K O N T A K T

Beschreibung lebensfähiger Systeme in Anlehnung an das Viable System Model (VSM) von Stafford Beer
Gesamte Inhalte: © Dr. Christoph Paul Stock
KAPITEL 5: VARIETÄT ALS KYBERNETISCHER AUSRUCK FÜR VIELFALT
In der Kybernetik wird die Vielfalt von möglichen Zuständen, die ein System annehmen kann, als Varietät bezeichnet und beschrieben. Mathematisch betrachtet, hat ein Lichtschalter z.B. eine Varietät von 2 (ein und aus). Bei einem Zahlenwürfel liegt die Varietät eines Wurfes bei 6, je nachdem auf welcher Seite der Würfel nach dem Wurf zu liegen kommt.
In den beschriebenen Fällen ist die Varietät sehr gering. Es gibt viele Systeme, die eine Varietät aufweisen, die in ihrer Summe nicht mehr beobachtet, wahrgenommen oder kognitiv verarbeitet werden kann. Laufen in einem Film 24 Bilder in der Sekunde durch einen Projektor, können die einzelnen Bilder nicht mehr gesondert wahrgenommen werden. Aus den statischen Bildern wird ein bewegtes Bild. Kleine Details und unscheinbare Elemente der Einzelbilder werden ausgefiltert und verbleiben unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Selbst ein völlig sachfremdes Bild, das in die Reihe der Bilder integriert wird, kann nicht mehr bewusst ausgemacht werden.
Die Varietät wächst exponentiell mit der Größe von Organisationen, Systemen und Unternehmen, wodurch sich eine enorme Komplexität an Beziehungen und Interaktionen ergibt. In Systemen wie dem Wetter oder den Strömungsverhältnissen in den Ozeanen wächst die Varietät für uns praktisch zu einer Unendlichkeit an. Um irgendwie mit dieser riesigen Varietät umgehen zu können, filtert unsere Wahrnehmung einen Großteil der Informationen aus und „dämpft“ damit die Varietät. Was irrelevant erscheint wird ausgeblendet. Setzen wir diese Dämpfungsmechanismen aber zu sorglos, unbewusst und achtlos ein und verlassen wir uns zu sehr auf eine konditionierte Wahrnehmung früher gemachte Erfahrungen bzw. auf bestimmte soziale Erwartungen und Muster, ist die Gefahr groß, dass uns eine solche Ignoranz in die Irre führt und uns zu groben Fehlentscheidungen verleitet. Plötzlich fehlen entscheidende Informationen, die Grundvoraussetzung für ein effektives und erfolgversprechendes Vorgehen sind.
Die Evolution hat mit der Entwicklung unseres hoch komplexen Gehirns ein neuronales Netzwerk mit unzähligen Kombinationen und Ebenen geschaffen, das in den meisten Lebenssituationen in der Lage ist, Strategien, Taktiken und kognitiv gesteuerte Verhaltensmuster zur Verfügung zu stellen, die es uns erlauben, mit der oft unerwarteten Vielfältigkeit des Lebens, der wir in unterschiedlichen Umweltkonstellationen begegnen, umzugehen. Die Natur begegnet der Komplexität also nicht mit einfachen Antworten oder einer Art von Schwarz-Weiß-Malerei, sondern mit einem ebenfalls hoch komplexen System, das in der Lage ist, es mit der Komplexität des Lebensumfeldes aufzunehmen. Komplexität wird also durch Komplexität absorbiert.
