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Beschreibung lebensfähiger Systeme in Anlehnung an das Viable System Model  (VSM) von Stafford Beer

 

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Gesamte Inhalte: © Dr. Christoph Paul Stock

 

PROLOG 1: MATERIE ALLEIN GENÜGT NICHT

 

Wenn von Lebensfähigkeit gemeinhin die Rede ist, wird diese Frage vielfach auf finanzielle Versorgungsbelange verkürzt. Es stellt sich dann die Frage, ob eine Person ausreichende Fähigkeiten und Kapazitäten hat, um ihr tägliches Brot zu verdienen, sich ein Dach über dem Kopf zu verschaffen, Kleidung und wichtige Gegenstände des täglichen Lebens zu kaufen und all jene Menschen im eigenen Umfeld zu versorgen, die dieser Person anvertraut sind. Zweifelsohne sind dies zwingende Grundvoraussetzungen, die für das Leben und Überleben von Menschen unabdingbar sind. Wer einmal in der Betreuung von Flüchtlingen tätig war, kennt die Brutalität, die sich einstellt, wenn für Menschen auf Grund einer notwendig gewordenen Flucht all diese ganz grundsätzlichen materiellen und ökonomischen Rahmenbedingungen verloren gegangen und zusammengebrochen sind, obwohl sie zuvor fast wie selbstverständlich vorhanden waren.

Doch wenn man solche Situationen begleitet, wird auch klar, dass all diese materiellen und ökonomischen Belange lediglich Epiphänomene in dem Sinne sind, dass eine geflüchtete Person in Wahrheit nicht nur darum kämpft, zu überleben, sondern insbesondere auch darum, ob sie ihre eigene individuelle Existenz aufrechterhalten kann. Es stellt sich also neben der Frage nach dem Unterhalt die existentielle Frage, ob eine Person überleben kann, wenn die materielle und ökonomische Notlage gemildert und finanzielle Belange zumindest vorübergehend geregelt sind. Denn die eigentliche Herausforderung ergibt sich dadurch, dass die Person in einer fremden Umgebung vielfach angegriffen und abgelehnt wird, sich an die neue Umwelt anpassen muss und sich auf die bisherige kulturelle Steuerung nur mehr sehr eingeschränkt verlassen kann. Die eigentliche Herausforderung besteht also nicht darin, ob unsere Versorgung mit den wichtigsten Gütern des täglichen Überlebens gegeben ist. Werden diese nicht zur Verfügung gestellt, stellt sich ohnehin nur mehr die Frage nach dem nackten Überleben und nicht mehr nach der Lebensfähigkeit. Es stellt sich also nicht nur die Frage nach dem Geld, mit dem man sich Lebensmittel und eine Unterkunft kauft, sondern nach der eigenen inneren Struktur, die in einer bestimmten Art und Weise aufgebaut und durch die bisherigen Lebenserfahrungen geprägt und konditioniert worden ist. Ist also die eigene innere Struktur, das System, das man selbst ist, ausreichend dynamisch, um sich an die neuen Verhältnisse und Umstände anpassen und adaptieren zu können, ohne die Essenz des eigenen Seins zu verlieren?

Jungen Menschen gelingt dies meist weit leichter wie älteren Menschen. Sie sind durch ihre bisherige Umgebung weit weniger tief geformt als Menschen, die lange Zeit in einem bestimmten sozialen und kulturellen Umfeld zugebracht haben.

Das Thema Lebensfähigkeit geht also weit über die Frage des bloßen Überlebens und der Milderung unmittelbarer Notlagen hinaus. Lebensfähigkeit ist eine Frage, die nicht primär mit materiell-ökonomisch Überlegungen beantwortet werden kann. Lebensfähigkeit bezieht sich auf ein ganzes System, das innerhalb von Systemen lebt und überlebt. Genau diese Situation ergibt sich für geflüchtete Menschen, die aus einem Kultur- und Lebensraum in einen anderen meist unfreiwillig wechseln und sich der Herausforderung gegenübersehen, die eigene Struktur trotz der Änderung des Kultur- und Lebensraumes, in dem sie nun leben, aufrecht zu erhalten. Gelingt es, sich im neuen Metasystem zurecht zu finden?

Doch diese Frage stellt sich nicht nur für Menschen, die ein extremes Lebensereignis wie eine Flucht überstehen müssen. Da sich die Systeme, in denen wir leben, ständig ändern und das einzig Beständige in der Welt der Wandel selbst ist, stehen wir alle immer wieder in unserem Leben vor der Frage, wie wir die Struktur unserer eigenen Existenz aufrechterhalten können. Wie können wir unser eigenes System stabilisieren und so mit unserer Umgebung abstimmen, dass wir nicht nur unser Überleben sichern, sondern unsere Lebensfähigkeit aufrechterhalten. In der Wirtschaft würde man sagen, dass es nicht nur darum geht, Gewinne und Profite zu machen, sondern darum, möglichst lange im Geschäft zu bleiben.

© Christoph Paul Stock | Wien | 2025 | All rights reserved!
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