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Gesamte Inhalte:

© Dr. Christoph Paul Stock

 

1) Der schuldlose Gewissenskonflikt

 

In jenen Fallgruppen nun, in denen der Schuldner völlig schuldlos, also auch unvorhersehbar, in einen Gewissenskonflikt gerät, hat sich in der Literatur die einmütige Lösung herauskristallisiert, dass dem Schuldner nach Möglichkeit eine modifizierte Erfüllung seiner primären Leistungspflicht gestattet werden soll, wodurch dem Ausweichprinzip Genüge getan wird.[1]) Auszuweichen hat in diesem Fall der Arbeitgeber, weil es nur ihm möglich ist, im Rahmen seines Weisungsrechtes dem Arbeitnehmer eine andere Tätigkeit zuzuweisen. Bezüglich des Weisungsrechts des Arbeitgebers ist für das deutsche Recht der § 315 BGB heranzuziehen, der bestimmt: “Soll die Leistung durch einen der Vertragsschließenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist”. Auch in Österreich wird die Leistungsbestimmung durch eine der vertragsschließenden Parteien für zulässig angesehen[2]), wobei “beliebiges Ermessen” in Nebenpunkten vereinbart werden kann, hingegen muss die Bestimmung von Hauptpunkten nach “billigem Ermessen” erfolgen.[3]) Relevant werden aber grundsätzlich nur jene Arbeitsanweisungen sein, die ihrer Art und ihrem Umfang folgend die zu erbringende Leistung wesentlich bestimmen und damit einen Hauptpunkt darstellen. Andere nebensächliche Weisung werden kaum in der Lage sein, den Arbeitnehmer in einen Gewissenskonflikt zu stürzen.

Ist eine Modifikation der primären Leistungspflicht nicht möglich, so wird man auf einen Ausgleich drängen müssen, der auf die beiderseitige Mäßigung der Ansprüche der Parteien abzielt. Von vielen wird hier die Rechtsfolge des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung selbst bei unvorhersehbarem Konflikt für eine angemessene Alternative gehalten.[4])

Diese Lösung stellt aber keine beiderseitige Mäßigung im Sinne eines Ausgleiches dar, sondern eine klare Bevorzugung des Gläubigerinteresses vor dem Schutz der Gewissensfreiheit. Diederichsen[5]) führt hierzu richtig aus, dass einer als besonders hochwertig zu charakterisierenden Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen, die auch juristisch als förderungswürdig bewertet werden muss, nicht einfach der Stempel des Negativums aufgedrückt werden darf. Hierdurch würde in Richtung eines Verschuldens des Schuldners als garantieähnliches Einstehenmüssen für ein anfängliches Unvermögen gewiesen, was bei einer Unvorhersehbarkeit des Konfliktes für untragbar zu halten ist. Schließlich kann sich ja auch fast jeder Schuldner um den Preis, für das Erfüllungsinteresse einstehen zu müssen, von seiner Vertragspflicht – etwa durch Zerstörung des Leistungsgegenstandes – freimachen. “Die Zubilligung eines Leistungsverweigerungsrechts muss vielmehr auch die Pflichtwidrigkeit der Nichtleistung ausschließen, so dass eine Haftung wegen nachträglicher Unmöglichkeit, wegen positiver Forderungsverletzung oder wegen Verzugs nicht in Betracht kommt.”[6]) Nur das Abstehen von der Pflichtwidrigkeit ermöglicht es, den Schuldner nicht stets mit dem Erfüllungsinteresse zu belasten.

Bleibt die Überlegung, ob den Schuldner der Ersatz des Vertrauensschadens trifft. Diederichsen meint dazu, dass hier ebenfalls die Negativwertung nicht aufgehoben sei.[7]) Er lehnt auch eine Begründung aus dem Risikogedanken ab, weil es sich gleichsam um ein von außen in das Schuldgefüge einbrechendes Leistungshindernis handle. Dies ist zwar grundlegend richtig, aber Diederichsen verfehlt die Grundsätze der Rechtsordnung, wenn er ausführt, die Entschädigungsgrundlage sei im Prinzip der Aufopferung[8]) zu suchen.[9]) In Wahrheit verfolgt die Rechtsordnung das Prinzip des Ausgleichs.[10]) Daher erscheint es gerecht, wenn die Lasten aufgeteilt werden. Ein solcher Ausgleich, dessen Sinn es ist, die gegenseitigen Ansprüche im Verhältnis der Gewichtigkeit der widerstreitenden Interessenlagen zu mäßigen, kann dann erreicht werden, wenn der Schuldner den Vertrauensschaden auch ohne Verschulden zu tragen hat, weil der Vorgang der Willensbildung in den Verantwortungsbereich des Erklärenden fällt. Der Gläubiger kann sich danach für etwaige eingegangene Verpflichtungen beim Schuldner schadlos halten, trägt aber den restlichen Aufwand für die Erfüllung selbst. Damit trägt der Gläubiger die Hauptlast, was der Höherwertigkeit der Arbeitnehmerinteressen Rechnung trägt.

Schließlich wäre es noch denkbar, dass weder ein Ausweichen noch ein Ausgleichen möglich ist, weil neben den immateriellen Interessen des Schuldners auch immaterielle Interessen des Gläubigers auf dem Spiel stehen. Man stelle sich den Fall vor, dass während einer Operation ein streng katholischer Chirurg feststellt, dass die Patientin nur zu retten ist, wenn eine Abtreibung vorgenommen wird, die der Chirurg aus Gewissensgründen ablehnt. In diesem Fall müssen die beiden Persönlichkeitsrechte, die hier aufeinanderprallen, gegeneinander abgewogen werden, wobei im konkreten Beispiel das Recht auf Leben als höchster Wert der Rechtsordnung das Recht auf Gewissensfreiheit überwiegen wird. Diese Werthaltung finden wir auch in der Bestimmung des § 97 Abs 2 StGB zur “Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruches” wo es heißt: “Kein Arzt ist verpflichtet, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen oder an ihm mitzuwirken, es sei denn, dass der Abbruch ohne Aufschub notwendig ist, um die Schwangere aus einer unmittelbar drohenden, nicht anders abwendbaren Lebensgefahr zu retten.” Indirekt enthält diese Bestimmung auch einen Vorzug des Lebens der Mutter gegenüber dem ungeborenen Leben.


[1]) Kündigung wegen Arbeitsverweigerung aus Gewissensgründen (Bundesarbeitsgericht, Urteil 20. Dezember 1984 – 2AZR 436/83), in BB 1985, 1854; Otto, Personale Freiheit 122; Wieacker, JZ 1954, 467 FN 4; Stein, Gewissensfreiheit in der Demokratie 56; Schnorr, Erfüllung arbeitsvertraglicher Pflichten und Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers, in FS - Strasser 112.
[2]) vgl OGH in SZ 25/46; SZ 55/44; Krejci, Grenzen einseitiger Entgeltbestimmungen durch den Arbeitgeber, ZAS 1983, 204; Mayrhofer, Schuldrecht Allgemeiner Teil3 I (1986) 27; vgl zum deutschen Recht Kronke, Zu Funktion und Dogmatik der Leistungsbestimmung nach § 315 BGB, AcP 183, 113.
[3]) Krejci, Grenzen einseitiger Entgeltbestimmungen durch der Arbeitgeber, ZAS 1983, 205 f; Mayer-Maly, Das Ermessen im Privatrecht, FS - Melichar (1983) 442; Kronke, Zu Funktion und Dogmatik der Leistungsbestimmung nach § 315 BGB, AcP 183, 113; OGH in SZ 56/32.
[4]) Blomeyer, JZ 1954, 312; Birk, Die arbeitsrechtliche Leistungsmacht 317; Diederichsen, Gewissensnot als Schuldbefreiungsgrund? FS - Michaelis (1972) 60; Maunz - Dürig - Herzog, Grundgesetz - Kommentar2 (1973) Art 4 Rn 144; Dürig, Grundrechte und Zivilrechtsprechung, FS - Nawiasky (1956) 161.
[5]) Diederichsen, Gewissensnot als Schuldbefreiungsgrund? FS - Michaelis (1972) 45 f.
[6]) Otto, Personale Freiheit 123.
[7]) Diederichsen, Gewissensnot als Schuldbefreiungsgrund? FS - Michaelis (1972) 46.
[8]) Diese Aufopferungspflicht besagt, dass ein ernst zu nehmendes Gewissen es verlangt, dass der Konflikt durchgestanden wird. Ein Gewissen, das seinen Träger nichts kostet, kann auch die Rechtsordnung kaum als Wert ansehen. Aus diesem Grund mag man die Schadenersatzpflicht als von ihm hinzunehmenden Nachteil erhalten haben. Denn ein schlechtes Gewissen sollte derjenige haben, der ein gutes Gewissen ausschließlich auf Kosten seiner Rechtsgenossen haben möchte. Vgl bei Diederichsen, Gewissensnot als Schuldbefreiungsgrund? FS - Michaelis (1972) 47 und 62.
[9]) Diederichsen, Gewissensnot als Schuldbefreiungsgrund? FS - Michaelis (1972) 46 FN 55.
[10]) Otto, Personale Freiheit 123.
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