
K O N T A K T

Gesamte Inhalte:
© Dr. Christoph Paul Stock
A) HISTORISCHE VORBEMERKUNG
Ein Einblick in die historische Entwicklung der Grundrechte lässt erkennen, dass ihr ursprüngliches Anliegen darin gelegen ist, bestimmte gefährdete Positionen gegen Übergriffe eines Souveräns zu schützen. So schrieben die Bill of Rights (1688) Regierungs- und Staatskompetenzen fest, die die Sicherung der Bürger gegen staatliche Übergriffe gewährleisten sollten. Hier wurden Rechte gefordert, die von den Stuarts, den damaligen Herrschern in England, verletzt worden waren. Ihr Inhalt war also an einer historischen Gefährdungslage orientiert, die sich an Streitsituationen zwischen gesellschaftlichen Schichten entzündete, hier insbesondere zwischen Adel und Bürgertum. Vor dem Hintergrund historischer Umbrüche und Umwälzungen wurde die Gunst der Stunde genutzt, um sich vom Joch der Beherrschung und des Despotismus zu befreien und eine neue Machtstruktur zu entwickeln, die unter dem Banner der Gerechtigkeit, besonders der Gleichheit aller Menschen Tribut zollen sollte. Wie weit dies im einzelnen gelungen ist, mag hier unbeachtet bleiben.
In diesen frühen Rechtskatalogen, zu denen wir neben den englischen Bill of Rights von 1688 auch die Bill of Rights von Virginia von 1776, die französische Erklärung der Menschenrechte von 1789 und die ersten zehn Amendments zur amerikanischen Unionsverfassung von 1791 zu zählen haben, wurden neben den typischen Grundrechten auch Grunddogmen des Staatsaufbaues festgeschrieben, wie die Lehre von der Volkssouveränität[1]), vom allgemeinen Staatszweck[2]) und von der Teilnahme des Volkes an der Gesetzgebung[3]).[4]) Alle diese Festschreibungen sollten den Staatsbürger vor dem übermächtigen Souverän schützen und eine Verschiebung der Machtverteilung erreichen. Es ging also weniger um die Erstellung eines Kultur- oder Wertsystems, als um die Veränderung politischer Gegebenheiten. Dies lässt sich auch daran erkennen, dass die frühen Grundrechtskataloge oftmals sehr wichtige Grundrechte gar nicht erwähnten.[5])
Durch die bürgerlichen Revolutionen in Europa wandelte sich aber mit der Zeit die Wertauffassung der Grundrechte. So befand sich zB in der von Ferdinand I erlassenen “Verfassungsurkunde des Österreichischen Kaiserstaates”, die nach dem Muster der belgischen Verfassung von 1831[6]) unter der Ägide des Innenministers Franz Xaver von Pillersdorf geformt, und nach ihm auch Pillersdorffsche Verfassung genannt wurde, eine Zusammenfassung “staatsbürgerlicher und politischer Rechte der Staatsbürger”, ein Grundrechtskatalog, der die im ABGB vorhandenen wenigen Grundrechte (vgl §§ 16, 18, 19, 20, 39) sehr bedeutend erweiterte und damit einem Hauptziel der Revolution entgegenkam.[7]) Dieser Grundrechtskatalog enthielt vor allem persönliche Grundrechte, wie die Gleichheit vor dem Gesetz, Glaubens- und Gewissensfreiheit, persönliche Freiheit, Schutz vor ungesetzlicher Verhaftung, Presse- und Redefreiheit, Brieffreiheit usw. In dieser Verfassung kommt besonders das Ziel zum Ausdruck, den Bürger vor der staatlichen Gewalt zu schützen. Die Grundrechte erhalten einen verstärkten Wertgehalt. Im Kräftespiel der nachrevolutionären Jahre, im Wechselspiel zwischen absoluter Herrschaft und Etablierungsversuch bürgerlicher Rechte, hat sich das Bewusstsein für die besonderen Werte von “Gleichheit”, “Freiheit” und “Brüderlichkeit” gerade durch immer wiederkehrende Rückschläge entwickelt. In diesem Sinne war zwar in der Dezemberverfassung von 1867 schon ein ansehnlicher Katalog von Grundrechten in 19 Artikeln enthalten[8]), der zum Teil auch heute noch gilt, aber der absolute Anspruch des Herrschers kam immer noch in einem Gesetz zum Ausdruck, das die Möglichkeit der zeitweiligen und örtlichen Suspendierung dem absoluten Herrscher einräumte.[9]) Somit repräsentierten die Grundrechte bis in unser Jahrhundert nicht nur ein sich langsam entwickelndes Wertsystem sondern auch ein Zeichen sich wandelnder politischer Verhältnisse.
Dass die Grundrechte heute ihren politischen Charakter zum Großteil verloren haben, erscheint einleuchtend, da die offensichtliche Allmacht des Staates in unseren modernen Demokratien nicht mehr gegeben ist und sich die Gefährdungen für den einzelnen Bürger gewandelt haben. Heute stellt sich ganz besonders die Frage, ob wir die Grundrechte als Teil eines Kultur- und Wertsystems erkennen dürfen.
Es ist aber auch zu fragen, ob ein solches Kultur- und Wertsystem direkt Anwendung finden kann, oder ob es sich bei den Grundrechten nur um programmatische Sätze[10]) handelt. Nimmt man die unmittelbare Anwendbarkeit der Grundrechte an, deren Faktizität durch eine umfangreiche Rechtsprechung der Verfassungsgerichtsbarkeit augenscheinlich wird, ist die Frage zu klären, “inwieweit diese unmittelbare Wirksamkeit in einem Staat, in dem die Gewaltenkonfusion immer größer wird, gefährdet ist. Als Möglichkeit des Einbruchs in die Grund- und Freiheitsrechte seien insbesondere hervorgehoben: der Vorbehalt des Gesetzes; die Anwendung der Theorie der sachlich gerechtfertigten Gründe, die die Durchbrechung der Grundrechte zulassen; unbestimmte Gesetzesbegriffe; die Normierung ‘freien Ermessens’ und die mit der Wandlung des modernen Staates zum Leistungsstaat zusammenhängenden Maßnahmen.”[11]) Diese Einbruchstellen führen zu der vieldiskutierten Frage der Drittwirkung von Grundrechten. Es spielt der Problemkreis herein, ob die Grundrechte direkt justiziable Rechte sein sollen, sie also unmittelbar Grundlage für subjektive private Rechtsansprüche des einzelnen sind oder zumindest über ihren Wertgehalt Einfluss auf das Privatrecht nehmen.[12]) Hier gibt es zwei Möglichkeiten der Einwirkung der Grundrechte auf das Privatrecht, nämlich eine unmittelbare Drittwirkung und eine mittelbare Wirkung derselben. Beide Wirkungen sind umstritten, wobei es gilt, wenn man dem Disput in der Lehre folgen möchte, sich für eine dieser beiden zu entscheiden.
Eine Entscheidung für oder gegen die Drittwirkung der Grundrechte muss für diese Arbeit aus folgenden Gründen als notwendig angenommen werden: Einerseits weil die Grundwertung des Persönlichkeitsrechts in der Wertschätzung der Persönlichkeit durch die Gesellschaft gelegen ist und andererseits eine solche Grundwertung im objektiven Sinn zu einem Gutteil aus den Regelungen der Verfassung gelesen werden kann, die im Bewusstsein der Bevölkerung – wenn auch unjuristisch und vage – als grundlegende Rechte empfunden werden. Die Verfassung spiegelt eben zu einem großen Teil die abendländische sittlich - kulturelle Geisteshaltung wieder. Gerade für das Persönlichkeitsrecht schlummern in der Verfassung wertvolle Auslegungselemente für die Ergründung der Persönlichkeit. Die Schwierigkeit ist nun, wie man diese Wertungselemente in das Privatrecht transformiert. Man ist also gezwungen für die inhaltliche Interdependenz[13]) des Persönlichkeitsrechts und der Grundrechte eine juristische Lösung zu finden. Eine solche Lösung soll in diesem Kapitel versucht werden.[14])