
K O N T A K T

Gesamte Inhalte:
© Dr. Christoph Paul Stock
cc) Historische Auslegung
Die historische Auslegung erschließt als Auslegungsmaterial die dem Gesetz selbst nicht (zureichend) entnehmbaren Vorstellungen, Wertungen und Zwecke, die für dieses kausal waren, soweit sie mit den Mitteln historischer Forschung feststellbar sind. “Verwertbar sind der rechtliche faktische Zustand vor der Erlassung der auszulegenden Norm, der Kontext mit den übrigen Normen der historischen Rechtsordnung bei Erlassung des Gesetzes, sein Anlass, wissenschaftliche Vorarbeiten und vor allem die ‘Gesetzesmaterialien’.”[1]) Zu den Gesetzesmaterialien sind Entwürfe zum schließlich erlassenen Gesetz, Protokolle über fachliche bzw parlamentarische Beratungen, erläuternde Bemerkungen zu Regierungsvorlagen, Ausschussberichte etc zu zählen.
Nun kann entweder versucht werden, aus dem beschriebenen Material zu ermitteln, welche Vorstellungen dem Gesetz in Bezug auf ein gerade gestelltes Sachproblem zugrunde liegen, also den spezifischen Sprachgebrauch des Gesetzes festzustellen, oder es kann im Sinne einer historisch - teleologischen Auslegung versucht werden, orientiert an den Wertungen und Zwecken, die mit der Erlassung des Gesetzes realisiert werden sollten, Klarheit über den Inhalt des Gesetzes zu schaffen.[2])
Da es sich bei § 16 ABGB um eine Generalklausel handelt, wird eine historisch - teleologische Untersuchung am vernünftigsten sein.
In den frühen Kodifikationen des österreichischen bürgerlichen Rechts, besonders im Codex Theresianus und im Entwurf Martini, dem Westgalizischen Gesetzbuch von 1797, war noch ein Katalog angeborener Rechte enthalten, den die Redaktoren des ABGB teils aus politischen, teils aus systematischen Gründen nicht übernommen haben und damit von einer Aufzählung angeborener Rechte abgesehen haben.[3]) Grundsätzlich verstanden die Redaktoren den § 16 ABGB in inhaltlicher Sicht nicht anders als seine Vorläufer.[4]) Daher ist der § 16 ABGB im Sinne der früheren Kodifikationen zu konkretisieren. Insbesondere aus § 29 des Westgalizischen Gesetzbuches und aus einer Aufzählung Zeillers[5]) kann man schließen, dass mit angeborenen Rechten jedenfalls auch der Schutz der Rechtsgüter Leben, Freiheit, Körper und Ehre gemeint ist.
Für die Redaktoren haben sich die angeborenen Rechte aus dem Naturrecht ergeben.[6]) Zeiller hat das “Urrecht der Persönlichkeit” aus der präpositiven menschlichen Vernunft abgeleitet. Für uns hat dieser Bezug auf das Naturrecht nur dahingehend eine Bedeutung, dass dadurch offensichtlich wird, dass eine gewisse Flexibilität in der Ausgestaltung der angeborenen Rechte im Sinne der Redaktoren gelegen war. Für unsere heutige Situation ist es nicht besonders bedeutend, wie man zur Naturrechtsfrage steht, weil § 16 kein diesbezügliches Bekenntnis verlangt. Der von den historischen Schöpfern dem ABGB beigegebene flexible Rechtsgüterschutz ist durch die positive Anordnung des § 16 ABGB zu einer normativen Kategorie geworden, die überdies im Rechtsgüterschutz des Zivilrechts und in den fundamentalen Grundwertungen der Verfassung (StGG, MRK) eine weitere Verfeinerung erfahren hat.
Zusätzlich wird aus einer historischen Betrachtung erkennbar, dass § 16 ABGB nicht bloßer Programmsatz ist, sondern Zentralnorm unserer Rechtsordnung. Schon Zeiller[7]) hat das Recht der Persönlichkeit als das “Urrecht, die Würde eines vernünftigen, freihandelnden Wesens” bezeichnet.[8]) Es wird die Persönlichkeit als Grundwert anerkannt.[9]) In einem solchen Sinn ist eine weitere Differenzierung des Rechtsgüterschutzes erforderlich, um dem Stellenwert der Bestimmung gerecht zu werden. Auch hier ist ein Rekurs auf das Naturrecht verzichtbar, weil angesichts der “Offenheit” des § 16 ABGB[10]) durch Interpretation und Lückenfüllung im Rahmen positiver Wertungen, eine Differenzierung erreicht werden kann. “Denn auch zur Gretchenfrage der Reichweite der Rechtsgüter und der Rangordnung im Kollisionsfall weiß das Naturrecht auch nur zu sagen, dass ihre Beschränkbarkeit aus der ‘rechtlichen Vernunft’ einleuchtet[11]).”[12]) Zeiller selbst hat die Wertlosigkeit der aus dem “Urrecht” abgeleiteten Rechte betont, wenn nicht Mittel der Rechtsdurchsetzung vorhanden sind.[13]) Das ABGB hat aber ein System organisierter staatlicher Rechtsdurchsetzung positiviert. Daher kann man § 16 ABGB auch normativ deuten: Es ergibt sich, dass jeder Rechtsgenosse die Pflicht hat, die dem Rechtsgüterschutz innewohnenden Interessenbereiche nicht zu verletzen, andernfalls der Berechtigte sein subjektives Recht durch Klage aktivieren kann.[14])
Abschließend sei auch hier wiederum auf den Teil der Arbeit, der sich mit dem “allgemeinen Persönlichkeitsrecht” auseinandersetzt, verwiesen.