
K O N T A K T

Gesamte Inhalte:
© Dr. Christoph Paul Stock
1) Die Generalklausel des § 879 Abs 1 ABGB
Die Bestimmung des § 879 Abs 1 ABGB lautet: “Ein Vertrag, der gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig”. Diese Generalklausel stellt klar, dass die Rechtsordnung eine ihre Normen und Grundsätze missachtende privatautonome Rechtsgestaltung nicht duldet. Die Generalklausel sagt weder, welche gesetzlichen Verbote im einzelnen gemeint sind, noch erklärt sie den Begriff der “Guten - Sitten”. Die Generalklausel gibt aber das Prinzip der Rechtsordnung wieder, dass der Gesetzgeber den Missbrauch der Privatautonomie auch in den Fällen verfolgt, in denen keine gesetzlichen Verbote zur Verfügung stehen. Hier beruft sich der Gesetzgeber auf die “Guten Sitten”, die den Normzweck des § 879 ABGB erheblich mitbestimmen.[1])
Um mit dem Begriff der “Guten - Sitten” etwas anfangen zu können, muss dieser erst konkretisiert werden. Man geht heute davon aus, dass Sittenwidrigkeit ein Fall der Rechtswidrigkeit ist.[2]) Daraus ist aber noch nichts für den Inhalt der Generalklausel gewonnen! Sicher ist nur, dass das, was die “Guten - Sitten” ausmacht, nicht ausdrücklich im Gesetz ausgesprochen ist.[3]) Hier hakt die österreichische Lehre und Rechtsprechung ein und setzt die “Guten - Sitten” überhaupt mit dem ungeschriebenen Recht gleich.[4]) Die “Guten - Sitten” haben nicht nur bzw nicht einmal notwendig, wie es vielleicht auf den ersten Eindruck erscheinen mag, mit Moral und Sitte etwas zu tun[5]), sondern sind “der Inbegriff des im Gesetz nicht ausdrücklich ausgesprochenen Rechts”, “das sich aus der richtigen Betrachtung der rechtlichen Interessen ergibt. Die Sittenwidrigkeit wird als Rechtswidrigkeit aufgefasst, wobei die guten Sitten die allgemeinen Rechtsprinzipien und die allgemein anerkannten Normen der Ethik umfassen”[6]).
Die österreichische Rechtsprechung ist nicht ganz so einheitlich wie die Lehre. Angelehnt an die deutsche Rechtsprechung spricht der OGH manchmal davon, dass sittenwidrig sei, was dem Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft, das ist aller billig und gerecht Denkenden, widerspreche.[7]) Dann spricht der OGH wieder aus, dass die Klausel von den “Guten - Sitten” dem Richter ermöglichen sollte, “bei offenbarer Rechtswidrigkeit helfend einzugreifen”[8]). Berufend auf Gschnitzer stellt der OGH auch an anderer Stelle die Sittenwidrigkeit mit der offenbaren Rechtswidrigkeit gleich.[9]) Doch führt der OGH auch aus, dass Sittenwidrigkeit vorliege, wenn eine Interessensabwägung eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen oder bei Interessenskollision ein grobes Missverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten Interessen ergebe.[10]) Daraus wird ersichtlich, dass auch der OGH Sittenwidrigkeit nicht unbedingt mit Moralwidrigkeit gleichsetzt.
Bleibt also die Notwendigkeit, den Inhalt der “Guten - Sitten” zu erforschen. Die Erfassung ist auf jeden Fall sehr schwierig. So kann weder aus der Untersuchung auf soziale Ungerechtigkeit noch durch Berücksichtigung des Rechtsgefühls der Rechtsgemeinschaft[11]), also aller billig und gerecht Denkenden, noch aus den allgemein anerkannten Normen der Moral[12]) eine absolut verlässliche Konkretisierung gewonnen werden. Hilfreich ist die Abwägung rechtlich geschützter Interessen. So liege, wie oben schon erwähnt, Sittenwidrigkeit vor, wenn die Interessensabwägung eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen oder bei Interessenkollision ein grobes Missverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten Interessen ergebe.[13]) Dabei sind die aus der Rechtsordnung ableitbaren Wertungsgesichtspunkte heranzuziehen, die in mehr oder weniger verwandten Normenkomplexen zum Ausdruck kommen.
Mayer-Maly[14]) versucht einen Katalog der Elemente aufzulisten, denen in diesem Zusammenhang tragende Bedeutung zukommt. Zu diesen Elementen der Sittenwidrigkeit gehören nach seiner Ansicht die Absicherung anerkannter Ordnung, die Abwehr von Freiheitsbeschränkungen, die Gefahr der Ausnutzung von Machtpositionen, das Problem der Schädigung Dritter, das Auftreten von schweren Äquivalenzstörungen und Fragen der missbilligten Kommerzialisierung bzw verpönten Zwecksetzung.
Ganz besondere Bedeutung haben in diesem Zusammenhang aber die “Natürlichen Rechtsgrundsätze”. Denn es besteht zwischen der “Guten - Sitten - Klausel” und den “natürlichen Rechtsgrundsätzen” ein Naheverhältnis, weil auch die “Natürlichen Rechtsgrundsätze” bei Scheitern der Analogie versuchen müssen, eine Lösung im ungeschriebenen Recht zu finden.[15]) Damit bleibt das Konkretisierungsproblem der “Guten - Sitten” weiterhin aufrecht, aber es wird der erforderliche Bezug zum positiven Recht erhalten. Bezüglich des Inhalts der “natürlichen Rechtsgrundsätze” sei auf die Ausführungen am Beginn dieses Teils der Arbeit verwiesen.