
K O N T A K T

Gesamte Inhalte:
© Dr. Christoph Paul Stock
aa) Das Personalinterview
Ein normales Vorstellungsgespräch stellt man sich als Zwiegespräch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor, bei dem der Arbeitgeber unter gleichzeitiger Bezugnahme auf Schulabschlusszeugnisse, Universitätsdiplome und Arbeitszeugnisse versucht, sich ein generelles Bild über den Arbeitnehmer zu machen, um dann entscheiden zu können, ob die notwendigen Eignungen des Arbeitnehmers für den neuen Arbeitsplatz vorhanden sind. Auch ein normales Vorstellungsgespräch wird immer wieder Fragen aufwerfen, die im rechtlichen Sinne nicht mehr als zulässig erkannt werden können. Die Situation eines solchen Gespräches ist aber im Normalfall doch so frei, dass der Arbeitnehmer den gestellten Fragen ausweichen kann, soweit sie ihm unangenehm sind. Ein solches Vorstellungsgespräch wird man als “freies Personalinterview” bezeichnen können.
Durchaus legitim, soweit nur berufs- und arbeitsplatzbezogene Themen angeschnitten werden, sind auch “standardisierte Personalinterviews”, die den Vorteil der besseren Vergleichbarkeit verschiedener Bewerber bieten, sowie “Gruppengespräche” zwischen Personalleitern, Fachvorgesetzten, höherrangigen Vorgesetzten und einem Arbeitnehmer. Auch “Gruppendiskussionen der Bewerber” unter Beobachtung des Arbeitgebers werden als rechtlich unbedenklich zu bezeichnen sein.
Problematisch wird die Situation erst dann, wenn der Bewerber in eine besonders ausgeprägte Stresssituation versetzt wird. Dies kann zB bei einem “Kreuzfeuerinterview” während eines “Gruppengesprächs” oder bei einem “Stress interview”, bei dem unangenehme und unerwartete Fragen gestellt werden, der Fall sein. Der Bewerber wird zur Testperson, die durch schwere intellektuelle und emotionale Belastungen, provokante Befragungen, emotionelle Wechselbäder, gestaltet durch ein sich mal freundlich mal eisig darstellendes Gesprächsklima, in Ausnahmesituationen versetzt wird. Dadurch sollen Fähigkeiten und die Belastbarkeit eines Bewerbers ohne Rücksicht auf seine Persönlichkeit festgestellt werden.[1]) Selbst die Bewerbung um einen besonders verantwortungsvollen und durch vielfältige Stresssituationen gekennzeichneten Beruf kann keine derart menschenunwürdige Behandlung des Bewerbers rechtfertigen. Denn es ist für den Stellenbewerber schwierig und unangenehm, sich gegenüber verbalen Attacken unter Umständen in beleidigender Art in einer Situation der Abhängigkeit und geistigen wie körperlichen Anspannung richtig, ruhig und fehlerfrei zu verhalten. Solche Situationen sind rein darauf ausgelegt, das Innere eines Menschen nach außen zu kehren. Es soll ein Gesamtbild des Charakters gezeichnet werden. Die Persönlichkeit ist ohne Zweifel verletzt.
Ein wertmäßiger Ansatzpunkt kann zu dieser Problematik in Art 3 MRK gefunden werden, nach dem niemand einer unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf. Das Schutzgebot des Grundrechtes ergibt sich aus dem besonderen Umstand, dass der Stellenbewerber im Zeitpunkt des Interviews der gegeben Situation völlig ausgeliefert ist. Er kann sich zwar im Gegensatz zu jemanden der im Rahmen der unmittelbaren Befehls- und Zwangsgewalt durch Exekutivorgane vernommen wird, durch eigenen Entschluss der Situation entziehen, in dem er einfach die Interviewräumlichkeiten verlässt. Der soziale Zwang und die zusätzliche persönliche Demütigung, die ein solches Verhalten für den Stellenbewerber bedeuten würde, lässt aber eine Situation entstehen, die der Situation einer Vernehmung sehr ähnlich ist. Daher entfaltet aus dieser Warte gesehen das Schutzgebot des Grundrechts annähernd seinen Maximalgehalt.
Ob der Wesenskern des grundrechtlichen Wertgehaltes getroffen wird, hängt vom Ausmaß der Stresssituation ab, in die der Stellenbewerber während des Interviews versetzt wird. Ist diese Stresssituation geeignet, beim Stellenbewerber ein psychisches Leiden, das mitunter zu einer akuten psychischen Störung während des Interviews führen kann, zu verursachen oder ist die Interviewtechnik geeignet beim Stellenbewerber ein Gefühl der Furcht, Angst und insbesondere Minderwertigkeit hervorzurufen und den Stellenbewerber zu erniedrigen und zu entwürdigen, fällt diese Interviewtechnik annähernd unter den Begriff der unmenschlichen Behandlung von Art 3 MRK.[2]) Es kann durch bestimmte Praktiken bei Interviews der Wesenskern des Art 3 MRK verletzt werden.
Da derartige Interviewpraktiken sicherlich nicht das schonendste und geeignetste Mittel zur Charakteruntersuchungen von Stellenbewerbern darstellen, erübrigt sich eine weitergehende Untersuchung der Interessen des Arbeitgebers. Er hat beim Einstellungsinterview unmenschliche Stresssituationen zu vermeiden.
Zur Frage, ob der Stellenbewerber einem solchen Interview ausdrücklich oder konkludent zustimmen darf, ist auszuführen, dass er erstens vor dem Interview die auf ihn wartende Situation nicht einschätzen kann und zweitens bei derartig gravierenden Eingriffen in die Persönlichkeit eine Missachtung eigener Güter und Werte von der Rechtsordnung nicht mehr gebilligt werden darf.