
K O N T A K T

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© Dr. Christoph Paul Stock
3) Generalklauseln als ausschließliche Einbruchstellen der Grundrechte in das Privatrecht
Die Lehre von der “mittelbaren Wirkung” der Grundrechte sieht ausschließlich über Generalklauseln die Möglichkeit der Einwirkung der Grund- und Freiheitsrechte auf das Privatrecht. So schreibt Flume, dass “die Grundrechtsnormen als ‘Verbotsgesetze’ gegenüber Rechtsgeschäften nur über den § 138 BGB (‘Gute - Sitten - Klausel’) zur Geltung kommen können”[1]). Mikat sagt, sich auf Dürig beziehend, die “einzige Möglichkeit, das durch die Grundrechte geschaffene und ... für das ganze Rechtsleben gültige Wertsystem im Rahmen der Privatrechtsordnung zu realisieren”, sei “in einer entsprechenden Interpretation und Anwendung der ‘wertausfüllungsfähigen und wertausfüllungsbedürftigen Begriffe und Generalklauseln des Privatrechts’”[2]) zu sehen.
Es ist nun fraglich, warum die Grundrechte nur über unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln oder gar nur über die “Gute - Sitten - Klausel” auf das Privatrecht einwirken sollen. “Denn zum einen ist es denkbar, dass auch Normen mit festen Tatbeständen zur Verwirklichung von Grundrechten dienen, und zum anderen steht auch nicht von vornherein fest, dass immer eine geeignete Generalklausel vorhanden ist. Insbesondere ist keineswegs von vornherein sicher, dass der sehr großzügige Maßstab der guten Sitten, mit dem bei korrekter Handhabung nur Extremfälle zu erfassen sind, stets einen ausreichenden Schutz der Grundrechte bietet.”[3])
Das lässt sich am Beispiel der Berufsfreiheit veranschaulichen. Hier sind es zwei Bestimmungen des AngG, nämlich § 21 AngG und § 36 AngG, die ich zur Klarlegung heranziehen möchte. § 21 AngG ermöglicht es einem Angestellten, der ein Dienstverhältnis eingegangen ist, welches entweder auf Lebenszeit oder für länger als fünf Jahre vereinbart wurde, vorzeitig nach Ablauf von fünf Jahren unter der Einhaltung einer sechs monatigen Kündigungsfrist aus dem Dienstverhältnis auszuscheiden. § 36 AngG regelt die Vereinbarungsmöglichkeit einer Wettbewerbsabrede für die Zeit nach Beendigung eines Dienstverhältnisses mit den Voraussetzungen, dass der in seiner Berufstätigkeit eingeschränkte Angestellte volljährig sein muss, die Beschränkung sich nur auf Tätigkeiten in dem Geschäftszweig des Dienstgebers bezieht und den Zeitraum von 1 Jahren nicht übersteigen darf. Zusätzlich darf die Wettbewerbsabrede für den Angestellten nach Gegenstand, Zeit und Ort sowie im Verhältnis zum Dienstgeberinteresse nicht eine unbillige Erschwerung seines Fortkommens bewirken.[4]) Beide Bestimmungen versuchen einen Interessenausgleich zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer zu erreichen. Motivierend für die Abgrenzungen der Interessen ist der Bezug zum Grundrecht auf Berufsfreiheit. Es soll verhindert werden, bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Interessen des Dienstgebers, dass der Dienstnehmer seine Berufsfreiheit völlig verliert. Damit stehen beide Bestimmungen im Lichte einer Grundrechtsverwirklichung. Man sieht, dass eine Grundrechtsverwirklichung auch durch andere Normen als Generalklauseln und wertausfüllungsbedürftigen Tatbeständen nichts ungewöhnliches ist.[5])
Dass es auf der anderen Seite auch Schutzlücken gibt, für die keine geeigneten Generalklauseln zu Gebote stehen, lässt sich wiederum am Beispiel der Berufsfreiheit (Art 18 StGG) aufzeigen. Erwähnt sei hier vor allem eine Entscheidung des ArbG Klagenfurt[6]) zur Frage, “ob der einem Arbeitnehmer zu Studienzwecken gewährte Karenzurlaub für die Vorrückung in höhere Bezüge anrechenbar sei; eine besondere Vereinbarung war nicht getroffen worden.[7]) Ohne eine stichhaltige Begründung dafür liefern zu können – es wurde vornehmlich auf eine Vorentscheidung und eine einschränkende (jedoch unanwendbare) Sonderregelung in der Dienstpragmatik hingewiesen – kam es zur Berücksichtigung der Vordienstzeit”[8]). Sinnvoller wäre es wohl gewesen, abstellend auf den Schutzgebotscharakter der Grundrechte, diesen Zweifelsfall aus der verfassungsrechtlich garantierten Berufsausbildungsfreiheit des Art 18 StGG abzuleiten.
Weniger negierend zur Schutzfunktion der Grundrechte war die Haltung des OGH in seiner Entscheidung vom 21. November 1972[9]), in der dieser über eine Rückzahlungsklausel für Ausbildungskosten zu entscheiden hatte. Der OGH sprach aus, dass die Rückzahlungsklausel die Ausübung des nach § 20 Abs 4 AngG zustehenden Kündigungsrechts nicht unzumutbar erschweren, insbesondere die “wirtschaftliche Freiheit” des Arbeitnehmers nicht übermäßig beschränken oder ihn stark und einseitig benachteiligen dürfe. Weiters betrachtet der OGH in seiner Entscheidung vom 15. Juni 1976[10]) “es als unzulässigen ‘Verzicht auf freie Arbeitsplatzwahl’, wenn sich eine 15jährige Kinderkrankenpflegeschülerin zum Ersatz bedeutender Ausbildungskosten für den Fall der Nichteinhaltung eines im Anschluss an die Ausbildung zu absolvierenden Dreijahresarbeitsvertrages bereit erklärt. Hier würde für eine weit in die Zukunft und über die Minderjährigkeit hinausreichende Dauer eine Bindung in Bezug auf die berufliche Tätigkeit eingegangen”[11]). Der OGH leitet also das zumutbare Ausmaß einer Rückzahlungsforderung aus dem vorrangigen Wert der “Berufsfreiheit” ab. Zu bedauern bleibt trotzdem, dass der OGH in der Konsequenz lieber ausdrücklich auf die “Sittenwidrigkeit” zurückgreift[12]) und dabei den klaren Gedanken einer Heranziehung von Grundrechten in ihrer Schutzgebotsfunktion umgeht.
Aus diesen Beispielen kann man ersehen, dass es Schutzlücken gibt, die bei Unterlassung einer Überspannung der Klausel von den “Guten - Sitten”, sich grundsätzlich weder durch § 879 Abs 1 ABGB oder einer sonstigen anderen Generalklausel legitimieren lassen. Es sei hier auch an die Rechtsprechung des deutschen BAG zu den Grenzen der Rückzahlungsklauseln bei Gratifikationen, Ausbildungskostenerstattungen und Umzugshilfen erinnert, in denen der Art 12 GG (Berufsfreiheit) eine sachgerechte privatrechtliche Umsetzung erfährt.[13])
Aus alldem wird ersichtlich, dass nicht nur Generalklauseln Einbruchstellen von Grundrechten in das Privatrecht sein können. Demzufolge ist die Lehre von der “mittelbaren Wirkung” zu eng.