wie im vorliegenden Fall – nur soweit durch Einwilligung des Arbeitnehmers beschränkt werden, als dadurch der Kernbereich der Privatsphäre nicht verletzt wird.

Der besondere Wertgehalt, der den Schutzanspruch der Privatsphäre bedingt, kommt insbesondere in der grundrechtlichen Bestimmung des Art 8 MRK zum Ausdruck. Die Bestimmung beinhaltet das generelle Gebot, das Privatleben zu achten, also nicht in einen bestimmten Lebensbereich des Menschen einzugreifen. Die Privatsphäre soll gegenüber der Außenwelt derart abgeschirmt werden, dass jedem die Möglichkeit gegeben ist, mit sich selbst allein zu sein, und der einzelne sein Leben nach eigenen Wünschen zu gestalten vermag.

Nun steht das Privatleben grundsätzlich im Gegensatz zum beruflichen und geschäftlichen Leben. Es gibt aber Bereiche, die zwischen diesen beiden Lebensgebieten liegen. Ist das Privatleben mit dem beruflichen oder geschäftlichen Leben so eng verknüpft, dass eine Trennung nicht mehr durchführbar erscheint[3]), so hört es auf etwas Besonderes zu sein. Die Grenzen zwischen dem Privatleben und der beruflichen Tätigkeit entschwinden stets dann, wenn trotz äußerlicher Trennung beider Lebensbereiche das Privatleben zwangsläufig Rückwirkungen auf den Beruf oder das Geschäft mit sich bringt. Genau in einem solchen Grenzbereich ist unser konkreter Sachverhalt angesiedelt. Damit wird aber der allgemeine Achtungsanspruch des Privatlebens gemindert, weil nicht mehr der ausschließliche private Bereich zur Disposition steht, sondern ein zum geschäftlichen Bereich im Naheverhältnis stehender privater Bereich, der auf Grund dieses Naheverhältnisses nicht mehr den Kerngehalt des Privatlebens ausmacht. Soweit grundrechtliche Wertgehalte aber nicht in ihrem Kern getroffen werden, sind sie in den Grenzen der Privatautonomie abdingbar. Daher ist der Kellner an die vertraglich vereinbarte Beschränkung seines Privatlebens auf jeden Fall gebunden, und das Urteil des OGH in seiner Entscheidung zu bestätigen.

Anders würde die Situation aussehen, wäre der Kellner nicht durch eine vertragliche Vereinbarung sondern durch eine Arbeitgeberweisung gehalten, die Räumlichkeiten der Gaststätte zu verlassen. In diesem Fall ginge es nicht um die Beschränkbarkeit eigener Rechte, sondern um die Frage welches Interesse stärker wiegt. Hier müsste insbesondere auf die Frage eingegangen werden, ob das – auch vom OGH zur Begründung der Entlassung – vorgebrachte Argument, der Arbeitgeber hätte ein besonders gravierendes Interesse daran, dass Gäste durch die zufällige Anwesenheit eines außer Dienst stehenden Kellners nicht insofern irritiert werden, dass sie annehmen könnten, durch das Unterlassen einer Tätigkeit des außer Dienst stehenden Kellners nicht ordentlich bedient zu werden, stärker wiegt, als das Interesse des Kellners, in der Ausgestaltung seines Privatlebens nicht gestört zu werden. Ein beachtenswerter Aspekt ist in diesem Zusammenhang auch in der Art der Gaststätte, um die es sich im konkreten Falle handelt, zu sehen. Denn es wird einen Unterschied machen, ob Gäste in einem renommierten Lokal oder in einem einfachen Landgasthaus durch außer Dienst befindliche Kellner irritiert werden.

Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich immer wieder bei der Frage, wie weit der Arbeitgeber Einfluss auf das äußere Erscheinungsbild seiner Arbeitnehmer nehmen darf. Hier ist besonders an Vorschriften zu denken, die eine bestimmte Haartracht oder eine bestimmte Kleidung vorschreiben.

Frisuren und Kleidung gestalten heute zum wichtigsten Teil das modische Äußere, mit dem der Träger in vielen Fällen auch innere Einstellungen und Vorstellungen spiegelbildlich wiedergeben und vermitteln möchte. Sie sind nicht selten ein Ausdruck eines Zeitgeistes und gerade unter jungen Menschen gruppendynamisches und verbindendes Element. Daher kann man sicherlich ohne Zweifel sagen, dass Frisuren und Kleidung eindeutig dem Bereich der Persönlichkeitsentfaltung zuzurechnen sind.[4])

Diese Persönlichkeitsentfaltung wird gerade dann zum Problem, wenn der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer unterschiedliche Auffassungen darüber vertreten, wie ein “normaler” Mensch sein Äußeres herzurichten und zu gestalten hat.

Typisch sind Konflikte zwischen Arbeitgebern und jungen Arbeitnehmern, die bei weitem mehr  als ältere Menschen dazu tendieren, sich durch ausgefallene Frisuren und Kleidung in Szene zu setzen[5]), was nicht heißen soll, dass ältere Menschen nicht auch zu modischen Besonderheiten tendieren können.

Der Beweislastregel des § 17 ABGB folgend, die es demjenigen auferlegt, der einen Eingriff in das geschützte Persönlichkeitsrecht beabsichtigt, darzutun, dass der Eingriff erlaubt ist, abverlangt vom Arbeitgeber eine Begründungspflicht für die Verbote und Gebote einer bestimmten Bekleidungs- oder Haartrachtsvorschrift.

Ein für Bekleidungsvorschriften auf jeden Fall hinreichender Grund ist der gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitnehmerschutz, der in § 11 ASchG 1973 festgelegt ist. Hiernach hat die Arbeitskleidung den Erfordernissen der beruflichen Tätigkeit der Arbeitnehmer zu entsprechen und vor allem so beschaffen zu sein, dass durch die Kleidung eine zusätzliche Gefährdung des Lebens und der Gesundheit nicht bewirkt wird.

Daher sind zB lange Röcke bei der Arbeit an Maschinen zu verbieten, wenn die Gefahr des Verfangens in beweglichen Teilen besteht. Gleiches muss für überlange Haare gelten.

In den Bereichen, für die es keine ausdrücklichen Gesetzesermächtigungen gibt, ist eine Unterscheidung dahingehend notwendig, ob die Bekleidungsvorschriften Inhalt einer Vertragsklausel oder einer Arbeitgeberweisung sind. Denn stimmt der Arbeitnehmer einem Vertrag zu, in dem Bekleidungs- und Haartrachtsvorschriften enthalten sind, gibt er seine Einwilligung, sich nach diesen Vorschriften zu verhalten. In diesem Fall muss das Persönlichkeitsrecht in seinem Kernbereich durch die vereinbarten Vorschriften getroffen sein, um dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zu geben, sich gegen die Vereinbarung zur Wehr zu setzen. Anknüpfend an die Ausführungen im Fall des Kellners, ist festzustellen, dass es darauf ankommt, ob das Privatleben mit dem beruflichen oder geschäftlichen Leben so eng verknüpft ist, dass das Privatleben aufhört etwas Besonderes zu sein.[6]) Eine abgeschwächte private Tendenz besteht insbesondere bei Berufskleidungen, die für eine bestimmte Berufsgruppe normalerweise üblich sind. So kann zB ein Kellner durchaus dazu verpflichtet werden, einen Smoking zu tragen oder ein Portier eine Uniform. Hingegen gibt es auch exzessive Formen der vertraglichen Vereinbarung, wie zB eine Vereinbarung eines Arbeitgebers mit einer Serviererin, die der Arbeitnehmerin vorschreibt, mit entblößtem Oberkörper ihre Arbeit in einer Espressostube zu verrichten. Eine solche Vereinbarung ist trotz vertraglichem Einverständnis der Arbeitnehmerin wegen mangelnden Schutzes der Sittlichkeit und damit absoluter Verletzung des Kerns der Persönlichkeit für nichtig zu erklären.[7])

Schwieriger ist die Situation in jenen Fällen, in denen Haartrachts- und Bekleidungsvorschriften ausschließlich auf Arbeitgeberweisungen beruhen. Da das Weisungsrecht als einseitiges Gestaltungsrecht[8]) des Arbeitgebers, durch das die Arbeitspflicht konkretisiert wird[9]), keine Mitwirkung oder Zustimmung des Arbeitnehmers einschließt, ist der Eingriff in die Privatsphäre des Arbeitnehmers im Rahmen der Interessenabwägung besonders eingehend auf sachliche Rechtfertigung zu prüfen.

In diesem Sinne liegt ein besonderes Interesse an einer bestimmten Kleidung oder Haartracht des Arbeitgebers zB dann vor, wenn der Arbeitnehmer berufsbedingt in Kontakt mit Kunden tritt, weil in diesem Falle nicht selten vom Erscheinungsbild des Arbeitnehmers auf die Qualität des Unternehmens geschlossen wird.[10]) Dabei muss aber jeweils auf die sich wandelnden Modeströmungen Rücksicht genommen werden. Heute sind daher zB auch Miniröcke und kurze Hosen als sozial anerkannte Kleidungsstücke für Frauen zu sehen, so dass sie der Arbeitgeber kaum generell verbieten kann und darf. Es wird aber trotzdem immer auf die besonderen Umstände abzustellen sein.[11])


[1]) Es gibt durchaus Fälle, bei denen das private Verhalten für die Berechtigung einer Entlassung bedeutend ist; vgl dazu Martinek - Schwarz, Angestelltengesetz3 (1976) 475 f.
[2]) OGH, Ob 148/77; DRdA 1979/24.
[3]) Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte 255.
[4]) In der Lehre und Judikatur ist man grundsätzlich der übereinstimmenden Ansicht, dass die Kleidung ein Teil der Privatsphäre jedes Arbeitnehmers ist. Vgl dazu Aicher in Rummel, Kommentar zum ABGB2 I RZ 26 zu § 16; Ostheim, Die Weisung als arbeitsrechtliches Problem, Verhandlungen des 4. ÖJT (1970) I/4, 105 f; Mayer - Mali, ArbuR 1969, 5; Schwenk, NJW 1969, 826; Peschek, Sind Miniröcke und kurze Hosen ein arbeitsrechtliches Problem? RdW 1992, 343.
[5]) Peschek, Sind Miniröcke und kurze Hosen ein arbeitsrechtliches Problem? RdW 1992, 343; BB 1966, 861; BB 1972, 175.
[6]) vgl Schnorr, Erfüllung arbeitsvertraglicher Pflichten und Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers, in FS - Strasser 122.
[7]) vgl dazu VwGH 633/75, 9. September 1976.
[8]) Bydlinski, Die Übertragung von Gestaltungsrechten 270; Ostheim, Die Weisung als arbeitsrechtliches Problem, Verhandlungen des 4. ÖJT (1970) I/4, 37 ff.
[9]) Ostheim, Die Weisung als arbeitsrechtliches Problem, Verhandlungen des 4. ÖJT (1970) I/4, 37; Spielbüchler - Floretta, Arbeitsrecht I3, 142.
[10]) vgl dazu eine Entscheidung des Arbeitsgerichts Mannheim vom 16. Februar 1989, BB 1989, 1201.
[11]) Das Landarbeitsgericht Frankfurt, ARSt 1962 Nr 1191, hat unter Beachtung der besonderen Verhältnisse das Verbot eines Arbeitgebers gegenüber einem im Kundenverkehr tätigen Arbeitnehmer, in kurzen Hosen zum Dienst zu kommen und das Hemd über der Hose zu tragen, als zulässig angesehen.
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