
K O N T A K T

Gesamte Inhalte:
© Dr. Christoph Paul Stock
3) Die Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts
Hier soll in geraffter Weise ein Überblick über die wichtigsten Entscheidungen des BVerfG im Zusammenhang mit der Einwirkung der Grundrechte auf das Privatrecht erfolgen.
Als bahnbrechende und erste Entscheidung soll das “Lüth - Urteil”[1]) besprochen werden. In diesem Rechtsstreit hatte das BVerfG über die Grundrechtskonformität einer Entscheidung des OLG Hamburg zu entscheiden, dass dem Klagebegehren mehrerer Filmgesellschaften auf Unterlassung stattgab, demzufolge dem Senatsdirektor Lüth in Hamburg untersagt werden sollte, die deutschen Filmtheaterbesitzer und Filmverleiher aufzufordern, einen Film des im Dritten Reich hervorgetretenen Regisseurs Veit Harlan nicht in ihr Programm aufzunehmen und das Publikum aufzufordern, diesen Film nicht zu besuchen. Das BVerfG hob das Urteil des LG Hamburg wegen Verletzung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung nach Art 5 Abs 1 GG auf. Das Gericht stellte zwar fest, dass die Grundrechte in erster Linie Abwehr- und Schutzrechte der Bürger gegenüber dem Staat sind, dass sich aber aus diesen Bestimmungen eine objektive Wertordnung ableiten lasse, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt. Im Zivilrecht entfalte sich der Rechtsgehalt der Grundrechte mittelbar durch die privatrechtlichen Vorschriften, insbesondere durch die Generalklauseln des bürgerlichen Rechts. Der Zivilrichter könne daher durch sein Urteil Grundrechte verletzen, wenn er die Einwirkung der Grundrechte auf das bürgerliche Recht verkenne.
Damit wurde vom BVerfG der Wertordnungscharakter und die “mittelbare Wirkung” der Grundrechte anerkannt.
Ebenfalls mit der Frage nach dem Grundrecht der Meinungsfreiheit beschäftigte sich das BVerfG im “Blinkfüer - Beschluss”[2]). Hier ging es um die Frage, ob ein auf politischen Motiven beruhender Boykott eines Presseunternehmens, der mit politischen Machtmitteln durchgesetzt werden sollte, insbesondere durch Nichtbelieferung von Zeitungshändlern, durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung geschützt sei. Im Konkreten strebte die Zeitung “Blinkfüer” wegen Absatzrückgang infolge der Drohung von zum Springer - Konzern gehörenden Verlagshäusern eine Schadenersatzklage an, die durch den BGH abgewiesen wurde. Das BVerfG gab der Verfassungsbeschwerde statt und führte aus, daß die Durchsetzung eines derartigen Boykotts nur mit den Mitteln geistiger Argumentation durchgeführt werden dürfe und durch die Drohung der Verlagshäuser das Grundrecht auf Pressefreiheit verletzt wurde.
In diesem Fall wird sehr schön deutlich, wie zwei Grundrechte im Privatrechtsbereich aufeinanderprallen können und hier eine Entscheidung nur durch Interessenabwägung erreicht werden kann.
Im “Mephisto - Beschluss”[3]) des BVerfG wurden wiederum zwei Grundrechte gegeneinander abgewogen, wobei hier dem Persönlichkeitsrecht gegenüber der Kunstfreiheit der Vorrang eingeräumt wurde. Der Adoptivsohn von Gustav Gründgens hatte einen Verlag auf Unterlassung einer Verbreitung des Romans von Klaus Mann “Mephisto – Roman einer Karriere” geklagt, weil die Hauptfigur in diesem Werk unverkennbare Züge von Gründgens aufwies und dadurch nach Meinung des Klägers das auch über den Tod hinaus wirkende Persönlichkeitsrecht von Gründgens verletzt sei. Der BGH gab der Klage statt, was zur Einbringung einer Verfassungsbeschwerde durch den Verlag führte. Das BVerfG entschied sich bei seiner Grundrechtsabwägung für das Persönlichkeitsrecht und wies die Verfassungsbeschwerde ab.
Im nächsten Beispiel der Rechtsprechung des BVerfG – dem “Soraya - Fall”[4]) – kommt auch die Anerkennung eines “allgemeinen Persönlichkeitsrechts” und ein daraus entspringender Anspruch auf Schadenersatz für ideelle Schäden zum Ausdruck. Ein Boulevardblatt hatte ein frei erfundenes Interview der geschiedenen Ehefrau des Schahs von Persien veröffentlicht, in dem Äußerungen der Prinzessin über ihr Privatleben wiedergegeben wurden. Der BGH hatte der Schadenersatzklage der Prinzessin stattgegeben, wogegen der Verlag der Zeitung Verfassungsbeschwerde beim BVerfG einbrachte. Das BVerfG wog das allgemeine Persönlichkeitsrecht gegen das Recht auf Meinungsfreiheit ab und gab dem Persönlichkeitsrecht den Vorzug.
In den neueren Überlegungen zum Verhältnis Privatrecht und Grundrechte wird verstärkt der Begriff der “Schutzgebotsfunktion” der Grundrechte in die Diskussion eingebracht. Auch das BVerfG hat in seiner Rechtsprechung den Schutzcharakter der Grundrechte berücksichtigt.
Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang eine Entscheidung des BVerfG, die wenige Monate nach dem Fristenlösungs - Erkenntnis des VfGH[5]) ebenfalls zum Schwangerschaftsabbruch ergangen ist[6]). Sehr interessant ist hier, dass das BVerfG den Akzent von der “Schutzrichtung” der Grundrechte und vom “Eingriff” zur Verpflichtung, Schutz zu leisten, zurechtrückt. Das Gericht argumentiert mit der sich aus Art 1 Abs 1 und Art 2 Abs 2 GG ergebenden “Pflicht des Staates, jedes menschliche Leben zu schützen”. Weiter heißt es, die Schutzpflicht sei umfassend, “sie verbietet nicht nur – selbstverständlich – unmittelbar staatliche Eingriffe in das sich entwickelnde Leben, sondern gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen”, es gegen andere und prinzipiell auch gegenüber der Mutter “in Schutz zu nehmen”. Das BVerfG nimmt nicht Bezug auf die historische Bedeutung der Grundrechte, sondern haucht ihnen durch diese Entscheidung sittlichen Wertcharakter und Verantwortung für die gewandelte Gesellschaftsstruktur ein. Daraus kann zwar für die Drittwirkung nur teilweise etwas abgeleitet werden[7]), aber die Grundvoraussetzung für die Wirkung außerhalb der traditionellen aber überholten Schranken des reinen Schutzzweckes gegenüber dem Staat sind gefallen und eröffnen die grundsätzliche Möglichkeit einer erweiterten Wirkung, wohl auch einer Wirkung auf die Privatrechte.[8])
Aus den Beispielen ist eine Anerkennung der Grundrechte als Ausdruck einer in der Verfassung verkörperten Wertordnung herauszulesen und die Anerkennung der “mittelbaren Wirkung” der Grundrechte klar ersichtlich.
Wie bekannt, wären derartige Verfahren, wie sie eben aus der Rechtsprechung des BVerfG angeführt wurden, in Österreich nicht möglich, weil es hier keine Verfassungsbeschwerde gegen Gerichtsentscheidungen gibt. Aber selbst, wenn diese Möglichkeit bestünde, wären solche Entscheidungen angesichts der so sehr restriktiven Auffassung des VfGH zur Bedeutung der Grundrechte nicht zu erwarten.[9])