
K O N T A K T

Gesamte Inhalte:
© Dr. Christoph Paul Stock
B) FÜRSORGEPFLICHT DES ARBEITGEBERS UND ALLGEMEINES PERSÖNLICHKEITSRECHT DES ARBEITNEHMERS
Wird in Österreich die Fürsorgepflicht angesprochen, ist sogleich an die inhaltlich weitgehend identischen Generalklauseln der §§ 1157 Abs 1 ABGB und § 18 Abs 1 AngG zu denken, denen zu Folge der Arbeitgeber die Dienstleistung so zu regeln und bezüglich der vom Arbeitgeber beizustellenden oder beigestellten Räume und Gerätschaften auf dessen Kosten dafür zu sorgen hat, dass Leben und Gesundheit des Dienstnehmers, soweit es nach Natur der Dienstleistung möglich ist, geschützt werden.
Diese generalklauselartigen Bestimmungen dienen dazu, die arbeitnehmerorientierten Schutzpflichten des Arbeitgebers, die noch keiner spezifischen gesetzlichen Regelung zugeführt werden konnten, unmittelbar, daher ohne ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung ergänzend in das Arbeitsverhältnis einzuführen, um auf diese Weise die Rechtslage möglichst flexibel dem sich allmählich entwickelnden sozialen Standard anpassen zu können.[1]) Die Notwendigkeit der Anpassung ergibt sich aus der stetigen Evolution der von Generalklauseln verwiesenen gesellschaftlichen Wertungen.[2])
Damit leisten die Generalklauseln der Fürsorgepflicht für den Arbeitnehmerschutzbereich dasselbe, was die Generalklausel des “allgemeinen Persönlichkeitsrechts” für den gesamten Persönlichkeitsschutz leistet. Wertungsgrundlage für die Generalklauseln der Fürsorgepflicht sind gleich wie bei der Generalklausel des Persönlichkeitsrechts die gesamte Rechtsordnung, angefangen von der Analogie und Rezeption privatrechtlicher wie öffentlich-rechtlicher (verwaltungsrechtlicher) Bestimmungen und Verpflichtungen – für die Fürsorgepflicht ganz besonders bedeutend zB das ASchG – über natürliche Rechtsgrundsätze bis hin zur Einwirkung grundrechtlicher Gedanken.
Im Arbeitsrecht stehen nun zwei Mittel zur Verfügung, um die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu schützen: auf der einen Seite die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die als Korrelat zur Treuepflicht des Arbeitnehmers zu verstehen ist, und auf der anderen Seite das “allgemeine Persönlichkeitsrecht” des § 16 ABGB, das subsidiär auch in Sonderprivatrechten zur Anwendung kommt und daher auch im Arbeitsrecht Bedeutung entfaltet!
Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers entspringt dem Grundgedanken des Arbeitsrechts, den sozial Schwächeren gegenüber dem sozial Stärkeren zu schützen. Demnach hat der Arbeitgeber die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass nicht nur das Leben und die Gesundheit des Arbeitnehmers möglichst geschützt werden, sondern auch andere immaterielle und materielle Interessen des Arbeitnehmers gewahrt bleiben.[3])
Zu diesen Interessen gehört es aber auch, dass der Arbeitgeber bei allen seinen Maßnahmen den Arbeitnehmer als Persönlichkeit respektiert. Verletzt er daher innerhalb des Arbeitsverhältnisses rechtswidrig ein Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers, so liegt darin stets zugleich ein Verstoß gegen seine Fürsorgepflicht. Daraus ergibt sich, dass der Persönlichkeitsschutz Anforderungen an die Fürsorgepflicht stellt. Umgekehrt bringt die Ergründung des Inhaltes der Fürsorgepflicht neue Aspekte für den Persönlichkeitsschutz. Wenn schon im alltägliche Rechtsleben die Berücksichtigung des Persönlichkeitsschutzes von besonderer Bedeutung ist, dann muss erst recht in einem Abhängigkeitsverhältnis, wie es das Arbeitsverhältnis darstellt, auf diesen Schutz geachtet werden. Denn der Grund für die Fürsorgepflicht liegt in der durch die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers entstehende Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers.[4]) Fürsorgepflicht ohne Persönlichkeitsschutz ist nicht denkbar und umgekehrt verstärkt die Fürsorgepflicht den Achtungsanspruch der Persönlichkeit.
Es lässt sich erkennen, dass der Persönlichkeitsschutz, neben dem Schutz der besonderen Güter wie Leben, Gesundheit und Vermögen ein Teilelement der Fürsorgepflicht darstellt. Der Inhalt dieses Teilaspektes lässt sich nur bestimmen, indem man einerseits versucht die persönlichkeitsrechtlich gefährdeten Güter, die am Arbeitsplatz bedroht werden, durch Heranziehung des “allgemeinen Persönlichkeitsrechts” zu erkennen und andererseits versucht, ihren Schutzbedarf, der sich jeweils aus dem Grad der Abhängigkeitssituation ergibt und den Umfang und die Grenzen der Fürsorgepflicht festlegt, zu eruieren. Erst in der Symbiose der Darstellung der gefährdeten Güter und der ihnen tatsächlich zukommenden Schutzbedürftigkeit kann für den Sonderfall des Individualarbeitsrechtes ein Lösungsansatz für Interessenkonflikte gefunden werden.
Sowohl das “allgemeine Persönlichkeitsrecht” wie die Fürsorgepflicht sind Generalklauseln, die zu einem hohen Grad unbestimmt sind. Daher ist ein Rückgriff auf eine Auslegungsmethode unvermeidlich. Diese Auslegungsmethode muss einerseits helfen, die Wertgehalte der einzelnen betroffenen Persönlichkeitsrechte näher zu konkretisieren und die Höhe des betroffenen Interesses sowohl auf Arbeitnehmerseite wie auf Arbeitgeberseite zu bestimmen. Andererseits muss die Schutzbedürftigkeit bewertet werden, um den Grad der Fürsorgepflicht erkennen zu können, der je nach Intensität das entgegenstehende Arbeitgeberinteresse mindert. Beide Elemente verfließen in der praktischen Untersuchung unteilbar ineinander, weil sich die Persönlichkeitsverletzung gerade erst situationsbedingt durch das Abhängigkeitsverhältnis des Arbeitnehmers bestimmen lässt. Es ist die besondere Gefährdungslage im Individualarbeitsrecht, die seine besondere Bedeutung in Richtung des Persönlichkeitsschutzes entfaltet.
Daher ergebt sich in jenen Fällen, in denen keine Fürsorgepflicht besteht, so vor Beginn und nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, eine geringere Rücksichtspflicht, da eine Fürsorgepflicht – abgesehen von den besonderen Ausnahmefällen der “vorwirkenden und nachwirkenden Fürsorgepflicht” – nicht besteht, und das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer lediglich nach dem Grundsatz von “Treu und Glauben” zu beurteilen ist.[5])