top of page
Lebensurbild%20Muster5_edited_edited.png

Gesamte Inhalte:

© Dr. Christoph Paul Stock

 

4) Gefährdung

 

Vermindert beim Verschulden der Aspekt der Vorwerfbarkeit die Schutzwürdigkeit der Interessen des Verschuldners, so vermindert bei der Gefährdung die zurechenbare Gefährlichkeit die Schutzwürdigkeit der Interessen.

Zwar wird durch das Gesetz eine allgemeine Gefährdungshaftung nicht anerkannt, aber es läßt sich aus den Regeln über die Gefährdungshaftung und die Gefahrtragung (zB bei Hinterlegung § 1425 ABGB; beim Schuldnerverzug § 918 ABGB; beim Kauf[1]) §§ 1064 und 1048 - 1051 ABGB) der allgemeine Achtungsanspruch ableiten, daß der Mensch sein Handeln so einrichten soll, daß daraus nicht eine Gefahr für fremde Güter entsteht. Handelt der Mensch entgegen diesem Achtungsanspruch, entspringt die Gefahr seinem beeinflußbaren und beherrschbaren Machtbereich, muß er sich eine Zurücksetzung seiner Interessen gefallen lassen.

In diesem Sinne haftet ein Besitzer eines Gebäudes[2]) – Haftung des Wohnungsinhabers = § 1318 ABGB: Haftung ohne Verschulden; Haftung für Bauwerke = § 1319 ABGB: nur Verschuldenshaftung aber Beweislastumkehr – oder ein Halter eines Tieres[3]) – § 1320 ABGB – wegen der Gefährlichkeit dieser Sachen schon für ein bloß vermutetes Verschulden. Entsprechendes gilt auch für den Gastwirt, der für die Gefahr des offenen Hauses einzustehen hat, und den Inhaber eines Radionuklids (§ 28 AtomHG). Zu beachten ist hier auch jeweils die Beweislastumkehr im Gegensatz zur allgemeinen Regel des § 1296 ABGB.

In diesem Zusammenhang ist auch das von der Rechtsprechung entwickelte Ingerenzprinzip[4]) (Verkehrssicherungsprinzip) zu erwähnen. “Nach diesem muss erstens jeder, der einen Verkehr eröffnet (zB auf Wegen oder in Gebäuden), im Rahmen des Zumutbaren die Verkehrsteilnehmer schützen oder zumindest warnen. Zweitens hat jeder, der eine Gefahrenquelle schafft oder in seiner Sphäre bestehen lässt, dafür zu sorgen, dass niemand geschädigt wird[5]).”[6])

Auch dort, wo jemand nicht fremde Interessen gefährdet, sondern seine eigenen einer Gefahr aussetzt, muss dies zu seinem Nachteil berücksichtigt werden.[7]) Auch hier ist § 1304 ABGB anzuwenden. Es wird die Größe der Gefährdung gegen das Mitverschulden des Geschädigten abgewogen.[8])

Zusätzlich muss aber beachtet werden, dass das Gefährdungsprinzip nicht überzogen werden darf. Ansonsten müssten immer alle Güter und Werte wie Museumsstücke behandelt werden, was zu einer Lahmlegung des Lebens führen würde, weil die Gefahr ein fester und nicht wegdenkbarer Bestandteil des inneren Substrats des Lebens ist. So kann durch einen besonders wertvollen Zweck eine Gefährdung von Rechtsgütern durch Handlungen, die zur Erreichung des Zwecks notwendig sind, gestattet sein. Dies gilt besonders für gefährliche Betriebe. Die erzielbaren Werte rechtfertigen die Gefährdung anderer Werte.[9])


[1]) Schilcher, Die Preisgefahr beim Kauf, JBl 1964, 410.
[2]) OGH in SZ 51/116; 53/143; vgl auch JBl 1986, 180; 1986, 523; ZVR 178/111.
[3]) OGH in SZ 45/126; OGH in JBl 1982, 494; 1982, 150; RZ 1984/14; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht2 II 405 f; Ehrenzweig, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts: Mayrhofer, Schuldrecht Allgemeiner Teil3 I (1986) 300.
[4]) Gschnitzer -Faistenberger - Barta - Eccher, Österreichisches Schuldrecht Allgemeiner Teil2 (1986) 8; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht2 II 57 ff; Scheffenacker, Die Verkehrssicherungspflicht, ZVR 1972, 97; OGH in ZVR 1975/114 und 159; SZ 49/154.
[5]) OGH in ZVR 1982/136; SZ 57/57.
[6]) Koziol - Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts8 I 415.
[7]) Hubmann, Grundsätze der Interessenabwägung, AcP 1956, 120.
[8]) Als Beispiel lässt sich hier das Nichtanlegen von Sicherheitsgurten erwähnen. Zu ermitteln ist das Mitverschulden an jenem Schaden, der durch das Anlegen vermieden worden wäre; für das Strafrecht vergleiche: OGH in SSt 54/21; 30/130; Steininger, ZVR 1985, 103.
[9]) Hubmann, Grundsätze der Interessenabwägung, AcP 1956, 120.
© Christoph Paul Stock | Wien | 2025 | All rights reserved!
lebensurbild_begriffswolke_6.png
bottom of page