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Gesamte Inhalte:

© Dr. Christoph Paul Stock

 

A) DAS PERSÖNLICHKEITSRECHT UND DIE NATURRECHTSLEHRE

                                                                                                   

Die Schwierigkeit, ein “allgemeines Persönlichkeitsrecht” zu fassen, liegt einerseits in der Wesensvielfalt der Persönlichkeit, ihres inneren Reichtums, ihrer vielschichtigen geistigen Schöpferkraft und ihrer Eigenart und Originalität. Auf der anderen Seite ist es der Widerstreit zwischen Vertretern der Lehre einer historischen Schule[1]), die das Naturrecht als übergeordnete, objektive Norm ablehnen und den Naturrechtsvertretern, die das Recht nicht als Machwerk der Menschen ansehen und den Machthabern die Stellung als Rechtsschöpfer bzw. Rechtsgebern abstreiten. Für Letztere ist der Gesetzgeber ein Organ, ein anwendender Erklärer der rechtlichen Vernunft.[2])

Die persönliche Entscheidung für eine der hier angeführten Rechtsansichten wird nötig sein, um eine klare Linie für die Auseinandersetzung mit den historischen Ansätzen des Persönlichkeitsrechts zu haben. Aus diesem Grund soll hier eine Argumentation versucht werden, die dem Naturrecht in Bezug auf das Persönlichkeitsrecht den Vorzug vor einer rein positivistischen Sichtweise gibt.

Es mag hier vorausgestellt werden, dass es sicherlich keine historische Theorie gibt, die absolut befriedigend sein kann und keinerlei Angriffsflächen hätte. Doch erscheint die Naturrechtslehre als eine Theorie, die ausgelöst durch meist schmerzliche Erfahrungen der Ungerechtigkeit während verschiedener Kriege und Umwälzungen, nach besonders befriedigenden Lösungen sucht. Man denke hier an die besonders ausgeprägte Naturrechtsströmung nach dem Dreißigjährigen Krieg, in der die Sehnsucht nach einer der menschlichen Willkür entrückten, dauerhaften, auf der im Menschen angelegten göttlichen Natur gegründeten Lösung gesucht wurde. Vertreter der damaligen Naturrechtsschule waren Persönlichkeiten wie Hugo Grotius, Gottfried W. Leibniz und Samuel Puffendorf. Durch diese Naturrechtsströmung wurde die Folter abgeschafft, die Hexenprozesse eingestellt und die drakonischen Strafen, die noch unter Maria Theresia gang und gäbe waren, gemildert.[3]) Auch die Grauen des Zweiten Weltkriegs, nach Hitlerterror, Auschwitz und Millionen Toten führten zu einer Wiedergeburt der Naturrechtsströmung, die im Bonner Grundgesetz ihre größte Leistung erbracht hat.[4])

Das Persönlichkeitsrecht findet im ABGB wohl seine weitläufigste Ausgestaltung. Hier gibt es eine ganze Reihe von besonderen Persönlichkeitsrechten, die wegen ihrer Bedeutung vom Gesetzgeber positiv umschrieben in das ABGB aufgenommen wurden und eine Generalklausel im § 16 ABGB, die auf die angeborenen Rechte des Menschen, die schon durch die Vernunft einleuchten, abzielt und die Möglichkeit bietet, neue Persönlichkeitsrechte zu schaffen. Dieser § 16 ist eine Kernstelle des von Naturrecht durchflossenen ABGB. Es waren besonders zwei Persönlichkeiten, die das ABGB durch Naturrechtsgedanken bereicherten: Freiherr von Martini, der neben Sonnenfels besonders für die gewählte und ausgeklügelte Sprache des ABGB verantwortlich zeichnet und Franz Zeiller.

Schon bei der Erstellung des “Codex Theresianus” wurde auf Grundsätze des Naturrechts zurückgegriffen. Oberstes Prinzip des Naturrechts ist die persönliche Freiheit, “eines von jenen unschätzbaren Gütern, so nicht weiter zu verschränken, als es das gemeine Wohl erfordert”; deshalb verlangt es die Billigkeit, “jenes vorzuziehen, was der natürlichen Freiheit am allerwenigsten entgegen ist”. Als weiterer naturrechtlicher Grundsatz wird angeführt, dass “niemand an seinen Nutzen und Gemächlichkeit, so er ohne des andern Nachteil suchet, behindert” werden dürfe. Als weiteren Hauptpunkt des Naturrechts stellte man die Regel auf, dass niemand mit dem Schaden eines anderen bereichert werden dürfte.[5]) Aus diesen Prinzipien, aus denen man glaubte alles ableiten zu können, konnten natürlich kaum praktische Rechtsgestaltungselemente entnommen werden. Doch sie zeigen die Bedeutung des Naturrechts in der Kodifikationsgeschichte des bürgerlichen Gesetzbuches.

Auf eine Initiative Zeillers geht es zurück, dass sich der § 16 im ABGB befindet. Er meinte, man solle, um “allen Missdeutungen, besonders der auswärtigen, vorzubeugen, an einem schicklichen Ort der Einleitung sagen: dass von der obersten Macht sowohl die angeborenen Rechte, die jedem durch die Vernunft bekannt sind, als auch die erwerblichen durch die Gesetze gesichert werden. Dadurch wird zugleich der Grund angegeben, warum man die angeborenen Rechte nicht aufzuzählen brauchte”. Einer zarten Rücksichtnahme auf das Ausland verdanken wir also die Anerkennung der angeborenen Menschenrechte im § 16 ABGB.

An diesem Beispiel lässt sich erkennen, dass die Naturrechtsgedanken oft von einer gewissen Oberflächlichkeit in Bezug auf den Inhalt und einer gewissen Sorglosigkeit, die im Gesetzestext oft gern bereit ist, eine präzise Fassung des Gedankens einem sprachlichen glatten Ausdruck zu opfern, gekennzeichnet ist. Doch zeigt sich an der noch heute umfangreichen Anwendbarkeit der ursprünglichen Normen des ABGB, dass eine flexible Terminologie und eine sich nicht in Einzelheiten zerfransende Systematik Grundlage sind für eine große, langwährende Kodifikation. Sie sind Grundlage für eine Entwicklungsfähigkeit unter geänderten Voraussetzungen. Doch ist es auch ein Beweis dafür, dass die oft schwer fassbare Naturrechtslehre in ihren Grundfesten den Zeitveränderungen viel länger Stand zu halten vermag, als dies bei rein positivistischen Überlegungen der Fall sein kann.

Versuchen wir, uns nun dem Begriff des “Persönlichkeitsrechts” durch eine hermeneutische Sichtweise zu nähern:

Von einer philosophischen Betrachtung der Grundvoraussetzung des menschlichen Rechtsgefüges ausgehend, meint Kant: “Das Recht sei das Verhältnis der Willkür des einen zur Willkür des anderen, bei dem es nicht auf die Materie, das ist den Zweck, sondern nur auf die Form der beiderseitigen Willkür ankomme, nämlich darauf, ob sich die Handlung eines von beiden mit der Freiheit des anderen nach einem allgemeinen Gesetz zusammen vereinigen lasse. Das angeborene Recht sei nur Freiheit, sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht.”[6])

Die Beziehung der Person unterzieht Kant ebenfalls einer genauen Analyse. Neben dem Sachenrecht, dessen Wesen er nicht in der gesetzten Beziehung von Person und Sache sieht, sondern im Verhältnis von Person zu Person in Bezug auf die Sache[7]), unterscheidet er noch das persönliche Recht, unter dem er den Besitz der Willkür eines anderen als Vermögen, sie durch eigene Willkür nach Freiheitsgesetzen zu einer gewissen Tat zu bestimmen, versteht[8]), und das auf dingliche Art persönliche Recht, nämlich das Recht des Menschen, eine Person außer sich als das seine zu haben.[9])

Schließlich fordert Kant auch die Anerkennung der geistigen Beziehung der Persönlichkeit zu ihrem Werk durch ein Verbot des Büchernachdrucks[10]), was sein Verständnis für die Wertigkeit immaterieller Güter bescheinigt und ihn zu einem Vorreiter bezüglich der Anerkennung von Persönlichkeitsrechten macht.

Wilhelm von Humboldt schreibt zur Eigenart der Persönlichkeit als höchsten Wert: “Der wahre Zweck des Menschen – nicht der, welchen die wechselnde Neigung, sondern welchen die ewig unveränderliche Vernunft ihm vorschreibt – ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen. Zu dieser Bildung ist Freiheit die erste und unerlässlichste Voraussetzung.”[11])

Nach Regelsberger ist das Persönlichkeitsrecht das “erste und vornehmste aller Privatrechte, es umfasst die höchsten Güter der Menschen”[12]), nach Otto von Grieke ist es ein “subjektives Recht und muss von jedermann anerkannt und geachtet werden. Es ist das einheitliche subjektive Grundrecht, das alle besonderen subjektiven Rechte fundamentiert und in sie alle hineinreicht...”.[13]) Der Neuhegelianer Josef Kohler meint: “Das Recht an der eigenen Person oder Persönlichkeit muss der Ausgangspunkt einer jeden Rechtsordnung sein; denn jedes Recht bedarf eines Rechtssubjekts, und wer Rechtssubjekt ist, muss als Persönlichkeit den Schutz des Rechts finden...”.[14]) Schließlich bezeichnet Zeiller das Recht der Persönlichkeit als das “Urrecht, die Würde eines vernünftigen, freihandelnden Wesens”.[15])

Für all diese Philosophen und Rechtsgelehrten ist das Persönlichkeitsrecht ein natürliches Recht, das dem Menschen ob seines Menschentums zukommt und das daher in jeder Rechtsordnung anerkannt werden muss.[16])

Die oben geschilderte Einwirkung der Naturrechtslehre in die frühen Kodifikationen des österreichischen bürgerlichen Rechts, besonders im Codex Theresianus, im Entwurf Martinis, dem Westgalizischen Gesetzbuch von 1797, auf das insbesondere Bezug genommen wurde bei der Erstellung des § 16 ABGB und § 7 ABGB (“... nach den natürlichen Rechtsgrundsätzen ...”)[17]), hat ebenfalls dazu beigetragen, das Persönlichkeitsrecht als Naturrecht anzuerkennen. Hier sei aus dem Westgalizischen Gesetzbuch ein Ausschnitt wiedergegeben, der einen großen Katalog an Persönlichkeitsrechten wiedergibt und durch seine sprachliche Schönheit besticht. Im § 29 des Westgalizischen Gesetzbuches heißt es: “Zu den angeborenen Rechten des Menschen gehören vorzüglich das Recht sein Leben zu erhalten, das Recht die dazu nöthigen Dinge sich zu verschaffen, das Recht seine Leibes- und Geisteskräfte zu veredeln, das Recht sich und das Seinige zu vertheidigen, das Recht seinen guten Leumund zu behaupten, endlich das Recht mit dem, was ihm ganz eigen ist, frey zu schalten und zu walten.”


Die Kodifikation des Persönlichkeitsrechts als Naturrecht bietet zusätzlich die Chance einer mutigen aber notwendigen Weiterentwicklung hin zu einem “allgemeinen Persönlichkeitsrecht”, das im nächsten Abschnitt beschrieben und untersucht werden soll. Vor allem ist aber noch einmal der Geist des ABGB in seiner Gesamtheit hervorzuheben. Es ist beseelt von einem exemplarischen Beispiel des Vernunftrechts, das der engstirnigen, historischen Sicht das Wort redet und dem Rechtspositivismus eine klare Absage erteilt. Die Großartigkeit des ABGB, seine Flexibilität und Offenheit für kulturelle, soziologische Veränderungen geben dem Gedanken des Naturrechts den Vorzug und lassen den Grundsatz “in dubio pro ratione”[18]) zum generellen Leitsatz der Rechtsentwicklung und Rechtsfortbildung werden.

Sicherlich hat Immanuel Kant ganz richtig erkannt, dass die praktische Vernunft nur Formen und Kategorien, nicht aber inhaltlich erfüllte und anwendungsfähige Sätze schaffen kann. Montesquieu[19]) hat ebenfalls Recht mit seiner Behauptung, dass alles Recht zeitlich und räumlich individualisiert ist und daher bestimmte Verhältnisse vorausgesetzt werden müssen und gleichzeitig diese wiederum einem steten Wandel unterliegen.[20]) Doch im Vergleich zur starren historischen Sicht erscheint mir die verstärkte Flexibilität einer Naturrechtslehre, auch auf Kosten einer gewissen Rechtsunsicherheit, die sich im Einzelfall als die bessere, weil oftmals gerechtere Lösung herausstellt, attraktiver zu sein.


 
[1]) Die Rechtshistorische Schule befasste sich vor allem, von der Gegenwart abgekehrt,
mit dem “reinen” römischen und dem alten deutschen Recht (Romanisten und Germanisten). Nach ihrer Grundanschauung, dass das Recht nicht freie Schöpfung eines weisen Gesetzesgeber sei, dass es natürlich wachse, nicht künstlich geschaffen werde, hatten sie für die großen Kodifikationen ihrer Zeit nichts übrig; sie erschienen ihnen der wissenschaftlichen Bearbeitung unwert. Ja, das anerkannte Oberhaupt der Rechtshistorischen Schule, Carl F. v. Savigny, sprach seiner Zeit den “Beruf für Gesetzgebung” ab, obwohl er selber aktiv an der preußischen Gesetzgebung beteiligt war und größtes legistisches Interesse zeigte.
[2]) Wellspacher, Das Naturrecht und das ABGB, in Festschrift zur Jahrhundertfeier des ABGB II (1911) 182; Zeiller, Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch I (1811) § 16 Anm 1.
[3]) Es sei hier auch zu erwähnen, dass der Naturrechtscharakter des § 16 ABGB besonders bei der Argumentation zur Abschaffung der Sklaverei herangezogen wurde und somit eine praktische Anwendung schon im letzten Jahrhundert abseits der positiv verankerten speziellen Persönlichkeitsrechte gefunden hat; dazu vergleiche: Zeiller, Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch I (1811) § 16 Anm 1; Wolff in Klang, Kommentar zum ABGB I 131.
[4]) Gschnitzer, Allgemeiner Teil2, 11
[5]) Wellspacher, Das Naturrecht und das ABGB, in Festschrift zur Jahrhundertfeier des ABGB II (1911) 176.
[6]) Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre IV (1907) 230 (herausgegeben von der Preußischen Akademie der Wissenschaften).
[7]) Kant, Metaphysische Anfangsgründe 260.
[8]) Kant, Metaphysische Anfangsgründe 271; er meint damit das Forderungsrecht.
[9]) Kant, Metaphysische Anfangsgründe 358; er meint damit das Eherecht, das Elternrecht und das Hausherrenrecht.
[10]) Kant, Metaphysische Anfangsgründe, 290; dazu wäre auch zu erwähnen: Kant, Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks (1785) 403 ff (erschienen in der Berlinischen Monatsschrift).
[11]) Humboldt, Die Grenzen der Wirksamkeit des Staates 27.
[12]) Regelsberger, Pandekten I (1893) 18.
[13]) Grieke, Deutsches Privatrecht I (1895) 702 ff.
[14]) Kohler, Das Eigenbild im Recht (1903) 5.
[15]) Zeiller, Natürliches Privatrecht3 (1819) 65.
[16]) Zeiller, Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch I (1811) § 16 Anm 1.
[17]) Gschnitzer, Allgemeiner Teil2, 17.
[18])Gschnitzer, Allgemeiner Teil2, 18.
[19]) Montesquieu, l´Esprit des lois (1748).
[20]) Gschnitzer, Allgemeiner Teil2, 12.
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