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© Dr. Christoph Paul Stock

 

2) Problemansätze aus dem öffentlichen Recht

 

Die Problematik der Berufung auf das Gewissen im Recht ist seit der Ermöglichung des Zivildienstes als Wehrersatzdienst und der Diskussionen rund um die Abschaffung der Zivildienstkommission klar aufgebrochen und findet zur Zeit in der Diskussion um die Verlängerung des Zivildienstes eine neue interessante Fortführung. Die Frage nach der Überprüfbarkeit und Eruierbarkeit des Gewissens ist hier genauso diskutiert worden, wie sich momentan die Auseinandersetzung mit dem oftmals gehörten Ruf nach einer Orientierung an der Opferbereitschaft der Zivildiener in dem Sinne befasst, dass man behauptet, wer einen im Verhältnis zum Wehrdienst längeren Zivildienst auszuüben hat, wird dies nur dann wirklich auf sich nehmen, wenn ihm sein Gewissen tatsächlich den Dienst mit der Waffe verbietet.

Die Probleme und Fragen zur Berechtigung einer Verweigerung der Leistung aus Gewissensgründen sind im Privatrecht dem Grunde nach nicht anders zu beurteilen wie im öffentlichen Recht, sind es doch Verfassungsbestimmungen (Art 14 StGG 1867 und Art 9 MRK), die den Wertgehalt des Gewissens für das menschliche Tun und Handeln bestimmen und damit als Grundrechtsnormen Bedeutung für das Privatrecht haben. Die Schutzgebotsfunktion der angeführten Grundrechte ergibt sich eindeutig aus dem Machtgefälle zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bedingt durch das dem Arbeitgeber zustehende Weisungsrecht. Fügt sich der Arbeitnehmer den gerechtfertigten Anordnungen des Arbeitgebers nicht, steht dem Arbeitgeber die Möglichkeit offen, das Arbeitsverhältnis aus wichtigen Gründen zu beenden (§ 27 Abs 4 AngG). Der Arbeitnehmer muss sich zwischen Arbeitsplatz und einer Arbeitstätigkeit entgegen seinem Gewissen entscheiden. Dies bedeutet eine Zwangslage, die für den Arbeitnehmer ein inneres Konfliktpotential mit sich bringt, das vergleichbar ist mit den Problemkreisen der freien Religionsausübung und der Waffendienstverweigerung, die tiefe Einschnitte in die Lebensverhältnisse des Betroffenen bedeuten.

Mit dem Beitritt Österreichs zur MRK wurde der Kreis der gewährleisteten Freiheiten erweitert, da jede – auch nicht religiöse – Weltanschauung in ihn einbezogen ist.[1]) Art 14 des StGG schützt hingegen nur religiöse Bekenntnisse.[2]) Auch mit dem Begriff der Bekenntnisfreiheit in Abs 2 des Art 9 MRK meint die Konvention etwas anderes als die Religionsfreiheit, weil sie neben dieser angeführt ist. Da im Artikel 9 Abs 2 von der Gedanken- und Gewissensfreiheit nicht die Rede ist, dürfte die Bekenntnisfreiheit diese beiden Freiheiten in sich schließen. Man wird daher unter Bekenntnis jede philosophische, politische, wissenschaftliche oder sonstige Überzeugung zu verstehen haben, die nicht an eine bestimmte Religion gebunden ist. In diesem Sinn gebraucht offenbar auch die Kommission diesen Ausdruck.[3]) Damit wird die Relevanz der Gewissensentscheidung für alle Bereiche des menschlichen Lebens anerkannt.

Für den hier zu erörternden Problembereich wird nach diesen Ausführungen offensichtlich, dass weniger die Frage im Vordergrund steht, ob durch Weisungen das Persönlichkeitsrecht auf Gewissensfreiheit verletzt werden kann – dies erscheint bei Bestehen eines Gewissenskonfliktes durch die Wertgehalte der Rechtsordnung eindeutig bestätigt – sondern vielmehr darum, wie sich ein Gewissenskonflikt nachweisen lässt. Hinzu kommt noch die besondere Charaktereigenschaft des Gewissens, die wegen ihrer tausendfachen unterschiedlichen individuellen Ausgestaltung nicht abschließend besonderen Gefährdungslagen und Gefährdungssituationen des Arbeitslebens zugewiesen werden kann und damit einer objektiven Erkennbarkeit unzugänglich ist. Daher ist es für den Arbeitgeber nur schwer möglich, ohne Mithilfe des Arbeitnehmers, persönlichkeitsrechtliche Konflikte frühzeitig zu erkennen.

Daraus ergibt sich eine besondere Relevanz des “menschlichen Verhaltens”[4]) des Arbeitnehmers, der zur Offenlegung des Gewissenskonfliktes so früh als möglich beizutragen hat. Hierher gehören Fragen der berufsbedingten oder nur gelegentlichen Gewissensbeeinträchtigung genauso wie Fragen der Vorhersehbarkeit und Erkennbarkeit eines zu erwartenden Gewissenskonfliktes und deren Offenlegung gegenüber dem Arbeitgeber durch den Arbeitnehmer.

Vorweg ist aber noch zu klären, was eigentlich unter Gewissen zu verstehen ist.


[1]) Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte (1963) 360; Erkenntnisse des VfGH 1207/1929; 3480/1959.
[2]) E 16. Juli 1963, B Nr 1474/1962, Yearbook of the European Convention on Human Rights VI, 332.
[3]) E 13. Dezember 1963, B Nr 1747/1962, Yearbook of the European Convention on Human Rights VI 442.
[4]) vgl III. Teil, 2. Kapitel, C) cd).
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