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Gesamte Inhalte:

© Dr. Christoph Paul Stock

 

7. Zusammenführung rationaler Prozesse und intuitiver Wahrnehmung in einem inkludierten Entscheidungsmodell

 

In diesem Teil der Arbeit sollen nun die Ergebnisse der vorangehenden Teile in einem inkludierten Modell zusammengefasst werden, um die multivariaten Aspekte des Entscheidens zusammenzuführen. Es geht nicht darum, alle Detailaspekte des Entscheidungsverhaltens zu berücksichtigen, sondern einen Rahmen zu schaffen, in dem die vielen Aspekte Platz finden können. Das Modell ist weniger eine Zielscheibe, auf der zentrale und weniger zentrale sowie periphere Aspekte des Entscheidens durch Beschreibungen verortet werden, sondern vielmehr ein Kompass, der die verschiedenen Dimensionen des Entscheidens auszurichten sucht.

Denken, Logik, Gefühle, Bedürfnisse, Motivationen, Ansprüche, Absichten, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Beobachtungen, Vorstellungen, Meinungen, Theorien, Hypothesen, Vernunft, Einstellungen und Überzeugungen, Normen, Werte, Kulturen, Strukturen, Automatismen, Innovationen, Kreativität, Heuristiken und Unwissenheit müssen in diesem Kompass Platz finden. Zu den verschiedenen Teilaspekten treten noch dynamische Aspekte hinzu wie Denkabläufe, die Formung von Handlungen, die Gestaltung von geistigen Repräsentationen, der Aufbau von Strukturen und die Adaption an sich ändernde Bedingungen. Eine plastische Steuerung, wie sie in der Arbeit angesprochen wurde, ist ebenfalls dynamisch. Der Kompass muss also statische und dynamische Aspekte aufweisen.

 

Obwohl gerade angesichts der modernen Neurowissenschaften umstritten, wird in dieser Arbeit ein psychophysischer Dualismus im Sinne Karl R. Poppers vertreten, der von einer Wechselwirkung zwischen der körperlichen und der seelisch-geistigen Welt ausgeht. Popper hat diesen Dualismus mit seiner Theorie von den drei Welten zu beschreiben versucht. Seine „Welt 1“ beherbergt die physischen Dinge, seine „Welt 2“ die menschliche Welt der Bewusstseinsvorgänge und seine „Welt 3“ die objektiven Schöpfungen des menschlichen Geistes.[1] Der Autor wird in Analogie zu Poppers drei Welten ein inkludiertes Entscheidungsmodell mit vier Dimensionen verwenden. Die „Dimension 1“ entspricht Poppers „Welt 1“. Poppers „Welt 2“ wird in zwei Dimensionen aufgeteilt. Die Dimension des Psychischen wird als „Dimension 2“ und die Dimension des Geistigen als „Dimension 3“ bezeichnet. Eine weitere Dimension, die beschreibt, was über den Menschen hinausgeht und ihn meist überdauert, ohne ihn aber nicht existieren würde, wird als „Dimension 4“ in Analogie zu Poppers „Welt 3“ eingeführt.[2] Dazu gehören vor allem die komplexen sozialen Systeme und die komplexen Entscheidungsgrundlagen. Im gegenständlichen Konzept ist die „Dimension 4“ die Welt des Kollektiven, Unüberschaubaren und Komplexen.

Diese statischen Dimensionen werden dadurch dynamisiert, dass jede Dimension in je drei Bereiche eingeteilt wird:

Die materielle Dimension wird so in einen ersten Bereich des Potentials und Vermögens gegliedert. In diesem Bereich werden mit Hilfe des vorhandenen Kapitals und der gegebenen Finanzierungen Investitionen getätigt, die im zweiten Bereich der real sichtbaren Organisation Anlagen sowie Beschaffungs- und Produktionsstrukturen ermöglichen. Im dritten Bereich befinden sich als Ergebnis eines Wertschöpfungs- und Leistungsprozesses die Produkte und Dienstleistungen und deren Absatzstrukturen. Da das Denken auf konkreten Kategorien der Logik[3] aufbaut und diese durch einen neuronalen Aufbau unseres Gehirns a priori biologisch prädisponiert[4] sind, gehören die neuronalen Denk- Wahrnehmungs- und Fühlstrukturen in die „Dimension 1“ und die dazu gehörenden Abläufe in die „Dimension 2 und 3“.

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Abbildung 4: Darstellung der vier Dimensionen des inkludierten Entscheidungsmodells mit den jeweils drei Bereichen. Grafik-Design: © Christoph Paul Stock

Die „Dimension 2“ der psychischen Bewusstseinsvorgänge wird ebenfalls in drei Bereiche eingeteilt. Im ersten Bereich sind Emotionen und Motivationen angesiedelt, die sich durch Vertrauens- und Bedürfnisaspekte und das Ausmaß des Involvements als entscheidungsrelevante Aspekte ausdrücken. Im Übergang zum zweiten Bereich befindet sich die Intentionsbildung mit der Entscheidung, welche Motivationstendenzen die Volitionsphase des Planens und Handelns überhaupt bestimmen. Der Übergang zum dritten Bereich definiert, welche beteiligten oder neu gebildeten Intentionen den Schritt von der Planung zur tatsächlichen Handlung im jeweiligen Zeitpunkt regeln. Der zweite Bereich der Handlungsintention ist also bestimmt von Präferenzen, Absichten und Planungsvorgängen.[5]

Im dritten Bereich der Handlungsausführung ist zu fragen, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten für die Ausführung zur Verfügung stehen und in wie weit die Handlungen an konkrete Umstände ausgesteuert werden müssen.

Würde man der monistischen Vorstellung des Physikalismus folgen, wäre eine Beschäftigung primär mit der „Dimension 1“ angezeigt. Würde man der monistischen Vorstellung des Psychismus folgen, stünde die „Dimension 2“ im Mittelpunkt der Überlegungen. Nun wird in diesem Modell über den Monismus hinaus angenommen, dass die materielle Dimension mit der psychischen Dimension und diese auch mit einer geistigen und einer komplexen Dimension in Wechselwirkung steht und all diese Dimensionen für Entscheidungsfindungen von Bedeutung sind. In einer Überschreitung des Problems des Solipsismus, demzufolge angenommen wird, man selbst sei die einzige Realität im Universum und die eigenen Bewusstseinsvorgänge brächten das ganze Universum hervor, wird eine Umgebung mit anderen Beobachtern etabliert und davon ausgegangen, dass wir in einer Realität leben, die beobachtet werden kann und in der durch Beobachtung ein Wissen möglich wird, das auch vermittelbar ist.[6]

Donald Davidson nimmt in seiner Handlungstheorie eine solche Dimension der Vernunft an, ohne der es uns Menschen nicht möglich wäre, uns über sinnliche Wahrnehmungen, die Orientierung des Handelns und über Prinzipien des Lebens und Zusammenlebens zu verständigen und gegenseitig Rechenschaft zu geben. Da Davidson von Einstellungen aber direkt auf Handlungen schließt, beachtet er in der Ansicht des Autors die Aspekte der „Dimension 2“ zu wenig. Sind also die beiden ersten Dimensionen ichbezogen und betreffen Entscheidungsgründe, die sich durch einen Blick nach innen erschließen, so bezieht sich die „Dimension 3“ auf ein Gegenüber und die „Dimension 4“ auf die systemische Struktur dieses Gegenübers und muss sich der Blick des Entscheiders bei diesen Dimensionen nach außen richten.

Dementsprechend wird der erste Bereich der „Dimension 3“ durch Beobachtungen bestimmt, die eine Offenheit gegenüber und eine Begegnung mit dem sozialen Umfeld verlangen. Der Bereich der Erforschung des Umfeldes repräsentiert die zweite Schneide der von  Herbert Simon beschriebenen Schere. Der Übergang von den „Dimensionen 1 und 2“ in die „Dimension 3“ entspricht Simons Metapher. Durch die Erforschung des Umfeldes werden im zweiten Bereich der „Dimension 3“, in dem es um die Erstellung von inneren geistigen Repräsentationen geht, Landkarten vom Umfeld und mit deren Hilfe Vorstellungen und Meinungen gebildet. Diese Vorstellungen und Meinungen können direkt oder mit Hilfe eines kritischen Rationalismus im Sinne Poppers im dritten Bereich, in dem es um die Adaptierung von Landkarten geht, zu Einstellungen und Überzeugungen führen. Wird ein wissenschaftliches Vorgehen gewählt, werden im dritten Bereich Hypothesen zur Überprüfung aufgestellter Theorien entwickelt und deren Ergebnisse als vorläufige Erkenntnisse angenommen. Die Adaptierung der inneren Repräsentationen verlangt nach der Fähigkeit der Reflexion und damit des Erinnerns und Lernens aus vergangenen und neuen Erfahrungen.

So können im Wechselspiel zwischen „Dimension 2“ und „Dimension 3“ neue Einsichten gewonnen werden.[7] Einsichten fördern die Bildung von Ideen über die Beschaffenheit unseres Lebens und der Welt. Von diesen Ideen kann nach Kant nicht direkt auf die gegenständliche Welt geschlossen werden. Die Ideen sind Ausdruck der Vernunft und damit abstrakte geistige Landkarten, die richtig oder falsch sein können. Da die geistigen Landkarten mit Hilfe der Ratio erstellt werden, kann mit Ihnen auch ohne Bezug auf konkrete Gegenstände der Welt argumentiert werden. So kann man sich in logische Schlüsse ohne realen Bezug verstricken. Einmal gewonnene Einsichten können eine Zeit lang gültig sein. Da die Welt aber ständig im Fluss ist, sollten Ideen immer wieder an der Realität überprüft werden. Jetzt bewegt man sich nicht mehr von der „Dimension 1“ über die „Dimension 2“ in die „Dimension 3“, sondern umgekehrt von der „Dimension 3“ wieder in die darunter liegenden beiden Dimensionen. Damit wird erkennbar, dass einzelne Dimensionen statisch betrachtet werden können aber man sich auch dynamisch von unten nach oben („bottom up“) und von oben nach unten („top down“) beginnend von jeder Dimension und von jedem Bereich aus bewegen kann. Das Modell ist statisch und dynamisch zugleich. Es nimmt eine plastische Wechselwirkung an, mit deren Hilfe auch evolutive Entwicklungen möglich werden.

Auch wenn wir unsere Ideen, Einsichten, Einstellungen und Überzeugungen immer wieder an der Realität überprüfen müssen, so gibt es doch Werte, Normen und kulturelle Übereinkünfte, die Systeme des Zusammenlebens ermöglichen, deren Grundlagen ausgesprochen stabil, vielfach nicht bewusst und implizit gewusst sind und unser Verhalten und Handeln häufig automatisiert ablaufen lassen. Dies alles ist im ersten Bereich der „Dimension 4“ zu finden. Mit Bezug zur Alltagswelt handelt es sich dabei zB um die Systeme der Sprachen, aber auch um Rechts-, Gesellschafts-, Familien- und Religionssysteme. Mit Bezug zu Unternehmen sind hier Unternehmenspolitik, -philosophie, -klima, -kultur, etc. zu finden. Neue Einsichten wirken auf diese stabilen Systeme ein, brauchen aber oft sehr lange, um nachhaltige Veränderungen zu bewirken. Etablierte Systeme garantieren Stabilität, verhindern aber auch notwendige Erneuerung durch ein manchmal überzogenes Beharrungsvermögen. Der zweite Bereich der „Dimension 4“ beherbergt daher jene Kräfte der Innovation und Kreativität, die unabdingbar sind für Weiterentwicklung und Fortschritt. Umfangreiche Erfahrung, ein großer Pool an implizitem Wissen und die Bereitschaft, Traditionelles zu hinterfragen und unablässig nach Neuem zu suchen, setzen spontan kreative Kräfte frei, die ganz Neues oder neu Kombiniertes hervorbringen. Da diese Prozesse nicht willentlich gesteuert werden können, sondern man nur die Rahmenbedingungen dafür schaffen kann, gehören Innovation und Kreativität genauso wie etablierte soziale Systeme in die „Dimension 4“ des Kollektiven. Diese Dinge reichen über unsere körperlichen, seelischen und geistigen Möglichkeiten als Individuen weit hinaus. Im letzten Bereich der „Dimension 4“ verlieren wir als Individuen vollends den Halt, wenn wir mit der Leere und Unwissenheit konfrontiert werden. Hier gibt es viele Dinge, die uns noch nie bewusst waren und aus diesem Grund vorbewusst sind und dem kollektiven Unbewussten angehören. Was aus diesem Bereich kommen mag und ins Leben tritt, kann nicht vorhergesagt werden. Das macht Angst und wird daher vielfach gemieden. Die „Dimension 4“ zeichnet sich durch Komplexität, Unüberschaubarkeit und Rätselhaftes aus.

 

Die vier Dimensionen sind selbst ein Modell, das die reale Welt zu schematisieren versucht. Das Modell muss abstrahieren und auf Wesentliches reduzieren. Das Modell kann daher nur ein Denkschema aber nicht das Bewusstsein einer unmittelbaren Gegenwärtigkeit sein. Im realen Leben greifen die vier Dimensionen permanent ineinander und verdichten sich im gegenwärtigen Moment zu dem, was wir Realität nennen. Modelle verführen zur Idealisierung. Man muss darauf achten, dass das „inkludierte Entscheidungsmodell“ selbst nur eine vorläufige Landkarte ist und damit der „Dimension 3“ angehört.

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Abbildung 5: Beschreibung der jeweils drei Bereiche in den vier Dimensionen des inkludierten Entscheidungsmodells. Grafik-Design: © Christoph Paul Stock

[1] Vgl. in: Popper, K. R.: Alles Leben ist Problemlösung: Über Erkenntnis, Geschichte und Politik, R. Piper GmbH & Co. KG, München, 1994, S. 95 ff
[2] Vgl. dazu die Gliederung zur Entstehung von Systemen oder Ordnungen bei: Malik, F.: Strategie des Managements komplexer Systeme, 9. Auflage, Haupt Verlag, Bern/Stuttgart/Wien, 2006, S. 220
[3] Vgl. zu den logischen Funktionen des Verstandes in: Kant, I.: Kritik der reinen Vernunft, Marix Verlag GmbH, Wiesbaden, 2004, S 92 ff
[4] Vgl. dazu die Ausführungen des Neurowissenschaftlers Eric Kandel der meint: „Das Gehirn übernimmt nicht einfach die Rohdaten, die es von den Sinnen empfängt, und reproduziert sie getreulich. Vielmehr analysiert zunächst jedes Sinnessystem die eintreffenden Informationen, zerlegt sie und rekonstruiert sie dann gemäß den eigenen naturgegebenen Verbindungen und Regeln - Kant lässt grüßen!“ Siehe in: Kandel, E.: Auf der Suche nach dem Gedächtnis: Die Entstehung einer neuen Wissenschaft des Geistes, 3. Auflage, Wilhelm Goldmann Verlag, München, 2009, S. 327 f
[5] Vgl. dazu das Rubikon-Modell nach Heckhausen: Lange Zeit wurde der Prozess der Volition von der Motivationspsychologie zugunsten einer ausschließlichen Konzentration auf die Motivation, d.h. die Setzung oder Auswahl von Zielen, vernachlässigt. Die Frage nach der Zielrealisierung und damit nach der Volition wurde kaum gestellt. Ende der 1980er-Jahre hat Heinz Heckhausen mit dem „Rubikon-Modell“ ein Rahmenmodell für die Volitionsforschung entwickelt. Dieses Modell verortet verschiedene Funktionen volitionaler Prozesse in der Sequenz des Handlungsablaufes. Dieses Modell liegt der Einteilung der „Dimension 2“ zugrunde. Siehe in: Heckhausen, J./Heckhausen, H.: Motivation und Handeln, 3. Auflage, Springer Medizin Verlag, Heidelberg, 2006, S. 7
[6] Vgl. bei: Baecker D. (Hrsg.): Schlüsselwerke der Systemtheorie, 1. Auflage, VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlag GmbH, Wiesbaden, 2005, S. 292 ff
[7] Vgl. dazu die neurowissenschaftlichen Überlegungen von Eric Kandel in: Mirsky, S.: The Future of Psychiatry: Eric Kandel says it lies with biology, Howard Hughes Medical Institute (HHMI) Bulletin, Volume 13, Issue 3, 2000, S. 6-8. Internetzugriff am 27.03.2012 unter http://www.hhmi.org/bulletin/kandel/
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