K O N T A K T

Beschreibung lebensfähiger Systeme in Anlehnung an das Viable System Model (VSM) von Stafford Beer
Gesamte Inhalte: © Dr. Christoph Paul Stock
PROLOG 3: METASYSTEME
All die sozialen Metasysteme, in denen wir uns bewegen, haben eine bestimmte Prägung. Diese Prägung unterscheidet sich aber nicht nur nach Lebensabschnitten und Lebensrollen, sondern auch nach Kulturen und Epochen. Die vordemokratischen Systeme wie Monarchien, faschistische oder kommunistische Systeme unterschieden und unterscheiden sich weitgehend von unseren demokratischen Systemen. Die Diktaturen und Autokratien dieser Welt funktionieren ebenfalls völlig anders als die westlich-kapitalistisch geprägten Systeme. Neben diesen sozialen von Menschen errichteten Systemen gibt es auch natürliche Systeme, die wiederum anders aufgebaut sind und eine andere Funktionsweise aufweisen wie unsere sozialen Systeme. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass Menschen immer wieder Systeme errichten, die dem Leben abträglich sind und die Tendenz haben, ganze Völker in den Abgrund zu befördern. Die faschistischen Systeme des 20. Jahrhunderts sind ein sehr krasses Beispiel für Systeme mit einer besonders destruktiven und zerstörerischen Kraft. Die Geschichte lehrt uns aber auch, dass Menschen Systeme aufgebaut haben, die über Jahrhunderte, ja in manchen Fällen sogar Jahrtausende Bestand gehabt haben, wie Reiche in China und Ägypten sowie das Römische Reich zeigen. Doch die Geschichte zeigt auch auf, dass soziale Systeme weit nicht jene Robustheit und Dauerhaftigkeit haben wie natürliche Systeme. Seit es den Menschen auf dieser Welt gibt, sind schon unzählige Zivilisationen entstanden und wieder verschwunden. Die Natur mit ihrer Flora und Fauna ist das beständigste System in dieser Welt. So manche Zivilisation hat sie in Mitleidenschaft gezogen, doch bisher hat sich die Natur immer wieder weitgehend regeneriert, was man von vielen Zivilisationen nicht behaupten kann. So manche Zivilisation ist auch auf Grund sich gravierend ändernder Umweltbedingungen zu Grunde gegangen bzw. haben natürliche Umweltveränderungen eine große Rolle bei ihrem Verschwinden gespielt.
Da unsere moderne Zivilisation eine globale Ausdehnung erreicht hat und die Menschheit zur dominierenden Spezies auf diesem Planeten aufgestiegen ist, verdrängen heute soziale und technisch konstruierte Systeme natürliche Systeme in einem immer größeren und schneller anwachsenden Ausmaß. Damit wird die Natur als ausgesprochen beständiges und verlässliches System angegriffen und gefährdet. Das tragische dabei ist, dass die Natur die Lebensgrundlage aller sozialen Systeme ist. Wir wollen es nicht so recht begreifen, aber wenn das System „Natur“ in einem gewissen Ausmaß geschädigt wird, bedeutet das unweigerlich den Untergang unserer Zivilisation. Eine zu gravierende klimatische Veränderung wird unsere Zivilisation nicht überleben. Eine gravierende klimatische Veränderung kann zusätzlich auch leicht dazu führen, dass der Mensch als dominierende Spezies seinen Rang in dieser Welt verliert. Andere Lebewesen werden mit Sicherheit an ein Klima besser angepasst sein als der Mensch, in dem Temperaturen nicht nur um ein paar wenige Grade ansteigen, sondern 10 und mehr Grad an Anstieg erreichen. Der Mensch kann dann große Lebensräume dieser Welt nicht mehr besiedeln und nutzen, weil er auf Grund der hohen Temperaturen dort nicht überleben kann. Temperatur ist etwas, auf das der Mensch sehr empfindlich reagiert. Schon heute sterben unzählige Menschen in den Hitzeperioden in unterschiedlichen Teilen der Welt.
Ein von Menschen geschaffenes konstruktivistisches und technomorphes System bedroht ein organisches und evolutionäres System. Das grundsätzliche Überleben des organischen und evolutionären Systems ist durch den Menschen nicht gefährdet. Dieses System hat nach fünf Massenaussterben auf dieser Welt immer wieder eine unglaubliche dynamische Vielfalt an Lebendigkeit ins Leben zurückgebracht. Dieses System wird auch ein sechstes Massenaussterben überstehen. Was gefährdet ist, sind wir selbst und die Natur in jener Form, in der wir sie kennen. Wir benötigen die bestehende Natur und nicht eine andere Natur, um überleben und uns weiter entwickeln zu können. Vielleicht findet man im Weltraum eine weitere Welt, die von Menschen besiedelt werden kann. In naher Zukunft ist ein solcher extraterrestrischer Schritt aber mehr als unwahrscheinlich. Selbst wenn man einen habitablen Planeten in der Nähe findet, können mit Sicherheit nur ganz wenige Menschen dorthin reisen und noch viel weniger werden dort ankommen und überleben. Für die große Mehrheit der aktuellen und künftigen Generationen gilt schlicht und einfach, dass es keine zweite Erde gibt, auf der wir leben können. Viel wahrscheinlicher und prognostizierbar sind klimatische Entwicklungen und die mit ihnen einhergehende Veränderungen unserer Lebensbedingungen. Diese Prognosen zeichnen ein düsteres Bild. Man kann den Kopf in den Sand stecken und sagen, dass man da nichts machen kann oder dass die Klimakrise gar nicht real ist. Durch eine solche Ignoranz reduziert man die Komplexität mit einem Schlag, die uns heute mit der Klimaproblematik entgegentritt. So mancher Politiker ist mit dieser Form von Propaganda erfolgreich. Doch Ignoranz ist als Mittel zur Beherrschung von Komplexität eine mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödliche Strategie!
Was kann man tun? Meines Erachtens müssen wir das Problem an der Wurzel anpacken. Es ist wichtig, in vielen Detailbereichen alles zu tun, was wir tun können. Doch auf einer sehr fundamentalen Ebene erscheint mir ein anderer Schritt unvermeidbar. Wir müssen aus unserem konstruktivistischen und technomorphen Denken heraus und in ein systemisches und evolutionäres Bewusstsein hinein. Wir müssen also nicht nur unser Denken und Tun adaptieren, sondern insbesondere unser Bewusstsein verändern und unser organisches und evolutionäres Sein begreifen.
Der Mensch ist ein geschickter Mensch. Durch seinen aufrechten Gang, der ihn von allen anderen Lebewesen auf dieser Welt unterscheidet, wurden seine Hände frei, um unter Nutzung einer Auge-Hand-Koordination Werkzeuge in unglaublich kreativer Art und Weise einzusetzen. Diese Entwicklung hat unseren Intellekt gestärkt und wir sind zu grandiosen Konstrukteuren und Technikern geworden. Wir bauen Werkzeuge, Maschinen, Anlagen, Bauwerke und virtuelle Räume in einem rasanten und ungeheuren Ausmaß. Wir verändern die äußere Welt in atemberaubender Geschwindigkeit. Doch gleichzeitig sind wir dabei, uns selbst zu maschinieren und uns in virtuelle Welten davon zu stehlen, die nichts anderes als eine andere erwünschte und erhoffte Außenwelt sind. Wir versäumen in weiten Bereichen, unsere Innenwelt zu betreten und das achtsam wahrzunehmen und uns bewusst zu machen, was schon da war, bevor wir begonnen haben, in diesem gewaltigen Ausmaß eine neue Welt zu konstruieren und aufzubauen. Wir sind geblendet von unserem eigenen Fortschritt und betört von unserer eigenen Wirkmächtigkeit. Dabei scheinen wir die Grenzen unserer Freiheit und Autonomie aus den Augen zu verlieren. Ein wunderbar beflügelter Intellekt verliert mehr und mehr die Bodenhaftung und die Verbindung zu seiner eigenen Herkunft. Er hält sich in anmaßender Weise für das Ganze und konstruiert immer mehr Scheinwelten, die sich von den organischen und evolutionären Grundstrukturen weiter und weiter entkoppeln und eine sich selbst reproduzierende und perpetuierende Realität schaffen, die wir für unser wahres Wesen halten, was es aber gar nicht ist. Wir halten unsere wirkmächtige konstruierende Hand für den ganzen Menschen und die uns umgebende Natur für den Kühlschrank, die Spielwiese und Müllhalde, die wir für unser Handeln und Wirken benötigen. Doch die Natur ist weder ein Kühlschrank noch eine Spielwiese oder Müllhalde. Die Natur ist das lebendige, organisch gewachsene und sich in einem evolutionären Prozess befindliche dynamische Metasystem, dem wir durch eine Vielzahl von adaptiven Verbindungen unsere biologische menschliche Existenz verdanken. Die Natur ist unsere Mutter, die uns ernährt und erhält. Wir können uns keine neue Welt errichten, die unabhängig von Mutter Natur ist. Wir können nur eine Welt errichten, die auf den Grundlagen der Natur aufbaut. Ohne Berücksichtigung der Natur als Fundament unseres Seins, bauen wir statt auf festem Felsen auf instabilen Sand. Daher müssen wir die Natur verstehen. Wir müssen sie beobachten, erforschen und sie erkennen. Das ist kein Denken, sondern ein achtsames Beobachten und Gewahrsein, das ein Bewusstsein von der Welt hervorbringt, nicht so wie wir uns die Welt denken und sie uns in unserem Verstand zusammenbauen, sondern so wie die Welt tatsächlich ist. Unser Intellekt konstruiert nämlich nicht nur in der Außenwelt, er konstruiert auch in der Innenwelt und schafft Abbildungen, Konzepte und Vorstellungen, die seinen persönlichen und beschränkten Erfahrungen entsprechen und vielfach weit davon entfernt sind, das Sein so zu erfassen, wie es wirklich ist. In Wahrheit gibt es keinen Unterschied zwischen der konstruierenden Hand und dem konstruierenden Intellekt. Sie entstehen gemeinsam und bedingen sich gegenseitig.
Die Herausforderung liegt also darin, uns bewusst zu machen, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem, was wir konstruieren und technisch erschaffen und dem, was uns selbst hervorbringt und am Leben erhält. Neben der konstruierenden Hand des Machers benötigen wir eine gleichberechtigte sorgende Hand, die sich um die Grundlagen unseres Seins kümmert. Neben dem aktiven Geist, der sich selbst verwirklichen will und das WERDEN im Fokus hält, benötigen wir einen passiven Geist, der die organisch-bildenden Kräfte der Natur erkennt und in unserem tiefen SEIN verwurzelt ist. Dieser Geist ist rezeptiv und versteht, dass das Leben jenseits unserer Konzepte, Vorstellungen, Hoffnungen und Wünsche seine eigene Bewegung, seinen eigenen Rhythmus und seine eigene Dynamik hat. Nur wenn wir unsere eigene Bewegung mit dieser kosmischen und natürlichen Bewegung abstimmen, entsteht eine Balance, die uns Freiheit zum WERDEN und Sicherheit zum SEIN gibt. Dann fußt unsere eigene Existenz auf einem lebensfähigen System, das wiederum selbst lebensfähig ist. Unsere Autonomie muss beschränkt werden durch die Lebensfähigkeit jener Systeme, die unser Überleben sichern. Wenn wir unsere Autonomie zu weit treiben und damit die Lebensfähigkeit der Metaebene gefährden, gefährden wir unser eigenes Überleben, zerstören wir unsere eigene Existenz. Wir sägen sprichwörtlich jenen Ast ab, auf dem wir sitzen.
