
K O N T A K T

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© Dr. Christoph Paul Stock
ac) Die Greifbarkeit der Gewissensentscheidung
Das eigentlich Schwierige an der Problematik ist die tatsächliche Greifbarkeit der Gewissensentscheidung. Gerade die Feststellung des wahren Motivs wirft ja auch bei der Wehrdienstverweigerung die meisten Probleme auf.[1])
Die Rechtsordnung verzichtet aber auch bei anderen Konflikten nicht auf subjektive Momente, obwohl innere Tatsachen stets schwer feststellbar sind. So verwendet zB das Strafrecht “subjektive Tatbestandsmerkmale”, die im seelischen Bereich des Täters liegen und meist bestimmte Ziele des Täters beschreiben, wie zB den “Bereicherungsvorsatz” beim Diebstahl, beim Raub und beim Betrug sowie den “Täuschungsvorsatz” bei der Urkundenfälschung oder den “Schädigungsvorsatz” beim Missbrauch der Amtsgewalt.[2]) Auch wenn die personal eingefärbten Motive des Gewissens viel schwerer zu eruieren sind als zB die gleichsam farblosen im Privatrecht zur Bedeutung erhobenen Umstände des “Kennens” und “Kennenmüssens”, wird man trotzdem der Bedeutung des Individualgewissens im öffentlichen Recht ebenso wie im privaten Recht Tribut zollen müssen.
Bei der Untersuchung, ob tatsächlich ein Gewissenskonflikt vorliegt, wird man sich in vielen Fällen auf äußere Anzeichen also Indizien stützen müssen, doch erscheint dies als gerechtfertigt, da ein besonders bedeutender Teilaspekt der Persönlichkeit beurteilt wird. Dabei ist darauf achtzugeben, dass das vom Gewissen motivierte Handeln oder Unterlassen wirklich einem individuellen Gewissensentscheid entspringt und nicht in reiner Verfolgung nebuloser ideologischer, religiöser oder sonst welcher Ziele erfolgt. Als Beispiel lässt sich hier eine Aussage des deutschen Bundesarbeitsgerichts anführen, das zur Frage der Kriegsdienstverweigerung folgendes ausführt: “Zwar kann von einer Gewissensentscheidung keine Rede sein, wenn eine Handlung nur deswegen abgelehnt wird, weil sie mit der Zielsetzung einer Partei nicht vereinbar ist, der der Handelnde angehört. So kann sich derjenige Kriegsdienstverweigerer nicht auf Gewissensnot berufen, der dem Dienst mit der Waffe gleichgültig gegenübersteht, jedoch meint, den Kriegsdienst deshalb verweigern zu müssen, weil er Mitglied einer Partei ist, die die Wehrpflicht abschaffen will”[3]). Eine Art Kadavergehorsam und die zwangsläufige Übernahme fremden Gedankengutes, welches nicht wirklich und tatsächlich als unmittelbar evidentes Gebot persönlichen unbedingten Sollens zu charakterisieren ist, vermag nicht eine seelenbewegende Gewichtung darzustellen, wie dies dem Gewissen zuzusprechen ist. Der Gewissenskonflikt muss folglich ernsthaft sein.
Diesem Postulat entsprachen auf keinen Fall die Gewissensbedenken eines Discjockeys[4]), dem eine Woche vor Gründonnerstag von seinem Arbeitgeber die Weisung erteilt worden war, am Gründonnerstag und Karfreitag – nach dem betreffenden Landesrecht erlaubterweise – nur Unterhaltungsmusik, aber keine Tanzmusik zu spielen und die Besucher am Auflegen von Tanzmusik zu hindern. Am Gründonnerstag führte der Discjockey seinen Dienst ordnungsgemäß aus. Als er aber am Karfreitag zum Dienst erschien, erklärte er seinem erstaunten Arbeitgeber zum ersten Mal, dass er evangelisch sei und daher aus religiösen Gründen in der Nacht vom Karfreitag auf den Karsamstag überhaupt die Arbeit verweigere. Aus der Gesamtheit der Umstände wird man aber erkennen können, dass der Gewissenskonflikt auf keinen Fall ernsthaft und damit auch nicht rechtlich relevant war. Leider griff der OGH die Gewissensproblematik in diesem Fall nicht auf und stellte anhand des Sachverhaltes nur fest, dass mit Recht eine verschuldete beharrliche Arbeitsverweigerung vorläge und bestätigte die ausgesprochene Entlassung.
Soweit aber ein Gewissenskonflikt festgestellt werden kann, muss sein Inhalt entsprechend seiner prinzipiell unbegrenzten variierten Individualität gleich der Persönlichkeit geachtet werden. Die Gewissensentscheidung selbst darf nicht in irgendeinem Sinne, etwa als “irrig”, “falsch” oder “richtig”, bewertet werden.[5]) Sollten trotz der Untersuchung berechtigte Zweifel über den Bestand eines Gewissenskonfliktes bestehen bleiben, wird man, um der Bedeutung und Wertigkeit der Gewissensfreiheit gerecht werden zu können, zu Gunsten desjenigen entscheiden müssen, der sich auf sein Gewissen beruft.
Die Untersuchung, ob ein Gewissenskonflikt vorliegt, erscheint unbedingt notwendig, weil sich sonst jedermann mit einer vorgetäuschten Berufung auf das Gewissen seiner Verpflichtungen sowohl im öffentlichen wie auch im privaten Bereich entledigen könnte. Der Weg, der mit der Abschaffung der Zivildienstkommission beschritten wurde, kann – zwar entgegen meiner Meinung – unter Umständen staatspolitisch vertreten werden. Im Privatrecht würde eine solche Vorgangsweise zu einer Verwässerung und etwaigen Zerstörung der Funktion des Rechtssystems führen.