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Gesamte Inhalte:

© Dr. Christoph Paul Stock

 

1) Positiv - rechtlicher Lösungsansatz unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Struktur- und Rechtserzeugungs-zusammenhangs

 

Die Grundrechte wirken auf das Privatrecht schon allein aus der in der Verfassung positiv festgeschriebenen Überprüfungskompetenz des Verfassungsgerichtshofes. Hier kann eine Normenkontrolle stattfinden, insbesondere auf Antrag der ordentlichen Gerichte, sei es bei Prüfung von Gesetzen auf Antrag des OGH oder eines zur Entscheidung in II. Instanz berufenen Gerichts oder sonst nach Art 140 B-VG zur Stellung von Anträgen legitimierten Stellen oder Personen.[1])

Mit dieser Regelung soll eine Verfassungskonformität der einfachgesetzlichen Regelungen erreicht werden.

Neben den durch den Gesetzgeber geschaffenen Normen im Privatrecht gibt es auch noch einen Bereich der privaten Rechtsetzung, der eine besondere Ausgestaltung im Vertragsrecht findet.[2]) Grundsätzlich lässt sich aus der Sicht einer strukturtheoretischen Betrachtungsweise sagen, dass auch die private Rechtsetzung immer staatsabgeleitet stattfindet.[3]) Denn die Privatautonomie und die Regeln der Vertragserrichtung sind sehr wohl durch einfachgesetzliche Regelungen bestimmt und finden durch die übergeordnete Verfassungsnorm ihre Einbindung in das Recht. So führt Kelsen aus, dass der private Vertrag als “Staatsakt” zu bezeichnen ist, wenn Staat und Recht identifiziert werden. Dies bedeutet aber nur, dass der Vertrag ein rechtliches Phänomen ist.[4]) Aus einer solchen Strukturbetrachtung kann aber noch nicht abgeleitet werden, in wie weit auch private Rechtsetzung an die Wertungen der Grundrechte gebunden ist. Eine solche Aussage kann erst dann getroffen werden, wenn man das Verfassungsrecht positivrechtlich auf bindungsbestimmende Regelungen untersucht. So schreibt die Verfassung dem Gesetzgeber “Richtlinien für den Inhalt der Gesetze” vor.[5]) Darin kann die Verfassung aussprechen, dass der Gesetzgeber selbst eine bestimmte Regelung nicht treffen darf, kann aber auch weiter gehen und dem Gesetzgeber vorschreiben, dass er auch den Privaten nicht ermächtigen darf, eine bestimmte Regelung durch einen Vertrag zu treffen.[6]) Beide verfassungsrechtlichen Richtlinien werden durch den Gesetzgeber in einfachgesetzlicher Norm geregelt. Diese Normen unterliegen wieder nachprüfender Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof. Bleibt also die Frage offen, wie weit sich nun die Verfassungsbestimmungen – und hier für uns interessant die Grundrechtsbestimmungen – abgesehen von den bestehenden einfachgesetzlichen Normen auf private Rechtsetzung auswirken und einwirken. Hierin ist ein Hauptproblemkreis der Drittwirkung zu erblicken!

Ohne im Meinungsstreit[7]) zwischen Mayer und Griller Position beziehen zu wollen, wird man Mayer zugestehen müssen, dass aus dem “Rechtserzeugungszusammenhang” sicherlich nicht abgeleitet werden kann, dass die private Rechtsetzung den Wertgehalten der Grundrechte entsprechen müsse. Hier würde man einer allzu strukturbezogenen Sichtweise den Vorzug geben! Aus diesem Grund ist auch besondere Vorsicht im Umgang mit dem strukturellen Begriff des Stufenbaus der Rechtsordnung geboten![8])

Nun sind einige grundsätzliche Gedanken zur Beziehung zwischen der privaten Rechtsetzung und den Grundrechten angebracht. Vorerst muss davon ausgegangen werden, dass “rechtsgeschäftliches oder überhaupt privatrechtlich relevantes Handeln grundsätzlich so verschieden von der Ausübung hoheitlicher Staatsfunktionen ist, dass man dem Verfassungsgesetzgeber kaum unterstellen kann, beide hinsichtlich der Normkonkretisierung und der Grundrechtsgeltung unter demselben Gesichtspunkt gesehen zu haben”.[9]) Man wird dies auch schwerlich aus dem Wortlaut oder der Systematik des B-VG ableiten können. Das gewichtigste Argument gegen die unmittelbare Einwirkung der Grund- und Freiheitsrechte auf private Rechtsgestaltung ist darin zu sehen, dass bei privater Rechtsgestaltung sich die Bürger einander grundsätzlich gleichberechtigt gegenüberstehen[10]) und keinerlei Zwangsmittel und Eingriffsbefugnisse, wie dies gegenüber dem Staat der Fall ist, unterworfen sind.[11]) Staatliche Fremdbestimmung und privatautonome Selbstbestimmung sind aber grundsätzlich nicht vergleichbar.

Geht man davon aus, dass alle Rechtsetzung im Sinn Kelsens ‘Staatsakt’ ist, so wird man strukturtheoretisch annehmen können, dass auch “die Privatautonomie als verfassungsrechtlich vorgesehene Form der Rechtsetzung” anzusehen ist. In diesem Fall, “muss die Verfassung notwendigerweise auch die Grenzen dieser Rechtsetzungsform festlegen; wo diese Grenzen verlaufen, ist eine Auslegungsfrage, die schwierig zu beantworten ist. In aller Allgemeinheit wird man sagen können, dass Privatautonomie dort und insoweit zulässig ist, als es um die Ordnung gemeinsamer ‘privater’ Interessen geht[12]) und eine Entfaltung des ‘wahren Willens’ der Vertragsparteien angenommen werden kann. Darüber hinausgehende Befugnisse zu ‘privatautonomer’ Rechtsetzung werden wohl als verfassungswidrig anzusehen sein”.[13])

Eine weitere Überlegung wirft die Frage auf, wie im Falle der “unmittelbaren Drittwirkung” eine Einschränkung der Grundrechte durch die Privatrechtssubjekte, insbesondere durch Rechtsgeschäfte, möglich wäre, ohne die Privatautonomie völlig außer acht zu lassen?[14]) Eine Einschränkung der Grundrechte ist laut Verfassung nur durch Gesetzesvorbehalte möglich. Diese sind aber unzweifelhaft an den Staat, weil an den Gesetzgeber gerichtet. Manche Anhänger der Lehre von der “unmittelbaren Drittwirkung” haben daher versucht, die Systematik der Gesetzesvorbehalte auf das Privatrecht zu übertragen.[15]) Sie wollen demgemäß die rechtsgeschäftliche Einschränkung von Grundrechten nur zulassen, sofern und soweit ein Gesetzesvorbehalt besteht. Würde man dieser Ansicht folgen, müsste man zwangsläufig auf befremdende Ergebnisse stoßen! Denn soll zB ein Vertrag, in dem ein Künstler seinem Auftraggeber bestimmte Zusagen über die Gestaltung eines Bildes macht, in dem sich ein Musiker gegenüber einer Konzertdirektion zum Spielen eines bestimmten Stückes verpflichtet oder sich ein Schauspieler gegenüber einem Theater zur Übernahme einer Rolle verpflichtet, deshalb nichtig sein, weil Art 17a StGG keinen Gesetzesvorbehalt hat? Wie lässt sich bei einer solchen Sichtweise die vertragliche Verpflichtung eines Christen zur Sonntagsarbeit mit der Freiheit der Religionsausübung vereinbaren? Hier erscheint mir der Vorwurf Dürigs[16]) gegen die Lehre von der “unmittelbaren Drittwirkung” an Boden zu gewinnen, wenn er meint, diese Lehre gefährde die Privatautonomie.

Angesichts der Ergebnisse der vorstehenden positivistischen Überlegungen zum Struktur- und Rechtserzeugungszusammenhang kann festgestellt werden, dass die Theorie der “unmittelbaren Drittwirkung” kaum eine sinnvolle Anwendung in der Rechtspraxis finden wird.[17]) Auch sonst kann nur wenig für die Lösung des anstehenden Problems gewonnen werden. Es wird zwar deutlich, welche Bereiche der Privatautonomie über die Normenkontrolle der Gesetze auf Verfassungskonformität überprüft werden können. Es werden aber die Grenzen der Privatautonomie selbst nicht ersichtlich. Auch die Frage, “ob der Richter die gesetzliche Grundrechtskonkretisierung, als die man das Privatrecht in weiten Bereichen ansehen kann, ganz grundsätzlich durch seine eigene Abwägung von Grundrechten zwecks Lösung privater Interessenskonflikte überspielen darf”[18]) oder ob nur der Gesetzgeber in diesem Sinne tätig werden darf, weil ihm auch zusätzlich in diesem Bereich nicht die Möglichkeit offen steht, eine Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof zu veranlassen, kann nach diesen Überlegungen kaum beantwortet werden. Weiters bleiben die Fragen nach der Zweckhaftigkeit der Verwendung von Generalklauseln des Privatrechts als “Einbruchstellen” für Grundrechte und nach dem Bestehen eines Schutzgebotes der Grundrechte an den Staat (Schutzpflicht) unbeantwortet. Vielleicht kann hier ein hermeneutischer Lösungsansatz mehr Klarheit bringen.


[1]) Adamovich - Funk; Österreichisches Verfassungsrecht3, 338 ff; Spanner, Die Bedeutung der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes für das Zivilrecht, JBl 1978, 281.
[2]) Zur privaten Rechtsetzung muss man neben dem Vertragsabschluss auch einseitige Rechtsgeschäfte, Handlungen und Unterlassungen Privater untereinander zählen.
[3]) Griller, Drittwirkung und Fiskalgeltung von Grundrechten, ZfV 1983, 4; Mayer, “Rechtserzeugungszusammenhang” und “Drittwirkung” der Grundrechte, JBl 1990, 769.
[4]) Kelsen, Reine Rechtslehre2 (1960) 285; Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft (1923) 212 f.
[5]) Kelsen, Die Entwicklung des Staatsrechts in Österreich seit dem Jahre 1918, in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts I (1930) 154 f; hier schreibt Kelsen:
“Die Bestimmung des Gesetzesinhalts geschieht herkömmlicherweise in der Form der verfassungsmäßigen Gewährleistung von sogenannten Grund- und Freiheitsrechten, deren rechtstechnische Bedeutung dadurch, dass sie als subjektive Rechte formuliert werden, nicht deutlich genug zum Ausdruck kommt. Mit einem Katalog von Grund- und Freiheitsrechten wendet sich der Verfassungsgesetzgeber in erster Linie - wenn auch nicht ausschließlich - an den einfachen Gesetzgeber, indem er ihm verbietet, in die als subjektive Rechte statuierte Interessensphäre der Untertanen einzugreifen, oder ihm gebietet, den von ihm zu erlassenden Normen einen bestimmten positiven Inhalt zu geben.”
[6]) Mayer, “Rechtserzeugungszusammenhang” und “Drittwirkung” der Grundrechte, JBl 1990, 769.
[7]) Griller, Drittwirkung und Fiskalgeltung von Grundrechten, ZfV 1983, 1 ff; Griller, Der Schutz der Grundrechte vor Verletzung durch Private, JBl 1992, 289 ff;  Mayer, “Rechtserzeugungszusammenhang” und “Drittwirkung” der Grundrechte, JBl 1990, 768 ff; vgl auch: Novak, Zur Drittwirkung der Grundrechte, EuGRZ 1984, 135; Berger, Auswirkungen der Europäischen Menschenrechtskonvention auf das österreichische Zivilrecht, JBl 1985, 151 f, hier meint Berger in FN 65: “Zuzustimmen ist Griller zweifellos darin, dass die Ermächtigung der Privatrechtssubjekte zur
Rechtsgestaltung (Privatautonomie) von der Bundes - Verfassung vorausgesetzt und somit ungeschriebener Bestandteil des geltenden Verfassungsrechts ist. Der dadurch abgesteckte Freiraum des Einzelnen ist vom einfachen Gesetzgeber zu respektieren, aber auch zwecks Garantie einer funktionierenden Privatautonomie inhaltlich auszugestalten. Dass das Rechtsgeschehen zwischen Privaten deshalb vom Staat ‘erzeugt’ werde, kann jedoch nicht gesagt werden”.
[8]) verwendet bei Adamovich - Funk, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechtes6, 376.
[9]) Berger, Auswirkungen der Europäischen Menschenrechtskonvention auf das österreichische Zivilrecht, JBl 1985, 152.
[10]) Dazu hat Walter in seinem Diskussionsbeitrag auf dem 1. ÖJT ausgeführt, dass gerade die Gleichwertigkeit der Vertragspartner, abgesehen von Fällen, in denen der Gesetzgeber etwas anderes bestimmt hat, dem Gleichheitsgrundsatz entspricht.
Canaris führt dazu in AcP 184, 205 aus: “Schwach ist allerdings das Argument, dass es hier um das Verhältnis von bürgerlicher Freiheit zu bürgerlicher Freiheit” geht. “Das gilt nämlich nicht nur für das Verhalten der Privatrechtssubjekte als solche, sondern auch für die gesetzliche Regelung ihrer Beziehungen und könnte daher zu der Konsequenz führen, nicht nur die Subjekte, sondern auch die Normen des Privatrechts von der ‘unmittelbaren’ Grundrechtsbindung freizustellen.”
[11]) Bydlinski, Thesen zur Drittwirkung von Grundrechten im Privatrecht, Vortrag gehalten beim Expertengespräch: Grundrechtsreform in Österreich, Graz, April 1984, in Rack (Hrsg), Grundrechtsreform (1985) 173 ff.
[12]) dazu am Rande Mayer, Bürgerbeteiligung zwischen Rechtsstaat und Demokratie (1988) 50 ff.
[13]) Mayer, “Rechtserzeugungszusammenhang” und “Drittwirkung” der Grundrechte, JBl 1990, 772.
Ein typischer Fall einer solchen Begrenzung kann in dem verfassungsrechtlich vorgesehenen Gebot gesehen werden, dass in Österreich das Recht bei den Behörden zu suchen ist. Diese Behörden und ihr Tätigkeitsbereich sind durch die Verfassung garantiert. Eine Selbsthilfe kann daher nur in Ausnahmefällen möglich sein und darf den verfassungsrechtlich geschützten von Privatautonomie befreiten Bereich nicht überschreiten.
[14]) Canaris, Grundrechte und Privatrecht, AcP 184, 204.
[15]) Leisner, Grundrechte und Privatrecht (1960) 330 ff (384 ff); Ramm, Die Freiheit der Willensbildung - Zur Lehre von der Drittwirkung der Grundrechte und der Rechtsstruktur der Vereinigung (1960) 42 ff.
[16]) Dürig, Grundrechte und Zivilrechtsprechung, in FS - Nawiasky (1956) 167 ff.
[17]) Mayer, “Rechtserzeugungszusammenhang” und “Drittwirkung” der Grundrechte, JBl 1990, 772.
[18]) Berger, Auswirkungen der Europäischen Menschenrechtskonvention auf das österreichische Zivilrecht, JBl 1985, 151.
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