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© Dr. Christoph Paul Stock

 

4) Das Entschädigungsprinzip

 

Ganz besonders schwierig wird die Lösung von Interessenkonflikten dann, wenn sich die Interessen gleichwertig und damit unausweichlich und unausgleichbar gegenüberstehen. Das Strafrecht löst solche Konfliktfälle einfach damit, dass es von der Rechtsordnung Neutralität verlangt. Im Zivilrecht sieht die Situation aber anders aus. Hier ist der Richter gezwungen zu Gunsten einer Partei zu entscheiden. In diesem Fall bleibt nur mehr die Möglichkeit, eine der Parteien zu bevorzugen und gleichzeitig die andere Partei für den dadurch entstehenden Nachteil zu entschädigen. Nur so kann das Gleichgewicht zwischen den Interessen erhalten bleiben.

Dabei wird wohl demjenigen Interessenträger der Vorzug zu geben sein, der eher in der Lage ist, die Entschädigung zu bezahlen.[1])

Durch das Benachteiligen eines Interesses kommt es zu einer an sich ungerechtfertigten Wertbevorzugung bzw Wertbenachteiligung, die gewisse Ähnlichkeiten mit der Bereicherung aufweist. Zwar handelt es sich bei der Bereicherung um eine ungerechtfertigte Vermögensverschiebung und nicht schlechthin um eine Wertbevorzugung bzw Wertbenachteiligung hervorgerufen durch den Entscheidungsnotstand eines Richters, aber die Ungleichgewichtung auf der Waagschale der Gerechtigkeit scheint doch dieselbe zu sein.

Interessante Anwendungsfälle lassen sich im Bereich des Eigentumsrechts erkennen. Es werden die Fragen nach der Entschädigung für Enteignung und nach Ausgleichszahlungen im Zusammenhang mit Immissionen aufgeworfen.

§ 365 ABGB ordnet für die Enteignung eine angemessene Schadloshaltung an. Zwar wird das Erfordernis der Entschädigung in Art 5 StGG (Unverletzlichkeit des Eigentums) nicht aufgestellt, weshalb der Verfassungsgerichtshof grundsätzlich der Meinung ist, dass eine entschädigungslose Enteignung nicht der Bundesverfassung widerspreche.[2]) Tatsache ist aber, dass fast alle Enteignungsgesetze entsprechende Vergütungen vorsehen. Es darf auch angenommen werden, “dass die Entschädigung dem Begriff der Enteignung in Art 5 StGG immanent ist”[3]). Dies ergibt sich schon aus dem historischen Enteignungsbegriff, dessen Inhalt durch § 365 ABGB geprägt ist.[4]) Auch der Verfassungsgerichtshof hat orientiert am Gleichheitsgrundsatz[5]) in besonders gelagerten Fällen eine Entschädigungspflicht festgestellt. Damit kann man annehmen, dass die Rechtsordnung den Gedanken des Entschädigungsprinzips anerkennt. Dies erscheint gerecht, weil es überaus schwierig ist, wirklich zu beurteilen, welches Interesse mehr wiegt, das Interesse der Öffentlichkeit oder das Interesse des Eigentümers an der freien Ausübung seines Eigentums bzw der Erhaltung seines Eigentums.

Als zweites Beispiel sei die Beeinträchtigung des Eigentums durch Immissionen erwähnt. Wurde mit behördlicher Genehmigung eine Anlage errichtet, deren Immissionen entsprechend dem genehmigten Ausmaß über dem ortsüblichen Maß liegt und die die Nutzung eines benachbarten Grundstücks wesentlich beeinträchtigt, so steht im Interesse der Wirtschaft dem gestörten Eigentümer kein Unterlassungsanspruch zur Verfügung, sondern nur ein Ersatz des zugefügten Schadens. Dies ist ähnlich, wie die Entschädigung wegen Enteignung, als besonderer Ausgleichsanspruch für den Eingriff aufzufassen (§ 364a ABGB).[6]) Auch hier ist es überaus schwierig zu beurteilen, welches Interesse gewichtiger ist. Daher ist auch nicht leicht zu entscheiden, ob es sich um einen Anwendungsfall des Ausgleichs- oder um einen Fall des Entschädigungsprinzips handelt. Sicher ist nur, daß sich fast alle dies Beispiele im Grenzbereich zwischen beiden Prinzipien bewegen, da die Interessenbewertung hier übermäßig stark von Bewertungsprinzipien abhängt, deren Inhalt unklare Konturen aufweist. Grundsätzlich stellt dies kein Problem dar, denn je geringer der Unterschied zwischen den Interessenlagen ist, desto näher kommt der quantitative Ausgleichsanspruch an den quantitativen Entschädigungsanspruch heran und wird wohl in den beiden vorstehenden Fällen praktisch ident sein. Das bedeutet, dass die Schadloshaltung wie bei der Enteignung der Höhe des tatsächlich berechneten positiven Schadens[7]) zu entsprechen hat und nicht auf Grund irgendwelcher Vorzugstendenzen vermindert wird.

Abschließend lässt sich also ganz allgemein sagen, “dass eine Entschädigungspflicht bei erlaubter Beeinträchtigung fremder Interessen besteht, wenn und soweit sie erforderlich ist, um das durch den Eingriff gestörte Wertverhältnis der Interessenlagen wieder herzustellen”[8]).


[1]) Hubmann, Grundsätze der Interessenabwägung, AcP 1956, 129.
[2]) VfGH in VfSlg 1123; VfSlg 2527; VfSlg 2680; Rechtsprechung des OGH: Brunner, Die zivilgerichtliche Rechtsprechung zur Enteignungsentschädigung, JBl 1975, 580; OGH in JBl 1977, 37.
[3]) Gschnitzer -Faistenberger - Barta - Eccher, Österreichisches Sachenrecht2 (1986) 127; Koziol - Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts8 II 84.
[4]) Adamovich - Funk, Österreichisches Verfassungsrecht3, 419 ff (424); Walter - Mayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechtes6, 407 f (409); vgl auch Aicher in Rummel, Kommentar zum ABGB, Rz 9 zu § 365.
[5]) VFGH in VfSlg 6884; VfSlg 7234.
[6]) OGH in SZ 48/15 und 45; SZ 55/172; OGH in SZ 48/15 und 45; SZ 55/172; Gschnitzer -Faistenberger - Barta - Eccher, Österreichisches Sachenrecht2 (1986) 67; Spielbüchler in Rummel, Kommentar zum ABGB, RZ 4 zu § 364a; Raschauer, Immissionsschutz im Gewerberecht und im Zivilrecht, ÖZW 1980, 7; Raschauer, “Daseinsvorsorge” als Rechtsbegriff? ÖZW 1980, 72.
[7]) Gschnitzer -Faistenberger - Barta - Eccher, Österreichisches Sachenrecht2 (1986) 127 (128); Brunner, Entschädigung im Enteignungsverfahren, NZ 1967, 88; Rummel - Schlager, Enteignungsentschädigung 82 ff; ÖJZ 1984, 317; OGH in SZ 55/56 und 133; EvBl 1987/79.
[8]) Hubmann, Grundsätze der Interessenabwägung, AcP 1956, 133.
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