
K O N T A K T

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© Dr. Christoph Paul Stock
2) Schwangerschaft
Ein besonders interessantes und häufig auftretendes Problem stellen Fragen nach einer möglichen oder bestehenden Schwangerschaft dar. Die Arbeitnehmerin wird dadurch angehalten, über einen äußerst intimen Bereich Auskünfte zu geben. Die Möglichkeit bzw das Bestehen einer Schwangerschaft ist ohne Zweifel ein besonders empfindlicher und schützenswerter Bereich des Privatlebens, weil durch sie, Auswirkungen und Veränderungen im Familienleben zu erwarten sind. Manchmal erscheint es für Frauen schon schwierig, sich mit ihrem eigenen Partner und ihrer eigenen Familie bezüglich einer möglichen oder gegeben Schwangerschaft auseinanderzusetzen, da viele emotionelle und gesellschaftliche Probleme und Mechanismen mitspielen. Die Möglichkeit einer Verletzung des Intimbereichs einer schwangeren bzw vermeintlich schwangeren Frau und ihrer Familie durch eine indiskrete Frage des Arbeitgebers ist daher sehr leicht möglich. Zusätzlich wird das Privat- und Familienleben, wie auch das Recht eine Familie zu gründen vom Verfassungsrecht in den Bestimmungen des Art 8 und 12 MRK geschützt. Diese Wertgehalte schlagen sich im Persönlichkeitsrecht ohne Zweifel nieder. Daher muss das Fragerecht des Arbeitgebers besonders restriktiv beurteilt und die widerstreitenden Interessen sehr genau abgewogen werden.
Es gibt auch kaum einen Fragenkomplex im Zusammenhang mit den Problemen der Anbahnung von Arbeitsverhältnissen, der mehr Interesse und Auseinandersetzung in Lehre[1]) und Rechtsprechung[2]) ausgelöst hätte, als das Fragerecht des Arbeitgebers zum Bestand von Schwangerschaften.
Ohne längere Untersuchung kann festgestellt werden, dass die Fragen, ob eine Schwangerschaft demnächst zu erwarten sei oder ob intimer Verkehr besteht, indiskret und ohne vertretbares Interesse des Arbeitgebers sind und daher eindeutig als rechtswidrig eingestuft werden müssen.[3])
Schwieriger wird die Problematik, wenn nach einer möglichen oder bestehenden Schwangerschaft gefragt wird. Die Probleme in diesem Zusammenhang wurden in einer breiten Diskussion erörtert, in der man wohl aus der altbekannten Scheu vor dem Persönlichkeitsrecht, kaum Rücksicht auf die Eigensphäre der stellenwerbenden Frau genommen hat, sondern versuchte, eine Lösung rein mit Hilfe des Mutterschutzgesetzes zu finden.
Ohne Zweifel wird man Spielbüchler[4]) darin zustimmen können, dass das MuSchG der schwangeren Frau die Erwerbsgelegenheit offenhalten will und nicht nur einen Schutz in einem schon bestehenden Arbeitsverhältnis, sondern auch einen Schutz in gewissen Grenzen bei der Eingehung eines neuen Arbeitsverhältnisses im Auge hat. Damit wird aus dem Mutterschutzgesetz abgeleitet, dass der Gesetzgeber nicht die Intention gehabt hat, die Einstellung schwangerer Frauen zu erschweren. Aber genaue Kriterien für die Lösung der Problemstellung sind aus dem Gesetz nicht abzuleiten.[5]) Denn die einzigen Hinweise auf eine Legitimation eines Fragerechts nach einer Schwangerschaft enthalten einzelne statuierte Meldepflichten des MuSchG (§§ 3 Abs 4, 10 Abs 2 leg cit), nach denen im aufrechten Arbeitsverhältnis die Schwangere eine qualifizierte Auskunftspflicht gegenüber dem Arbeitgeber hat. Hier wird man aber betonen müssen, dass es einen nicht unerheblichen Unterschied macht, ob man seinem Arbeitgeber, den man durch eine längere Anstellung in dessen Betrieb schon kennt, oder einem fremden Arbeitgeber, bei dem man sich um eine neue Arbeit bemüht und nicht weiß, ob man überhaupt angestellt wird, über den Bestand einer Schwangerschaft Auskunft gibt. Es wird noch ein persönlichkeitsrechtlicher Unterschied darin zu erblicken sein, ob man entweder in einem vorvertraglichen Anbahnungsverhältnis unangenehme Fragen beantworten muss, oder ob man zu seinem eigenen Schutz und zu seinem eigenen Vorteil im Treueverhältnis zu seinem Arbeitgeber eine Schwangerschaft laut Gesetz zu offenbaren hat.
Diese Folgerungen aus dem MSchG helfen uns aber nur geringfügig bei der Lösung der Frage weiter, welches Interesse stärker wiegt, jenes der Stellenbewerberin auf Geheimhaltung ihrer Schwangerschaft oder jenes des Arbeitgebers, über die Schwangerschaft informiert zu sein. Daher gilt es auf die Wertgehalte der Grundrechte zurückzugreifen, die das Privat- und Familienleben der Schwangeren schützen. Art 8 MRK schützt neben dem Privatleben auch ausdrücklich das Familienleben.[6]) Unter dem Begriff “Familie” wird keine Großfamilie verstanden, sondern eine Kleinfamilie, der nur die engsten Familienangehörigen zugerechnet werden.[7]) Dadurch, dass Artikel 8 jedermann den Anspruch auf ungestörtes Zusammenleben mit seinen engeren Angehörigen zubilligt, anerkennt er gleichzeitig die Familie als eine Gemeinschaft besonderer Art. Er schützt nicht ein Individualrecht – weil dieses Recht nicht von einer Person isoliert ausgeübt werden kann –, sondern sichert den Bestand der Familie als einer eigenen Rechtsinstitution, die er in ihren fundamentalen Elementen erhalten will. Jede Beeinträchtigung, welche der einzelne im Hinblick auf sein Familienleben erfährt, wirkt sich zwangsläufig auf die Familiengemeinschaft als solche aus. Um die Familiengemeinschaft zu fördern und sie nach Möglichkeit vor äußeren Störungen zu bewahren, gestattet Art 8 Abs 2 MRK Eingriffe in das Familienleben nur innerhalb bestimmter, ausdrücklicher Grenzen.[8])
Diese institutionelle Garantie wird durch Art 12 MRK bestätigt.[9])
Ein Eingriff in diese institutionelle Garantie ist auch durch eine Frage nach einer Schwangerschaft möglich, da die Schwangerschaft der Familiensphäre zugerechnet wird.[10]) Jede Handlung, die daher geeignet ist, die Familiensphäre zu beeinträchtigen, sie insbesondere in ihrem Bestand zu gefährden, gerät daher in Konflikt mit den Wertgehalten der Art 8 und 12 MRK. Durch ein uneingeschränktes Fragerecht nach dem Bestehen einer Schwangerschaft, das im Falle der Bejahung für die Stellenbewerberin negative Folgen hat, nämlich die Nichteinstellung, wird mittelbar in die institutionelle Garantie der Familie eingegriffen, weil dem durchaus wünschenswerten, von der Verfassung gesetztem Ziel, Familiengründungen und deren Nachwuchs zu fördern, widersprochen wird. Denn im Resultat würde ein solches Fragerecht bedeuten, wer schwanger wird, hat mit einer Erschwerung seines eigenen Fortkommens zu rechnen.
Da der Eingriff aber nur mittelbar erfolgt, weil ein solches Fragerecht nur indirekt Auswirkungen auf Familiengründung und Zeugung von Nachwuchs hat, wird der Kerngehalt der grundrechtlich geschützten Werte nicht getroffen.
Auch erscheint ein Schutzgebot nicht in seinem Maximalgehalt gegeben, weil die Schwangere der Fragestellung des Arbeitgebers durch eine “Lüge” ausweichen kann. Hier stellt sich aber die Frage, ob eine solche “Lüge” der Stellenbewerberin nicht negativ zugerechnet werden muss.[11]) Denn die Stellenbewerberin gibt absichtlich, um den Arbeitgeber zu täuschen und trotz Schwangerschaft eine Einstellung zu erreichen, eine falsche Antwort. Der OGH[12]) hat hierzu in einer umstrittenen Entscheidung festgestellt, dass eine Arbeitnehmerin eine Schwangerschaft wahrheitswidrig verneinen darf. Unter Berufung auf Gschnitzer führt der OGH aus, dass ein einmal begonnenes Arbeitsverhältnis auch bei Täuschung nicht mehr ex tunc beseitigt werden könne. Umstände, die an sich die rückwirkende Vertragsauflösung zur Folge haben, müssten daher auf ihre Eignung als Entlassungs- oder Kündigungsgründe geprüft werden. Das listige Verschweigen der Schwangerschaft erfüllt aber keinen der Entlassungstatbestände des § 12 MSchG. Die Lösung, die der OGH hier anbietet, ist deshalb möglich, weil im Zeitpunkt der Feststellung der Täuschung, das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer keines mehr nach “Treu und Glauben” sondern eines nach “Treue- und Fürsorgepflicht” im bestehenden Arbeitsverhältnis ist, und sich das “Recht zur Lüge” aus dem Normzweck des umfassenden Kündigungsschutzes begründen lässt.
Anders sieht aber die Situation im vorvertraglichen Anbahnungsverhältnis zwischen Stellenbewerberin und Arbeitgeber aus, welches nach dem Grundsatz von “Treu und Glauben”, in seiner Ausgestaltung der Aufklärungspflicht, zu beurteilen ist. Denn es darf nicht vergessen werden, dass nach dem MuSchG im bestehenden Vertragsverhältnis, also unter Bedachtnahme auf die Treuepflicht der Arbeitnehmerin, eine Auskunftspflicht über eine eingetretene Schwangerschaft besteht (§ 3 Abs 4 MuSchG), im Gegensatz dazu aber das MuSchG sich zur Frage des Bestehens einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht nicht äußert. Aus den einzelnen statuierten Meldepflichten (§§ 3 Abs 4, 10 Abs 2 leg cit) tritt eine Aufklärungspflicht nicht klar zutage.[13]) Daher ist zur Lösung dieser Frage auf den Grundsatz von “Treu und Glauben” abzustellen, nach dem eine Aufklärungspflicht dann besteht, wenn man wegen der Gewichtigkeit der Umstände im rechtlichen Verkehr eine Aufklärung erwarten darf.[14]) Im rechtlichen Verkehr wird man aber nur dann eine Aufklärungspflicht statuieren können, wenn das Interesse des Arbeitgebers an einer Aufklärung das Interesse der Stellenbewerberin an einer Geheimhaltung übertrifft. Aus diesem Grund ist sowohl der Bestand eines Fragerechts wie auch die Frage nach dem “Recht auf Lüge” nur im Rahmen einer Interessenabwägung zu eruieren.
Wie wir gesehen haben, werden die grundrechtsrelevanten Wertgehalte in mehrerer Hinsicht abgeschwächt. Sie werden nicht in ihrem Wesensgehalt getroffen und die Schutzsituation der Stellenbewerberin ist mit der Schutzsituation, die die Grundrechte im Verhältnis zwischen Staat und Bürger im Auge haben, nicht ident. Daraus ergibt sich eine wertmäßig abgeschwächte Tendenz.
Da aber – wie schon geklärt – der Gesetzgeber nicht die Intention gehabt hat, die Einstellung schwangerer Frauen zu erschweren, und die Wertgehalte der Art 8 und 12 MRK in abgeschwächter Intensität zur Anwendung kommen und zusätzlich weder ein Ausweichen noch ein Ausgleichen möglich erscheint, weil die Konfliktlösung entweder nur in einem völligen Verbot oder in einer völligen Erlaubnis des Fragerechts gelegen sein kann, es also keine Zwischenlösungen gibt, wird das Interesse des Arbeitgebers eine sehr hohe Intensität erreichen müssen, um die gänzliche Beseitigung des persönlichkeitsrechtlichen Interesses der Stellenbewerberin rechtfertigen zu können.[15])
Eine derart hohe Intensität des Arbeitgeberinteresse wird dann erreicht sein, wenn eine schwere Äquivalenzstörung, die Einstellung einer Schwangeren unzumutbar macht.[16]) Eine solche Situation ist dort gegeben, wo mutterschutzrechtliche Beschäftigungsverbote derart eingreifen, dass die übernommene Arbeit, ganz unvollkommen oder lediglich für sehr kurze Zeit geleistet werden kann, oder der Arbeitgeber durch den baldigen Arbeitsausfall der neuen schwangeren Arbeitnehmerin unverhältnismäßig stark belastet würde. Eine solche Belastung kann zB in der Notwendigkeit einer Ersatzbeschaffung gesehen werden, die bei zeitlicher Enge unter Umständen schwierig bis unmöglich ist.
Eine entsprechende Äquivalenzstörung ist auf jeden Fall auch dann gegeben, wenn der Vertragszweck durch die Schwangerschaft vereitelt würde[17]).
Ist eine gravierende Äquivalenzstörung gegeben, wird man nicht nur ein Fragerecht des Arbeitgebers anerkennen müssen, sondern auch das “Recht auf Lüge” der Schwangeren verneinen und eine Aufklärungspflicht statuieren müssen. Denn es ist durchaus möglich, dass auch eine fortgeschrittene Schwangerschaft visuell vom Arbeitgeber nicht erkannt wird, und er daher von seinem Fragerecht keinen Gebrauch macht! Hinzu kommt noch, dass das Fragerecht ohnehin nur sehr restriktiv erlaubt ist, und ein Arbeitgeber im Normalfall nicht davon ausgehen wird, dass eine Stellenbewerberin zur Zeit der Bewerbung schwanger ist.
Bei Frauen aber, die nicht einmal mit Sicherheit wissen, ob sie schwanger sind, überwiegt das Persönlichkeitsrecht auf “Achtung des Privatlebens” ohne Zweifel alle entgegenstehenden Interessen des Arbeitgebers.[18])