
K O N T A K T

Gesamte Inhalte:
© Dr. Christoph Paul Stock
C) ZUR VERANKERUNG DER PERSÖNLICHKEIT IM GRUNDRECHTSKATALOG
Unter diesem Punkt gilt es zu untersuchen, inwieweit die Persönlichkeit in der Verfassung, also der ranghöchsten Rechtsnorm, verankert ist. Denn geht man von der rechtshistorischen Ansicht aus, dass das Recht an der eigenen Person der Ausgangspunkt jeder Rechtsordnung ist, bzw das “Urrecht” schlechthin darstellt[1]), wie oben schon umfangreich erläutert wurde[2]), so wird man wohl annehmen dürfen, dass die Persönlichkeit in ihrer Gesamtheit im Verfassungsrecht geschützt ist. Der Platz einer solchen Verankerung im Verfassungsrecht wird wohl der Grundrechtskatalog sein, dessen Aufgabe es ist, die äußeren Güter und die äußere Stellung, sowie die inneren Werte und inneren Freiheiten des Menschen zu schützen.
Es mag bei der Zersplitterung des österreichischen Grundrechtskataloges[3]) nicht verwundern, wenn eine ausdrückliche Festschreibung der naturgegebenen Menschenwürde und der damit im Zusammenhang stehende Achtungsanspruch der Persönlichkeit in ihrer Gesamtheit nicht zu finden ist.
Der deutsche Grundrechtskatalog besitzt im Gegensatz zum österreichischen eine ausdrückliche Gewährleistung des “allgemeinen Persönlichkeitsrechts.” So besagt Art 1 GG: “Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.” Auf dieser naturgegebenen Menschenwürde baut das ganze Verfassungswerk auf.[4]) Diese Gewährleistung schafft nicht nur eine staatsfreie Sphäre des Individuums, sondern gewährleistet die ursprünglichen Rechte des einzelnen als vorstaatliche und überpositive Rechte, ja es schützt die Persönlichkeit in ihrer Gesamtheit.[5]) Der Art. 2 GG besagt weiters: “Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.” Diese Bestimmungen bedeuten die Anerkennung der Persönlichkeit selbst als eines Rechtsgutes.
Von einer derart klaren Festschreibung des Persönlichkeitsrechts können wir in Österreich nur träumen. Es ist nun zu fragen, wie in Österreich die Persönlichkeit verfassungsmäßig geschützt ist, denn davon auszugehen, dass ein solcher Schutz überhaupt nicht gegeben ist, erscheint für unsere Gesellschaftsordnung undenkbar![6])
Der Schutz der Persönlichkeit kann im österreichischen Grundrechtskatalog durch eine Zusammenschau aller Grund- und Freiheitsrechte erkannt werden. Besonders die einzelnen Freiheitsrechte, die im StGG ihre positive Festschreibung gefunden haben, wie auch der Schutz personenbezogener Daten durch die Verfassungsbestimmung des § 1 DSG sind hier besonders hervorzuheben. Besondere Bedeutung ist auch den Art 5 MRK (Grundrecht auf Freiheit), 8 MRK (Grundrecht auf Achtung des Privatbereichs) und 10 MRK (Grundrecht auf freie Meinungsäußerung) einzuräumen, die nach ihrer Übernahme ins österreichische Verfassungsrecht öfters durch den OGH zur Lösung persönlichkeitsrechtlicher Probleme herangezogen wurden.[7]) Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang auch Art 2 MRK (Bestimmung über den Schutz des Lebens) und Art 63 des Vertrages von St. Germain, die in Richtung eines Schutzes der Menschenwürde, ähnlich der Bestimmung des Art 1 Abs 1 Bonner GG, tendieren.[8]) Doch eine ausdrückliche Gewährleistung des “allgemeinen Persönlichkeitsrechts” findet sich im österreichischen Grundrechtskatalog nicht.
Trotzdem besteht im österreichischen Recht eine Bestimmung, die als Schutzbestimmung der Persönlichkeit im Sinne einer “materiellen Grundnorm” zu verstehen ist. Es handelt sich hierbei um die einfachgesetzliche Bestimmung des § 16 ABGB. In dieser Bestimmung klingt jene ungeschriebene Grundnorm in besonders signifikanter Weise an, in der letztlich alle Menschenrechte wurzeln. Ein historischer Rückblick kann diese Situation etwas erläutern.
Die erste Festschreibung von grundrechtsähnlichen Bestimmungen erfolgte für Österreich im ABGB (1811), das aus einer rationalistischen Naturrechtshaltung heraus Hauptprobleme des späteren Grundrechtskataloges vorweggenommen hat.[9]) Mit der Schaffung eines Grundrechtskataloges in der Pillersdorffschen Verfassung, der die im ABGB vorhandenen Grundrechte sehr bedeutend erweiterte[10]) und als Vorläufer der noch geltenden 19 Grundrechtsartikel des Staatsgrundgesetz von 1867 zu verstehen ist[11]), wurden grundrechtsähnliche Bestimmungen des ABGB in das Verfassungsrecht übernommen.
Damit waren die Grundrechte und Freiheitsrechte in eine Norm des öffentlichen Rechts eingeflossen, in der die Grund- und Freiheitsrechte auch heute verankert sind. Leider ist bei dieser Umkonzipierung die inhaltliche Bedeutung des § 16 ABGB in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht erkannt worden. Dies steht wohl wiederum damit im Zusammenhang, dass die Übernahme der Grundrechte nicht nach Maßgabe eines neutralen Kultur- und Wertmaßstabes in systematischer ausgewogener Weise erfolgte, sondern im Widerstreit absoluter Herrschaftsansprüche gegen die Etablierung bürgerlicher Rechte. Damals musste noch um jedes Grundrecht gekämpft werden. Aus diesem Grund wurde in den frühen Verfassungen Grundrecht an Grundrecht gereiht, ohne einen systematischen Überblick mit übergeordneten Grundnormen zu schaffen. Auch später ist es zu keiner neuen Fassung des Grundrechtskataloges gekommen. Daher fand eine Bestimmung im Sinne des § 16 ABGB nicht Einzug in das Verfassungsrecht. Diese Tatsache spricht natürlich für die Weitsicht der Schöpfer des ABGB, die sehr früh die edelsten Werte unseres Mensch - Seins erkannt bzw. zumindest erahnt haben, zeigt aber auch die Schwierigkeiten der nachrevolutionären Jahrzehnte mit ihren vielen Verfassungsentwürfen, Verfassungsänderungen und Verfassungsfestschreibungen auf.
Damit ist § 16 ABGB positivrechtlich die Zentralnorm des Schutzes der Persönlichkeit.[12])
Aus dieser historischen Betrachtungsweise lässt sich aber noch etwas anderes erkennen. Die Verfassung ist zwar das ranghöchste Gesetz unserer Rechtsordnung und steht als übergeordnete Norm an oberster Stelle, der keine einfachgesetzliche oder sonst rangniedrigere Rechtsnorm widersprechen darf. Doch ist es sehr fraglich, ob die Grund- und Freiheitsrechte dem Anspruch in vollem Umfang gerecht werden können, auch Wertreservoir aller Wertgehalte unserer Gesellschaft zu sein. Viele Ansatzpunkte für die objektiv - sittliche Wertordnung wurden im Privatrecht ergründet und entwickelt, lange bevor die Verfassung versuchte, diese Werte in Grund- und Freiheitsrechten zu fassen. Das Privatrecht setzte sich auch eher mit den aufeinanderprallenden Interessen Gleichgestellter auseinander und hatte nicht als Zweckrichtung die typische Schutzfunktionsaufgabe, den institutionell Schwachen gegen den institutionell Starken zu schützen. Ich möchte damit in keiner Weise bestreiten, dass die Verfassung und besonders die Grund- und Freiheitsrechte eine Großzahl an Grundwerten unserer Gesellschaft enthalten. Doch glaube ich, dass sich durch die historische Entwicklung auch in den Privatrechten Grundwerte befinden, die in der Verfassung keinen klaren Eingang, zumindest aber keine klare Umschreibung gefunden haben. Sicherlich kann man bei Zusammenfügung aller Grund- und Freiheitsrechte einen Schutz der Persönlichkeit erkennen. Aber warum soll man krampfhaft versuchen, nur weil die Verfassung das ranghöchste Gesetz unserer Rechtsordnung ist, ein Persönlichkeitsrecht aus ihr herauszulesen, wenn es schon eine viel bessere und klarere Verankerung des Rechts auf einfachgesetzlicher Ebene gibt.
Die frühe Privatrechtsordnung hat sich nicht unter der ständigen Bedachtnahme auf eine übergeordnete Verfassung entwickelt, sondern ist eigenständige Wege gegangen. Gerade in Hinsicht auf das ABGB war neben der naturrechtlichen Idee die starke Rechtszersplitterung Motiv für die Kodifikation. Es wurden zur Rezeption des Privatrechts verschiedenste deutsche Gewohnheitsrechte, vor allem vermittelt durch den Schwabenspiegel, zusammengetragen und man bediente sich zusätzlich aufgezeichneter Land- und Stadtrechte sowie privater Rechtssammlungen.[13]) Diese Rechtsquellen waren keiner einheitlichen übergeordneten Rechtsnorm verpflichtet. Die Vorstellung, dass eine normative Geltung einer Rechtsvorschrift durch die Erzeugung an Hand einer anderen Rechtsvorschrift legitimiert wird, die wiederum ihrerseits entsprechende Geltungsbedingungen statuiert[14]), hat sich erst mit den Verfassungsentwicklungen geformt und wurde insbesondere von Kelsen diskutiert, der damit die Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung begründete.[15]) Zur Zeit der Entstehung des ABGB wurde das Privatrecht nicht aus dem Verfassungsrecht als “Norm der Norm” abgeleitet. Die Verfassung wurde über das ABGB erst gestellt, als dieses schon lange in Kraft war. Ja das Privatrecht übernahm sogar früher Funktionen der Verfassung! Aus diesen Gründen würde ich dafür plädieren, dass man bei der Suche nach einer objektiven - sittlichen Wertordnung den Inhalt der Rechtsnormen nicht nach ihrem Rang in der Rechtsordnung beurteilt und wertet, sondern nach dem, was sie tatsächlich für ein geregeltes Zusammenleben unter dem Postulat der Gerechtigkeit leisten können. Abgesehen davon ist es sicherlich erstrebenswert, bei der Neuerstellung eines Grundrechtskataloges, so weit dies möglich ist, zumindest programmatisch alle elementaren Grundwerte unserer Gesellschaft zu verankern. Hier denke ich insbesondere an die Voranstellung des Rechts an der Persönlichkeit im neuen Grundrechtskatalog als erste und wichtigste Grundnorm für unsere Rechtsordnung, dem deutschen Beispiel folgend, und auch an eine Einbindung der sozialen Grundrechte[16]), um dem Anspruch an die Verfassung, Spiegelbild der Grundwerte unserer Gesellschaft im größtmöglichen Umfang zu sein, gerecht zu werden.