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Beschreibung lebensfähiger Systeme in Anlehnung an das Viable System Model (VSM) von Stafford Beer
Gesamte Inhalte: © Dr. Christoph Paul Stock
Die stiefmütterliche Behandlung der Intuition
Ein System ist in sich selbst eine Abstraktion. Niemand kann einem System die Hand schütteln, mit ihm auf ein Bier gehen oder eine Therapiesitzung machen. Wenn man also für Systeme arbeiten will, muss man lernen, mit diesen Abstraktionen umzugehen. Systeme kommunizieren, teilen ihre Probleme mit und zeigen auch auf, wenn sie krank sind. Natürlich sehen die Kommunikation und Interaktion von Systemen völlig anders aus als jene von Personen. Deshalb sind sie aber nicht weniger real. Eine Familie, in der es Missbrauch und Gewalt gibt, die im Verborgenen sich entfalten, zeigen nicht nur persönliche Verhaltensmuster und Anlagen einzelner Personen auf, sondern auch ein fundamentales systemisches Problem. Eine hohe Fluktuation bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kann gepaart mit schlechten Bewertungen auf Internetplattformen und einer schwachen Bewerberlage auf ein gravierendes Problem in einem Unternehmen hinweisen, auch wenn jede Kündigung ihre persönlichen Motive und Gründe haben wird. Eine hohe Inflation, eine sinkende Wirtschaftsleistung und eine steigende Anzahl an Protesten und politischen Kundgebungen, die teilweise in Gewaltexzessen enden, werden auf bedenkliche Entwicklungen in einem Land hinweisen, auch wenn vielleicht der Großteil der Bevölkerung die Entwicklungen in den persönlichen und finanziellen Verhältnissen noch nicht spürt. Neben der Herausforderung, das Eigenleben von Systemen zu erkennen und ihre Sprache zu verstehen, stellt sich auch die Anforderung, wie man mit dem System umgehen kann. Welche Steuerungs-, Koordinierung-, Regulierungsformen gibt es, die effektiv eingesetzt werden können. Dabei funktionieren diese Instrumente der Einflussnahme jedenfalls anders als jene die wir im persönlichen Kontakt mit anderen Menschen nutzen. Es steht uns keine Person, sondern eine Abstraktion gegenüber. Die Verhaltensweisen lassen sich nicht wie bei Personen charakterisieren, sondern nur abstrakt in archetypischen Bildern erfassen. Ein konkretes Verhalten lässt sich nicht einfach beobachten, sondern nur durch die Beschreibung abstrakter Szenarien und Abläufe erkennen. Das Denken, Fühlen und Empfinden reichen nicht mehr aus. Es braucht ein Intuieren, um der Komplexität der systemischen Lebendigkeit näher kommen zu können. Bestimmte Muster der Organisation und Kontrolle werden für das Funktionieren eines Systems und die Diagnose seiner Probleme entscheidend. Wir müssen die Fähigkeit entwickeln, ein System in seiner Ganzheit wahrzunehmen. Wir müssen seine Struktur und die Interaktionen zwischen den einzelnen Systemteilen bzw. Subsysteme verstehen. Hier kann sich erschließen, in welcher Interaktion bestimmte Muster produziert und immer wieder perpetuiert werden. Das bedeutet nicht, dass die Sammlung und Auswertung von Detailinformationen nicht von Bedeutung wären. In vielen Fällen geben sie deutliche und wichtige Hinweise auf bestimmte Problemlagen. Doch oft sind solche Problemlagen nur Ausdruck eines Symptoms und das Verständnis der dahinter liegenden Krankheit bleibt verborgen und unerkannt. Es werden Symptome behandelt und es stellt sich vielleicht sogar eine Verbesserung ein. Doch mit der Zeit kehren die alten Problemlagen zurück. Die Symptome haben sich vielleicht geändert, das grundlegende Problem aber nicht, weil die Interaktionen innerhalb des Systems noch immer die gleichen Muster generieren. Das System hat die Eigenschaft, sich selbst zu Programmieren. Erfahrungen und Verhaltensweisen, die vermehrt auftreten und mehrfach wiederholt werden, haben die Tendenz, wieder und wieder genutzt zu werden. Es entsteht eine bestimmte Kultur, eine bestimmte Politik, ein bestimmtes bevorzugtes Denken, Fühlen und Handeln. Zusätzlich werden diese bevorzugten Wahrnehmungs- und Verhaltensmodi vielfach durch eine Verbesserung der Bezahlung und durch Beförderungen belohnt und damit weiter gestärkt. Bestimmte Muster werden als normal und andere als systemstörend empfunden. Doch Normalität ist hier nur ein anderes Wort für Konditionierung. Das Normale ist dann das bestehende Musterprogramm, das begonnen hat, sich selbst zu verteidigen und sich gegen Adaptionen zu immunisieren. Das ist so lange kein Problem, als diese Muster für das Funktionieren des Gesamtsystems von Vorteil sind. Schwierig wird es aber, wenn es diese Muster sind, die aus einem früheren Wettbewerbsvorteil einen Wettbewerbsnachteil machen, ein System nicht mehr ausbalancieren und stabilisieren, sondern zu Oszillationen und Destabilisierung beitragen und nicht mehr friktionsfreie Abläufe, sondern Streit, Konflikt und Auseinandersetzung mit sich bringen. Dabei sind Konflikte nicht als unbedingt schädlich zu betrachten. Sie sind Hinweiszeichen auf grundlegende Problemlagen und können helfen, alte Muster nicht nur zu erkennen, sondern auch zu überwinden. Schlimm wird es dann, wenn aus einem heißen Konflikt, in dem auch ein großes Änderungspotenzial steckt, ein kalter Konflikt wird, der dauerhaft Fronten verhärten lässt und a la longue zu einem gravierenden Schaden im System führt. Gewohnheiten, die sich aus der gegebenen Programmierung ergeben, können sich so in eine fatale Abwärtsspirale entwickeln, die sich selbst verstärkt und damit den Abstieg weiter beschleunigt.
